Nicht immer Bösewichte |
30.09.2018 08:00 Uhr |
Auch das ist ein Virus, aber ein auf Bakterien spezialisiertes: ein Bakteriophage. Foto: Shutterstock/nobeastsofierce
Durch die Brille des Naturwissenschaftlers betrachtet, sind Viren faszinierende und extrem vielfältige Spielarten der Natur. Dies gilt für Struktur und Biochemie ebenso wie für ihre Wirtsspezifität und Pathogenität. Sind die einen extrem wählerisch, was den Wirt betrifft, so infizieren andere Menschen und Tiere. Manche sind hoch pathogen, andere harmlos. Heutzutage liefern Viren das Ausgangsmaterial für Transportsysteme in Zellen und sogar in den Zellkern hinein, attackieren Tumoren und ermöglichen Gentherapie. Viren sind beileibe nicht nur »bad guys«, also Bösewichte.
Erstaunlicherweise haben sich in der belebten Natur recht unterschiedliche Lebensformen entwickelt, und Viren gehören sicherlich zu den sehr außergewöhnlichen und spannenden Spielarten. Letztlich sind sie nur Informationspakete aus Nukleinsäuren mit etwas Strukturmaterial drumherum, die immer eine richtige Zelle brauchen, um sich vermehren (lassen) zu können.
Für jede lebende Zelle gibt es auch die passenden Viren: seien es die Viren für Bakterien, die auch als Bakteriophagen bezeichnet werden, oder die für pflanzliche, tierische und menschliche Organismen. Schätzungen zufolge übersteigt die weltweit vorhandene Gesamtzahl der Viruspartikel die Anzahl aller Zellen um das Zehnfache (1). Und vermutlich ist selbst das noch zu niedrig veranschlagt.
Hier waren offenbar Erkältungsviren am Werk.
Foto: Fotolia/Paolese
So vielfältig wie die Zielzellen sind auch die Virionen, also die infektiösen Viruspartikel mit ihren biochemischen Mechanismen und Replikationsstrategien. Während sowohl die Bakterien als auch die eukaryontischen Zellen sehr einheitlich doppelsträngige DNA (dsDNA) als Informationsspeicher verwenden und der Informationsfluss stets über RNA-Moleküle hin zum Protein verläuft, finden sich in den Viruspartikeln manchmal dsDNA, manchmal aber auch einzelsträngige DNA (ssDNA) oder aber doppelsträngige und auch einzelsträngige RNA (dsRNA oder ssRNA) als genetisches Material.
Besteht das virale Genom aus ssRNA, werden sogenannte Plusstrang- und Minusstranggenome unterschieden. Dabei kann die Plusstrang-RNA in der Zielzelle sofort als mRNA genutzt und in Protein translatiert werden, während die Minusstrang-RNA erst noch in die komplementäre Sequenz kopiert werden muss. Sowohl bei den DNA- als auch bei den RNA-Viren gibt es zudem Varianten, die mithilfe eines speziellen Enzyms, der Reversen Transkriptase, ihr Genom in dsDNA umschreiben. Bekannte Beispiele dafür sind das Hepatitis-B-Virus, das seine partielle ssDNA über ein RNA-Intermediat repliziert, und natürlich HIV, dessen ssRNA-Genom, kopiert in ds-DNA, in das Genom der Wirtszelle integriert (Abbildung 1).
Abbildung 1: Baltimore-Klassifizierung der Viren anhand der enthaltenen Nukleinsäuren. Je nach Ausgangsmolekül im Virus müssen in der Wirtszelle Zwischenschritte erfolgen, bevor eine virusspezifische mRNA zur Verfügung steht, die als Vorlage für die Proteinsynthese genutzt wird. Für jede Virusgruppe sind humanspezifische Beispiele aufgeführt (1). Grafik: Zündorf
Neben den verschiedenen Genomstrukturen lassen sich die Viren auch anhand der Hüllstrukturen um die Nukleinsäuren herum unterscheiden: Sind sie nur von einem Proteincapsid umgeben oder ist zusätzlich noch eine Lipidhülle vorhanden? Alle diese Materialien liefert die Wirtszelle, zum einen über den Proteinbiosynthese-Apparat und zum anderen gegebenenfalls über das Membransystem der Zelle. Meist nehmen die Viruspartikel beim Verlassen der Wirtszelle etwas Plasmamembran mit; teilweise werden aber auch Membranstücke des endoplasmatischen Retikulums für die Virushülle genutzt.
