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Hereditäres Angioödem

Orale Konkurrenz für Lanadelumab

Nachdem 2019 der Antikörper Lanadelumab in der Therapie des hereditären Angioödem einen Fortschritt gebracht hat, folgt nun ein weiterer. Der neue Wirkstoff Berotralstat muss nicht injiziert werden, sondern ist oral bioverfügbar.
Sven Siebenand
24.06.2021  07:00 Uhr

Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene genetische Erkrankung. Sie führt zu wiederholten Ödemattacken in verschiedenen Körperregionen. Diese können, wenn sie zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt oder den Genitalien auftreten, sehr schmerzhaft sein. Ödeme in den Atemwegen sind lebensbedrohlich. Die Schwellungen entwickeln sich meistens langsam über einen Zeitraum von 12 bis 36 Stunden und klingen danach über zwei bis fünf Tage wieder ab.

Ursache des HAE ist ein angeborener Mangel oder eine Funktionsstörung des C1-Inhibitors (C1-INH), eines wichtigen Regulators des Kallikrein-Kinin-Systems des Körpers. Folge davon ist eine fehlende Kontrolle dieses Systems, was zu einer permanenten vermehrten Bildung des Peptidhormons Bradykinin führt. Dieses vermittelt durch Vasodilatation und erhöhte Kapillarpermeabilität die Ödembildung.

Wie das bereits 2019 eingeführte Lanadelumab (Takhzyro®) ist der seit Mitte Juni verfügbare neue Wirkstoff Berotralstat (Orladeyo® 150 mg Hartkapseln, BioCryst Ireland) ein Hemmstoff von Plasma-Kallikrein. Durch die Blockade dieser Serinprotease wird weniger Bradykinin freigesetzt und das Entstehen der Ödemattacken verhindert. Anders als Lanadelumab kann Berotralstat oral eingenommen werden. Zugelassen ist es ab einem Alter von zwölf Jahren zur routinemäßigen Prävention wiederkehrender HAE-Attacken. Das Medikament ist – wie Lanadelumab – nicht zur Akutbehandlung von Attacken vorgesehen.

Berotralstat wurde in einer placebokontrollierten und randomisierten Doppelblindstudie mit 120 Patienten untersucht. Die mediane Attackenrate während der Einleitungsphase betrug 2,9 pro Monat. Berotralstat in einer täglichen Dosis von 150 mg führte gegenüber Placebo im Hinblick auf den primären Endpunkt über einen Zeitraum von 24 Monaten zu einer statistisch signifikanten und klinisch bedeutsamen Reduktion der Rate an HAE-Attacken (Rate pro 28 Tage: 1,31 versus 2,35 Attacken). Der Wirkstoff reduzierte zudem die Rate der HAE-Attacken, die eine Standardbehandlung für akute Attacken erforderten (Rate pro 28 Tage: 1,04 versus 2,05 Attacken). Auch eine Befragung der Patienten zur Lebensqualität verzeichnete eine Verbesserung zugunsten der Behandlung mit Berotralstat.

Die empfohlene Dosis des neuen Pharmakons beträgt 150 mg einmal täglich. Die Hartkapseln sollten mit dem Essen eingenommen werden, um die Wahrscheinlichkeit gastrointestinaler unerwünschter Ereignisse zu reduzieren.

Sehr häufige Nebenwirkungen sind Kopf- und Abdominalschmerz sowie Durchfall. Häufig beobachtet wurden Erbrechen, gastroösophagealer Reflux, Flatulenz, Ausschlag und Leberenzym-Erhöhungen.

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