Orale Therapie sicher gestalten |
Eine orale Tumortherapie ist häufig eine Dauertherapie. Eine gute Adhärenz spielt eine zentrale Rolle, da andernfalls ein unzureichender Therapieerfolg und im schlimmsten Fall ein Therapieversagen drohen. In Studien wird für Patienten mit einer oralen Tumortherapie eine sehr variable Adhärenzrate von 46 bis 100 Prozent beschrieben (4).
Trotz der im Gegensatz zu anderen Erkrankungen höheren Adhärenz besteht die Gefahr, dass ein Teil der Patienten im Lauf der Zeit non-adhärent wird. Insbesondere die teilweise sehr belastenden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Hand-Fuß-Syndrom oder Obstipation verleiten zu einer eigenmächtigen Dosisreduktion oder zum Absetzen des Medikaments.
Apotheker sollten deshalb einen besonderen Fokus auf die Adhärenzförderung legen. Dabei ist es wichtig, die Patienten neben allgemeinen Informationen zu ihren Medikamenten auch spezifisch über den Nutzen und das Ziel der Therapie aufzuklären und Vorurteile oder Fehlinformationen auszuräumen. Adhärenzfördernd ist auch die Einbindung der Therapie in den Alltag. Dazu gehört das Führen eines Patiententagebuchs, die Ausgabe eines patientenindividuellen Dosierungsplans oder die Nutzung von Erinnerungshilfen wie Apps oder Wecker.
In zwei Studien an der Universität Bonn wurde die Adhärenz unter einer Therapie mit Capecitabin (Xeloda®) untersucht. Die Ergebnisse der ersten Studie zeigen, dass die Adhärenz der meisten Patienten hoch ist, aber nicht bei allen. Unter einer pharmazeutischen Betreuung gab es praktisch keine Patienten mit geringer Adhärenz (5). In der zweiten Studie wurden mithilfe eines elektronischen Monitoringsystems zunächst non-adhärente Patienten identifiziert und deren Adhärenz durch gezielte Interventionen verbessert (6).
Bei der oralen Tumortherapie kann es zu zahlreichen Interaktionen kommen, die im schlimmsten Fall zu schweren Nebenwirkungen oder einem Therapieversagen führen können.
Schockierende Diagnose: Jetzt kann sich die Patientin keine Hinweise zu ihren Medikamenten merken. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Eine Arzneistoffgruppe, die bei besonders vielen Zytoralia zu Problemen führen kann, ist die der Protonenpumpeninhibitoren (PPI). Durch die Erhöhung des Magen-pH-Werts verringert sich bei einigen Wirkstoffen, insbesondere bei Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), die Löslichkeit im Magensaft. Dies führt zu einer geringeren Arzneistoffkonzentration im Plasma und kann mit einem geringeren progressionsfreien Überleben assoziiert sein (7). Relevante Interaktionen sind beispielsweise beschrieben für Bosutinib, Ceritinib, Dasatinib, Erlotinib, Gefitinib, Lapatinib, Neratinib, Nilotinib, Pazopanib und Sotorasib.
Zunächst sollte das Apothekenteam die Indikation des PPI kritisch hinterfragen, gerade wenn diese Wirkstoffe in Selbstmedikation eingenommen werden. Eventuell könnten Patienten, die einen von dieser Interaktion betroffenen TKI einnehmen, mit anderen magensäuresenkenden Medikamenten behandelt werden. Infrage kommen beispielsweise H₂-Antihistaminika wie Famotidin, die aufgrund ihrer geringeren Halbwertszeit zeitversetzt zur oralen Tumortherapie eingenommen werden können. Die genauen Empfehlungen variieren je nach Onkologikum. Die Fachinformationen von Nilotinib und Pazopanib empfehlen zum Beispiel die Gabe des TKI zwei Stunden vor oder zehn Stunden nach Einnahme eines H₂-Antihistaminikums.
Eine Alternative sind Antazida, die ebenfalls eine deutlich kürzere Halbwertszeit als PPI haben. Die meisten TKI können zwei Stunden vor oder vier Stunden nach einem Antazidum eingenommen werden. Ist der PPI unverzichtbar, kann laut verschiedenen Studien die gleichzeitige Einnahme des TKI mit einem Colagetränk erwogen werden. Das Getränk kann den Magen-pH-erhöhenden Effekt des PPI teilweise ausgleichen, was zu einer besseren Löslichkeit und damit auch zu höheren Plasmakonzentrationen führt (8).