Das Erstaunliche und vielleicht auch Faszinierende an Viren ist sicherlich ihre enorme Wirtsspezifität. Dass Bakteriophagen in einer antimikrobiellen Therapie in Patienten nur die Pathogene angreifen und dabei die normale Darmflora in Ruhe lassen, ist ein großer Vorteil gegenüber einem breit wirksamen und Vieles zerstörenden Antibiotikum – ein Ansatz, der jetzt auch wieder verstärkt beforscht wird. Nur dadurch, dass das Pockenvirus dermaßen fixiert auf den Menschen ist/war, konnte dieser Krankheitserreger über eine global organisierte Impfkampagne schließlich komplett ausgerottet werden – kein Kind wird inzwischen noch gegen Pocken geimpft! Dieses tolle Ergebnis wäre auch bei anderen viral bedingten Infektionskrankheiten möglich, sei es Polio, Masern oder Windpocken.
Die Spezifität geht bei manchen Viren sogar so weit, dass sie nur ganz bestimmte Zellen innerhalb eines Organismus infizieren. Man denke nur an HI-Viren, die die T-Helferzellen in unserem Körper präferieren (Abbildung 2) oder an Hepatitis-Viren. Obwohl sie bezüglich ihrer systematischen Klassifizierung überhaupt nicht miteinander verwandt sind, haben die Hepatitis-A-, -B-, -C-, -D- und -E-Viren doch alle eine erstaunliche Vorliebe für Leberzellen. Welche Zellen genau bevorzugt werden, hängt von deren Oberflächenstrukturen ab, mit denen die Viruspartikel interagieren müssen, um eine Zelle erfolgreich befallen zu können.
Abbildung 2: Lebenszyklus eines Virus am Beispiel von HIV. Viren mit einer Lipidhülle können unter Umständen direkt mit der Membran der Wirtszelle verschmelzen und ihren Inhalt ins Zytoplasma entlassen. Je nach Replikationsstrategie werden die viralen Nukleinsäuren und Proteine gebildet. Grafik: Zündorf
Auf der anderen Seite existieren die für die Infektion nötigen Oberflächenmoleküle eventuell nicht nur im Menschen, sondern auch in Tieren. Bekanntes und gefürchtetes Beispiel ist das Influenza-A-Virus, das über sein Oberflächenprotein Hämagglutinin Sialinsäure-haltige Zuckerstrukturen auf Wirtszellen erkennt. Je nach Hämagglutinin-Subtyp können beispielsweise sowohl Menschen als auch Schweine oder Enten infiziert werden (2).
Und dann gibt es noch diejenigen Viren, die sich von Vektoren, zum Beispiel Zecken, wie das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus, oder Stechmücken wie Zika- oder Dengue-Viren übertragen lassen und sich in ganz unterschiedlichen Wirten aufhalten können.
Besonders auffällig sind natürlich Viren, die in irgendeiner Form eine Krankheit hervorrufen. Bei einer Erkrankung wird aktiv nach der Ursache gesucht, die Viren werden am einfachsten entdeckt und auch das Bestreben, irgendetwas gegen sie unternehmen zu können, ist dann am größten. Dennoch gibt es durchaus Viren, die keine signifikante Krankheit auslösen, wie Adeno-assoziierte Viren, das BK-Polyomavirus oder das Torque-Teno-Virus (1).
Trotz aller Selektivität: Manche Viren mögen beide, Mensch und Huhn. Foto: Shutterstock/WichitS
Die Durchseuchung der Bevölkerung mit derartigen Viren kann teilweise über 70 Prozent liegen, wird aber nur zufällig indirekt entdeckt, wenn beispielsweise eine Blutprobe auf spezifische Antikörper getestet wird. Denn auch wenn beispielsweise das BK-Polyomavirus nicht pathogen ist, wird es vom Immunsystem dennoch als fremd erkannt, und der Körper bildet Abwehrstoffe in Form von Antikörpern. Allerdings können manche an und für sich als apathogen klassifizierte Viren in einem immunsupprimierten Organismus durchaus schwere Komplikationen auslösen.
Mit dem Wissen um die vielfältigen und doch sehr spezifischen Vermehrungszyklen der Viren wuchsen auch Ideen, wie sich diese Infektionsstrategien therapeutisch nutzen ließen. Die naheliegendste und sehr früh angewandte Nutzung von Viren war die als Impfstoff.
