Phase-II-Studie mit Niclosamid bei Covid-19 geplant |
Daniela Hüttemann |
23.06.2021 16:30 Uhr |
Die Teilnehmer der neuen Studie müssen relativ viele Tabletten schlucken: Vier Niclosamid-Tabletten auf einmal sowie weitere vier Camostat-Tabletten über den Tag verteilt. / Foto: Imago Images/YAY Micro
Bereits Anfang Mai veröffentlichten Forscher um Privatdozent Dr. Marcel Müller von der Berliner Charité und Dr. Nils Gassen vom Universitätsklinikum Bonn die Ergebnisse ihrer Zellkulturversuche zu Autophagie-Boostern wie Niclosamid und Spermidin auf einem Preprint-Server. Nun hat die Arbeit das Peer-Review-Verfahren durchlaufen und erschien im Fachjournal »Nature Communications«.
Passend dazu kündigte die Charité den Start einer Phase-II-Studie mit Niclosamid (Yomesan®) an. »Niclosamid hat in unseren Zellkultur-Untersuchungen den stärksten Effekt gezeigt und ist außerdem ein seit Jahren für Bandwurm-Infektionen zugelassenes Medikament, das bei potenziell wirksamen Dosierungen gut verträglich ist«, sagt Virologe und Coronavirus-Experte Müller. »Wir halten es für den vielversprechendsten der vier neuen Wirkstoffkandidaten. Deshalb prüfen wir an der Charité jetzt im Rahmen einer klinischen Studie, ob Niclosamid auch bei Covid-19-Betroffenen positive Effekte erzielen kann.«
Für die sogenannte NICCAM-Studie sucht die Charité nun 40 Freiwillige. Teilnehmen können Personen, bei denen vor Kurzem eine SARS-CoV-2-Infektion per Schnelltest oder PCR-Test nachgewiesen wurde. Es sollen Wirksamkeit und Verträglichkeit von Niclosamid im frühen Stadium der Infektion, also bei mildem bis moderatem Covid-19 getestet werden (NCT04750759).
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten über sieben Tage eine orale Kombinationstherapie aus Niclosamid (2000 mg einmal täglich) und Camostat (600 mg viermal täglich) oder Placebo. Camostat ist ein Serin-Protease-Inhibitor und in Japan zur Behandlung von chronischer Pankreatitis und Reflux-Ösophagitis zugelassen. Dieser Arzneistoff konnte im Tiermodell ebenfalls die Replikation von SARS-CoV-2 hemmen. Die Forscher erhoffen sich von der Kombination einen synergistischen Effekt.
Als Wirkmechanismus für Niclosamid gegen SARS-CoV-2 wird postuliert, dass sich das Wurmmittel positiv auf die Autophagie, den Recycling-Mechanismus der Wirtszellen, auswirkt. »Viren sind für ihre Vermehrung von der Maschinerie der Wirtszelle abhängig und nutzen deren molekulare Bausteine«, heißt es in der Pressemitteilung der Charité. »Um vom Immunsystem nicht entdeckt zu werden, müssen sie gleichzeitig dafür sorgen, dass sie den zellulären Überwachungssensoren entgehen. Dazu manipulieren sie verschiedene Prozesse innerhalb der gekaperten Zelle.« Jedes Virus verfolge dabei eine unterschiedliche Strategie.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass SARS-CoV-2 die Autophagie drosselt. »Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass SARS-CoV-2 zwar die Bausteine der Zellen für seine eigenen Zwecke nutzt, ihnen gleichzeitig aber auch Nahrungsreichtum vortäuscht und damit das zelluläre Recycling bremst«, erklärt Gassen. »Vermutlich entgeht SARS-CoV-2 so seinem eigenen Abbau, denn auch Viren werden von der Zelle per Autophagie entsorgt«, ergänzt Müller. »Dieselbe Umprogrammierungs-Strategie verfolgt auch das MERS-Coronavirus, für das wir die Hemmung der Autophagie bereits vor mehr als einem Jahr zeigen konnten.« Es gebe jedoch auch Coronaviren, die im Gegenteil die Autophagie anregen; dies seien insbesondere solche, die Tiere befallen.
Im ersten Schritt analysierten die Forschenden den Stoffwechsel und die Verarbeitung molekularer Signale in SARS-CoV-2-infizierten Zellen und Lungengewebe von Covid-19-Patienten. Dann untersuchten sie an SARS-CoV-2-infizierten Zellen die Wirkung von Substanzen, von denen bekannt ist, dass sie die Autophagie ankurbeln. Dabei erzielten sie vier Treffer: Neben Niclosamid wirkten auch die beiden körpereigenen Stoffe Spermin und Spermidin sowie der experimentelle Krebs-Wirkstoff MK-2206 replikationshemmend.
Spermin und Spermidin konnten die Virusproduktion um 90 beziehungsweise 85 Prozent drosseln. »Diese deutlichen Effekte von Spermidin und vor allem Spermin sind einerseits natürlich ermutigend, weil bei körpereigenen Stoffen erst einmal weniger Nebenwirkungen zu erwarten sind«, sagt Müller. »Allerdings haben wir mit Reinsubstanzen gearbeitet, die in dieser Form nicht für eine medikamentöse Einnahme geeignet sind.« Insbesondere Spermidin sei in der Zellkultur erst bei einer recht hohen Konzentration nennenswert wirksam.
»Bevor man die Polyamine für eine Behandlung von Covid-19 in Betracht ziehen kann, sind deshalb noch viele Fragen zu klären«, betont Müller. »Erreicht man im Organismus überhaupt eine Konzentration im Blut, die für eine Hemmung der Virusvermehrung in den Atemwegen ausreicht? Und wenn ja: Wäre eine Gabe vor oder während der Infektion sinnvoll? Gibt es Nebenwirkungen?«
»Unsere Erkenntnisse aus der Zellkultur sind aber ein guter Ausgangspunkt für Studien am Tiermodell«, meint der Forschungsleiter. Von einer Selbsteinnahme rät er deutlich ab – auch weil Viren Polyamine für ihre Vermehrung nutzen und es daher auf die richtige Dosierung ankommt. »Dasselbe gilt für das Fasten, das die Autophagie im Körper anregen kann: Es ist nicht klar, ob Covid-19-Patienten vom Fasten profitieren würden, da der Körper ja während einer Infektion viel Energie für die Immunreaktion braucht.«
Die vierte Substanz, MK-2206, ist ein Inhibitor der Proteinkinase AKT, der derzeit zur Behandlung verschiedener Krebsarten erprobt wird. »In der aktuellen Arbeit reduzierte MK-2206 die Produktion von infektiösen SARS-Coronaviren-2 um rund 90 Prozent, und zwar in Konzentrationen, die in einer früheren Studie im Blutplasma der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits erreicht wurde«, heißt es seitens der Charité. »Auf Basis unserer Daten halte ich MK-2206 für einen interessanten Wirkstoffkandidaten gegen Covid-19, der nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Analyse auch klinische Studien rechtfertigen würde«, so Virologe Müller.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.