Viele orale Tumormedikamente interagieren außerdem mit CYP-Enzymen, allen voran CYP3A4. So kann die Einnahme eines starken CYP3A4-Induktors wie Rifampicin die Plasmakonzentration bestimmter Zytoralia wie Nilotinib erheblich senken und damit den Erfolg der Therapie stark gefährden (9). Hinzu kommt, dass Zytoralia nicht nur CYP-Substrate sind, sondern auch selbst CYP-Inhibitoren oder -Induktoren sein können (Tabelle 1).
Grapefruitsaft ist lecker, verträgt sich aber mit vielen Arzneistoffen nicht. / Foto: Adobe Stock/TwilightArtPictures
Daher sollten Apotheker bei der pharmazeutischen Betreuung ein besonderes Augenmerk auf mögliche CYP-Interaktionen mit der Begleitmedikation legen. Im Patientengespräch sind auch die Selbstmedikation und die Ernährungsgewohnheiten zu berücksichtigen, um eine mögliche Einnahme von CYP-Induktoren und -Inhibitoren, zum Beispiel in Johanniskraut-Präparaten und Grapefruitsaft, auszuschließen.
Auch in anderer Hinsicht spielen Nahrungsmittel eine zentrale Rolle. So sind etwa bei der Hälfte der oralen Tumormedikamente Einnahmehinweise bezüglich der Nahrungsaufnahme zu beachten (10). Patienten sollten deshalb bei Neuverordnung immer auf den korrekten Einnahmezeitpunkt ihrer Medikation hingewiesen werden (Tabelle 2).
Bei manchen Medikamenten steigt die Bioverfügbarkeit bei gleichzeitiger Einnahme von Nahrung, was die Toxizität erhöhen kann. Man spricht von einem »positiven Food-Effekt«. Umgekehrt verhält es sich beim »negativen Food-Effekt«: Bei gleichzeitiger Einnahme mit Nahrung sinken die Bioverfügbarkeit und damit die Wirksamkeit. Substanzen ohne klinisch relevanten Food-Effekt kann der Patient unabhängig von den Mahlzeiten schlucken.
Zusätzlich kann auch die Zusammensetzung der Nahrung die Plasmakonzentrationen von oralen Tumormedikamenten beeinflussen. Besonders fettreiche Mahlzeiten können die Plasmakonzentrationen einiger Substanzen wie Abirateronacetat, Sonidegib oder Midostaurin deutlich stärker erhöhen als eine fettarme Mahlzeit (11). Generell sollte die Einnahme in Bezug zur Nahrung immer standardisiert erfolgen. Bei plötzlich auftretenden Nebenwirkungen sollten Apotheker die Patienten auch nach Änderungen im Einnahmeverhalten fragen.
Arzneistoff | Substrat von CYP | Induktor/Inhibitor |
---|---|---|
Abemaciclib | 3A4 | – |
Alectinib | 3A4 | – |
Bosutinib | 3A4 | – |
Brigatinib | 2C8, 3A4 | 3A4-Induktor |
Dabrafenib | 2C8, 3A4 | 2B6-/2Cx-/3A4-Induktor |
Erlotinib | 1A2, 3A4 | – |
Everolimus | 3A4 | – |
Lapatinib | 2C8, 2C19, 3A4 | 2C8-/3A4-Inhibitor |
Lorlatinib | 2C8, 2C19, 3A4, 3A5 | 3A4-Induktor |
Midostaurin | 3A4 | 1A2-/2B6-/3A4-Induktor |
Nilotinib | 2C8, 3A4 | 2C8-/2C9-/2D6-/3A4-Inhibitor |
Palbociclib | 3A4 | 3A4-Inhibitor |
Panobinostat | 2C19, 2D6, 3A4 | 2D6-Inhibitor |
Ribociclib | 3A4 | 3A4-Inhibitor |
Venetoclax | 3A4 | – |
Vinorelbin | 3A4 | – |
Einnahmehinweis bezüglich Nahrung | Arzneistoffe (Beispiele) |
---|---|
kann mit oder ohne Mahlzeit eingenommen werden | Hydroxycarbamid, Lenalidomid, Palbociclib (Ftbl.), Sunitinib |
mindestens eine Stunde vor oder zwei Stunden nach einer Mahlzeit | Abirateron, Erlotinib, Nilotinib, Temozolomid |
mit einer Mahlzeit | Bosutinib, Imatinib, Tamoxifen, Vinorelbin |
innerhalb von einer Stunde nach einer Mahlzeit | Trifluridin/Tipiracil |
innerhalb von 30 Minuten nach einer Mahlzeit | Capecitabin |