Impfungen, zum Beispielgegen Polio, haben vielen viralen Erregern den großen Schrecken genommen. Foto: Fotolia/Sergio Fomin
Bereits Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts basierte die erste Schutzimpfung, die Edward Jenner gegen die durch das Variola-Virus ausgelösten Pocken anwendete, auf nahe verwandten, aber eher ungefährlichen Vaccinia-Viren. Auch in modernen Impfstoffen gegen Virusinfektionen sind abgeschwächte oder abgetötete Viren beziehungsweise isolierte Oberflächenmoleküle enthalten. Leere Virushüllmembranen mit den spezifischen Oberflächenstrukturen, aber ohne genetisches Informationsmaterial eignen sich nicht nur als sichere Impfstoffe oder Adjuvanzien, sondern auch als Transportvehikel für Arzneistoffe, Nukleinsäuren oder Peptide (3).
Diese Art Transportsysteme, die sogenannten Virosomen, sind ähnlich aufgebaut wie Liposomen, bestehen also aus einer Lipidmembran, die einen Hohlraum umschließt. Sie sind aber zusätzlich ausgestattet mit den virusspezifischen Membranproteinen. Dadurch behalten sie ihre Eigenschaft, bestimmte Zellen zu infizieren, ohne jedoch Schaden anzurichten.
Die ersten Virosomen stammten von Influenzaviren ab, wurden über das membranständige Hämagglutinin zunächst rezeptorvermittelt endosomal aufgenommen und entließen ihren Inhalt nach der Membranfusion ins Zytoplasma der Wirtszelle (Abbildung 3). Die Variationsmöglichkeiten mit diesen Virosomen sind enorm. Abgesehen davon, dass unterschiedliche Zytostatika und andere niedermolekulare Wirkstoffe hoch dosiert darin transportiert werden können, können auch (Antisense-)Nukleinsäuren oder Peptide darüber sehr elegant in die Zielzellen eingebracht werden. Um nicht nur die normalerweise von Influenzaviren über das Hämagglutinin angesteuerten Wirtszellen zu adressieren, dienen zusätzliche Oberflächenmoleküle, zum Beispiel spezifische Antikörper(-fragmente) auf den Virosomen, als Interaktionspartner für bestimmte Zielmoleküle.
Abbildung 3: Wirkmechanismus eines von Sendai-Viren abgeleiteten Virosoms. Die Hülle besteht aus einer Phospholipid-Doppelschicht, in die Fusionsproteine und Hämagglutinin eingelagert sind (oben). Verschiedene Wirkstoffmoleküle, zum Beispiel Arzneistoffe, Proteine, Peptide, siRNA oder Plasmid-DNA, werden in die Virosomen eingebaut. Über Hämagglutinin bindet dieses an die Oberfläche der Wirtszelle. Das Fusionsprotein sorgt für die Fusion der Membranen (unten rechts), und der Inhalt des Virosoms wird in das Zytoplasma der Zelle entlassen. Modifiziert nach (6). Grafik: Zündorf
Neben Influenza- wurden auch andere Viren als Ausgangsmaterial für Virosomen eingesetzt, zum Beispiel Hepatitis-B-, HI-, Newcastle- und vor allem Sendai-Viren. Der Vorteil des Sendai- wie auch des Newcastle-Virus besteht darin, dass deren Virushülle mithilfe eines membranständigen Fusionsproteins direkt mit der Zytoplasmamembran fusionieren kann, ohne den Weg über das Endosom der Zielzelle einzuschlagen. Die Sendai-basierten Virosomen sind zudem in der Lage, das Immunsystem zu stimulieren, um Tumorzellen zu bekämpfen (4).
Der eigentliche Plan besteht allerdings darin, dass Peptide, die über Virosomen in eine Krebszelle transportiert werden, über MHC-I-Moleküle wiederum auf der Zelloberfläche präsentiert werden und darüber das Immunsystem gegen den Tumor aktivieren. Diese Art, Tumorzellen mit neuen Antigenen sichtbar für Immunzellen zu machen, wird auch als Xenogenisierung bezeichnet und kann sowohl über eine Infektion mit Viren oder Virosomen als auch über Behandlung beispielsweise mit Dacarbazin erreicht werden (5).
Der Übergang von Virosomen mit einer Nukleinsäure-Beladung über entwaffnete Viruspartikel für die Gentherapie bis hin zu manipulierten, vermehrungsfähigen onkolytischen Viren ist fließend. Allerdings macht es einen erheblichen Unterschied in der Herstellung und Verwendung der Partikel, inwieweit die Virionen tatsächlich noch infektiös und funktionsfähig sind. Die Nukleinsäuren, die über Virosomen oder Viruspartikel in Zellen eingeschleust wurden, können vielfältig genutzt werden: als mRNA für die Synthese von Neoantigenen, als small interfering (si)RNA für das gezielte Ausschalten einer zellulären mRNA oder als DNA für die Gentherapie (6).
