Aufmerksamkeitsprobleme beim Kind durch die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft: Ein möglicher Zusammenhang ist immer mal wieder Gegenstand retrospektiver Studien. / Foto: Getty Images/Robert Daly
Paracetamol ist in den vergangenen Jahren aufgrund verschiedener Studien, die ein erhöhtes Risiko für asthmatische Beschwerden und spätere Fortpflanzungsstörungen bei weiblichen und männlichen Babys nahelegen, in die Diskussion geraten. Die Ergebnisse waren jedoch widersprüchlich und die beobachteten Effekte nur grenzwertig signifikant.
Auch die Beeinflussung der neuronalen Entwicklung durch die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft ist immer wieder im Gespräch. Verschiedene Studien weisen auf einen zum Teil dosisabhängigen Zusammenhang zwischen einer pränatalen Paracetamol-Exposition und dem Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten, vor allem von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindesalter, von Autismus und kognitiven Einbußen hin. In letzter Konsequenz konnten die Ergebnisse nicht bestätigt werden.
Deshalb bleibt Embryotox, das Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, dabei: Paracetamol gilt in der gesamten Schwangerschaft als gut verträgliches Analgetikum und Antipyretikum und ist daher das Mittel der Wahl bei Schmerzen und Fieber. Freilich ist es nur dann einzunehmen, wenn es medizinisch indiziert ist, und auch dann nur in der niedrigsten wirksamen Dosis für die kürzest mögliche Zeit.
Auf seiner Website geht Embryotox unter dem Stichpunkt »Erfahrungen« ausführlich auf eine 2021 publizierte Metaanalyse ein, die damals für viele Diskussionen gesorgt hatte, weil sie als Konsensuserklärung von Neurologen im Fachjournal »Nature Reviews Endocrinology« publiziert worden war.
Die Berliner Experten schließen sich dem Statement von ENTIS (European Network of Teratology Information Services), also dem europäischen Netzwerk von Pharmakovigilanzzentren, an.
Dieses hatte an der Konsensuserklärung kritisiert, dass die dort aufgeführten Beweise für eine mögliche schädliche Auswirkung eines Paracetamol-Gebrauchs auf den Feten nur schwach, widersprüchlich und größtenteils grundlegend fehlerbehaftet seien. So sollen unter anderem klinische Schlussfolgerungen aus Daten gezogen worden sein, die keine Kausalitätsbewertung zulassen. Erbliche Aspekte, die einen wesentlichen Risikofaktor für die Entstehung einer ADHS oder eines Autismus darstellen, würden gar nicht beachtet.
Die Auswertungen seien zum Teil anhand von nicht validierten Fragebögen erfolgt. Zudem seien die zitierten Studien, die die urogenitale Entwicklung der Kinder untersucht hatten, wenig überzeugend. Ergebnisse, die keinen Zusammenhang gezeigt hatten, seien bewusst nicht veröffentlicht worden.
Das Netzwerk kommt zu dem Schluss, dass Paracetamol nach wie vor Mittel der ersten Wahl in der Schwangerschaft ist, natürlich unter der Prämisse, es so kurz und so niedrig dosiert wie möglich einzusetzen.
Zuletzt sorgte eine im Herbst vergangenen Jahres im Fachjournal »PLOS ONE« publizierte Studie für Gesprächsstoff. Sie stellt eine Teil-Auswertung der First Baby Study (FBS) dar, an der in den Jahren 2009 bis 2011 insgesamt 3006 Erstgebärende im US-Bundesstaat Pennsylvania teilgenommen hatten.
Die FBS sollte untersuchen, wie sich die Art der Entbindung des ersten Kindes auf spätere Schwangerschaften auswirkt. Ebenfalls erfasst wurden das persönliche Stressempfinden und der Medikamentengebrauch der Mütter während der Schwangerschaft per Selbstauskunft im dritten Trimenon.
Für die Analyse berücksichtigten die Autoren um Professor Dr. Kristin K. Sznajder vom Pennsylvania State University College of Medicine in Hershey 2423 Mutter-Kind-Paare der FBS, für die zusätzlich zu diesen Angaben auch eine Einschätzung des Kindes im Alter von drei Jahren vorlag. Diese hatten die Mütter anhand der 99 Punkte umfassenden Child Behavior Checklist (CBCL) selbst vorgenommen.
