| Theo Dingermann |
| 05.12.2025 10:30 Uhr |
In einem zu dem wissenschaftlichen Beitrag erschienenen »Feature« erweitert Stephanie Santos Paulo, Redakteurin beim BMJ, den Blick auf das Problem, indem sie die Perspektive sogenannter Patienten-Influencer einbezieht, die nicht primär Expertise, sondern ihre Krankenerfahrungen teilen.
Die Communitys dieser Influencer entstehen vor dem Hintergrund systemischer Unterversorgung, medizinischer Wartezeiten und erlebter »Medical Gaslighting«-Erfahrungen, in denen Ärzte oder anderes medizinisches Personal Beschwerden von Patienten herunterspielen, falsch deuten oder gar als übertrieben beziehungsweise eingebildet charakterisieren. Viele Betroffene berichten, dass Peer-Communities sie im Rahmen der Verteidigung ihrer Ansichten stärken, dass sich Symptome besser dokumentieren lassen und sogar zu Diagnosen geführt haben, die im Gesundheitssystem zuvor übersehen wurden.
Gleichzeitig zeigt das Feature die ambivalente Natur dieser Entwicklungen. Nicht selten profitieren die Patienten von kollektiver Erfahrung. Sie geraten andererseits aber auch in Kontakt mit unbewiesenen Behandlungsversprechen, vermeintlichen »Heilmitteln«, pseudowissenschaftlichen Erklärungen oder kommerziellen Produktplatzierungen.
Besonders problematisch werden bezahlte Partnerschaften zwischen Patienten-Influencern und Unternehmen gesehen, die rezeptpflichtige Medikamente oder fragwürdige Diagnostikprodukte bewerben. Während einige Influencer hohe Transparenzstandards praktizieren, ist der Markt insgesamt unübersichtlich, und regulatorische Eingriffe wie die Entscheidung der ASA (Advertising Standards Authority, UK) gegen das Unternehmen Saffpro, das sich nach eigener Darstellung der Herstellung »gesunder und funktioneller Produkte auf der Grundlage klinischer Studien und Untersuchungen« verschrieben hat, zeigen nur begrenzte Wirkung. Saffpro wurde von der ASA im Juni 2025 wegen irreführender und verantwortungsloser Gesundheitswerbung für seine Safran-haltigen Nahrungsergänzungsmittel gerügt.
Die Autorin beschreibt zudem ein wachsendes Spannungsfeld zwischen Ärzteschaft und Patienten-Communities: Kliniker stehen der Social-Media-Welt skeptisch gegenüber, während viele Patienten ihre Erfahrungen mit mangelnder Empathie oder Anerkennung im Gesundheitswesen verbinden. Einige Influencer versuchen aktiv, diese Lücke zu überbrücken, etwa durch Bildungsarbeit mit Medizinstudierenden.