Gerade für die Gentherapie sind üblicherweise modifizierte Viruspartikel die besseren Transportvehikel. Während Virosomen ihren Inhalt im Zytoplasma der Zielzelle abladen, was für Proteine, siRNA oder mRNA als Wirkort ausreicht, muss DNA für die Gentherapie in den Zellkern gelangen – ein eher schwieriges Ziel. In diesem Fall helfen die richtigen Viren, deren intrinsisches Bestreben darin liegt, ihr Genom in den Zellkern der Wirtszelle einzuschleusen.
Die bisher für (prä-)klinische Gentherapiestudien verwendeten viralen Vektoren wurden dahingehend ausgesucht, dass sie möglichst viele verschiedene menschliche Zellen möglichst effizient infizieren. Sie basieren auf Retroviren, Lentiviren, Adenoviren oder Adeno-assoziierten Viren (AAV) (7).
Während Retro- und Lentiviren ihr Genom in das Genom der Wirtszelle integrieren und dadurch eventuell gravierende Mutationen innerhalb wichtiger Gene induzieren, liegt die DNA von Adenoviren als zusätzliche ringförmige DNA (episomal) im Zellkern vor und kann nur für eine vorübergehende Genexpression genutzt werden. AAV-Genome integrieren in seltenen Fällen ebenfalls, bleiben meist jedoch extrachromosomal.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen viralen Vektoren liegt darin, dass Retroviren nur sich teilende Zellen attackieren, während die Lenti- und Adenoviren ebenso wie AAV auch ruhende Zellen infizieren (7). Um diese Viren als Gentherapeutika nutzen zu können, müssen ihre Genome derart entschärft werden, dass sie keine infektiösen Partikel mehr bilden können.
Das erste bisher zugelassene Gentherapeutikum Glybera® basierte auf einem AAV des Serotyps 1 und sollte zur Behandlung der Lipoproteinlipase-Defizienz eingesetzt werden. Doch wurde das Präparat bereits wieder vom Markt genommen (8). Die Behandlung sollte etwa 1 Million Euro kosten. Da der Zusatznutzen nicht gesichert war, musste jeder Fall einzeln entschieden werden – eine extrem unsichere Geschäftsgrundlage, die sich für die kleine herstellende Firma uniQure letztlich als nicht tragfähig erwies.
Insgesamt 13 verschiedene AAV-Serotypen mit unterschiedlichen Wirtszellspezifitäten sind bekannt und werden größtenteils auch für Gentherapie-Ansätze getestet. Ihr Vorteil ist, dass sie selbst nicht pathogen sind und üblicherweise für eine lang anhaltende Expression des eingebrachten Gens sorgen (7).
Adeno-assoziierten Viren (AAV) werden als Genfähren für Arzneistoffe eingesetzt. AAV können auch ruhende Zellen infizieren. Foto: Shutterstock/Kateryna Kon
Für die beiden vor Kurzem zugelassenen CAR-T-Zellpräparate Kymriah® und Yescarta® werden lentivirale beziehungsweise retrovirale Vektoren benutzt, um die genetische Information für den chimären Antigenrezeptor (CAR) in die isolierten T-Zellen des Patienten einzubringen (9). Bisher wurde noch nicht bekannt, ob in den CAR-T-Zellen irgendwo eine Mutagenese durch die Integration des viralen Vektors aufgetreten ist.
Ein weiteres, seit wenigen Jahren zugelassenes Arzneimittel, das auf ein Virus zurückzuführen ist, ist Imlygic®. Das Präparat ist indiziert für die »Behandlung von Erwachsenen mit nicht resezierbarem, lokal oder entfernt metastasiertem Melanom (Stadium IIIB, IIIC und IVM1a) ohne Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere viszerale Beteiligung« (10).
Hinter dem Wirkstoffnamen Talimogen laherparepvec verbirgt sich ein abgeschwächtes Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), bei dem zwei für die Pathogenität wichtige Gene ausgeschaltet und stattdessen noch zusätzlich die Information für den Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF) eingefügt wurden (11). Das Resultat ist, dass sich das Virus nach einer Injektion in das Tumorgewebe selektiv in den Krebszellen vermehrt und diese anschließend zerstört. Daher wird es auch als onkolytisches Virus bezeichnet. Gleichzeitig stimuliert der sezernierte GM-CSF das Immunsystem in der Umgebung des Tumors, auf die durch die Zelllyse freigesetzten Antigene zu reagieren. Somit werden die Tumorzellen gleichzeitig auf verschiedenen Wegen angegriffen und das Immunsystem nachhaltig auf die Zerstörung der Tumorzellen getrimmt (12, 13) (Abbildung 4).