Die CBCL erlaubt eine Beurteilung von entwicklungsneurologischen und das Verhalten betreffenden Eigenschaften von Kleinkindern. Besonderen Wert legte das Sznajder-Team darauf, inwiefern die Mütter in der Schwangerschaft gestresst gewesen waren, weil der Stressfaktor nach ihrer Meinung in bisherigen Untersuchungen zu wenig berücksichtigt geblieben war.
Die Auswertung ergab, dass Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft gestresst gewesen waren, in allen sieben Kategorien der CBCL – emotionale Reaktivität, Ängstlichkeit/Depressivität, somatische Beschwerden, Introvertiertheit, Schlafprobleme, Aufmerksamkeitsprobleme und Aggressivität – signifikant erhöhte Werte aufwiesen.
Beim höchsten Stresslevel reichten die Anstiege von 22,1 Prozent bei somatischen Beschwerden bis 40,7 Prozent bei Aufmerksamkeitsproblemen. Die Kinder der 1011 Mütter, die in der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen hatten, schnitten in den drei CBCL-Kategorien Introvertiertheit, Schlaf- und Aufmerksamkeitsprobleme signifikant höher ab als der Rest. Wurden jedoch der Faktor »mütterlicher Stress« und andere mögliche Verzerrungen in die Berechnung mit einbezogen, war das Risiko nur noch für Schlaf- und Aufmerksamkeitsprobleme signifikant erhöht (adjustierte Odds Ratio 1,23 beziehungsweise 1,21).
Aus Sicht der Autoren bestätigen diese Ergebnisse, dass die Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft zurückhaltend erfolgen müsse. Der beobachtete Risikoanstieg war zwar nicht erheblich. Da Paracetamol aber so überaus häufig angewendet werde, sei dennoch damit zu rechnen, dass sich daraus ein Gesundheitsproblem ergebe, das unter Public-Health-Gesichtspunkten relevant ist.
| Analgetischer Wirkstoff | Erfahrungsumfang | Empfehlung Embryotox | Besser geeignete Alternativen |
|---|---|---|---|
| Paracetamol | hoch | Analgetikum und Antipyretikum der Wahl in jeder Phase der Schwangerschaft im üblichen Dosisbereich, Maximaldosis von 4 g/d sollte nicht überschritten werden, keine mehrwöchige unkritische Einnahme | im 3. Trimenon keineim 1. und 2. Trimenon (nicht im 3. Trimenon!) ggf. Ibuprofen |
| Ibuprofen | sehr hoch | Ibuprofen gehört in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl. Im letzten Trimenon (ab Woche 28) sind NSAR zu meiden. | keinealternativ Paracetamol in der gesamten Schwangerschaft |
| Acetylsalicylsäure | hoch | ASS ist in der Schwangerschaft bis Woche 28 Analgetikum und Antipyretikum der zweiten Wahl. Eine Low-dose-Behandlung kann bei entsprechender Indikation in der ganzen Schwangerschaft durchgeführt werden. | als Analgetikum und Antipyretikum Ibuprofen und Diclofenac (im 1. und 2. Trimenon), Paracetamol in gesamter Schwangerschaft |
Dr. Wolfgang Paulus, Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitätsfrauenklinik Ulm (Reprotox), schränkt jedoch ein, dass die Ergebnisse dieser Studie nur »grenzwertig signifikant« seien. Denn in beiden Kategorien, in denen eine signifikante Risikoerhöhung festgestellt wurde, lag die untere Grenze des Konfidenzintervalls der aOR bei 1,01. Damit bestehe statistisch nur ein »marginaler Zusammenhang«.
Er betont: »Eine kausale Verknüpfung zwischen Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten der Kinder ist damit keinesfalls nachgewiesen.« Es sei nicht unbedingt die Anwendung selbst, die zu hinterfragen ist. Vielmehr sei sie mit Bedacht zu erfolgen. Festzuhalten sei zudem, dass andere Analgetika wie nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) oder Opioide bei Schwangeren definitiv keine besseren Alternativen seien.
Insgesamt übt der Experte scharfe Kritik an der Art und Weise, wie zu diesem Thema geforscht und publiziert wird: »Die grenzwertig signifikanten Resultate in etlichen Studien zu Entwicklungsstörungen nach mütterlicher Einnahme von Paracetamol erwecken den Eindruck eines Publikationsbias.«
In der Tat kann man sich fragen, warum zum Beispiel die Autoren der Publikation die Daten dieser FBS-Kohortenstudie, in der es eigentlich um etwas ganz anderes ging, ausgerechnet hinsichtlich der Paracetamol-Anwendung ausgewertet haben.