Abbildung 4: Anti-Tumor-Immunität durch onkolytische Viren. Deren Vermehrung in Tumorzellen stimuliert Immunzellen, die in den Tumor rekrutiert werden. Aus Tumorgewebe mit immunsuppressiver Umgebung wird eine entzündliche Stelle mit aktiven Immunzellen. Makrophagen und T-Lymphozyten produzieren Zytokine, die weitere Immunzellen rekrutieren und Krebszellen aktiv zerstören können. Idealerweise entstehen Gedächtniszellen, die dann auch Rezidive eliminieren können. Modifiziert nach (12). Grafik: Zündorf
Mittlerweile wurden bereits ganz verschiedene onkolytische Viren basierend auf Adeno-, Herpes-, Reo-, Retro-, Masern-, Polio- und etlichen anderen Viren entwickelt (13). Die Ergebnisse aus Studien sind vielversprechend, allerdings ist das Problem der Injektion in das Tumorgewebe noch nicht gelöst: Manche Tumoren wie das Pankreaskarzinom sind nicht direkt erreichbar. Hier wäre eine intravenöse Applikation wünschenswert, unter der Maßgabe, dass sich die Viren selektiv im Tumorgewebe anreichern. Allerdings ist die intravenöse Gabe mit einem erhöhten Risiko verbunden, dass neutralisierende Antikörper gegen das onkolytische Virus gebildet werden, die dann wiederum die Behandlung unterlaufen (12).
Letztlich muss die Therapie so fein austariert werden, dass die Immunantwort gegen den Tumor diejenige gegen die applizierten Viren überwiegt. Das ist kein einfaches Unterfangen, weil der Tumorpatient als individuelle Variable mit involviert ist.
Durch die Brille des Wissenschaftlers betrachtet, sind die winzig kleinen Viren mit ihren unterschiedlichen Vermehrungsstrategien faszinierende Objekte. Ohne die biotechnologischen Werkzeuge aus Bakteriophagen und Viren, wie die Enzyme Reverse Transkriptase oder T4-DNA-Ligase, oder die M13-Phagen zur Sequenzierung und DNA-Mutagenese hätten sich die Molekularbiologie und Gentechnik in den 1970er-Jahren nicht so entwickeln können, wie sie es getan haben.
Wenn man nicht gerade selbst massiv unter einer Virusinfektion leidet, sind selbst die Pathogenitätsmechanismen von Influenza-, Zika- oder Ebolaviren spannende Lehrstücke. Viren sind nicht nur »bad guys« – mit dem nötigen Wissen und der nötigen Vorsicht können sie sogar als scharfe Waffen gegen andere Krankheiten eingesetzt werden.
Viren sind Teil unserer Existenz. Undenkbar ist, sie komplett auszurotten. Insofern ist es sehr vernünftig, möglichst viel über sie zu lernen, um sie zurückzudrängen, wenn es lebensgefährlich wird, oder um sie zu unserem Nutzen zu instrumentalisieren.
Autoren: Ilse Zündorf und Theo Dingermann
(1) Hulo, C., et al., ViralZone: a knowledge resource to understand virus diversity. Nucleic Acids Res. 39 (2011) D576-D582.
(2) Imai, M., Kawaoka, Y., The role of receptor binding specificity in interspecies transmission of influenza viruses. Curr Opin Virol. 2 (2012) 160–167.
(3) Kapoor, D., et al., A multipurpose and novel carrier for drug delivery and targeting – virosomes. J. Drug Delivery & Therapeutics 3 (2013) 143-147.
(4) Saga, K., Kaneda, Y., Virosome Presents Multimodel Cancer Therapy without Viral Replication. BioMed Research International. Vol 2013, Article ID 764706.
(5) Franzese, O., et al., Tumor immunotherapy: drug-induced neoantigens (xenogenization) and immune checkpoint inhibitors. Oncotarget. 8 (2017) 41641-41669.
(6) Liu, H., et al., Virosome, a hybrid vehicle for efficient and safe drug delivery and its emerging application in cancer treatment. Acta Pharm. 65 (2015) 105–116.
(7) Sawamoto, K., et al., Gene therapy for Mucopolysaccharidoses. Mol Genet Metab. 123 (2018) 59-68.
(8) Glybera®-Produktinformation der EMA; www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002145/WC500135472.pdf
(9) Salmikangas, P., Kinsella, N., Chamberlain, P., Chimeric Antigen Receptor T-Cells (CAR T-Cells) for Cancer Immunotherapy – Moving Target for Industry? Pharm Res. 35 (2018) 152.
(10) Imlygic®-Produktinformation der EMA; www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002771/WC500201079.pdf
(11) Liu, B. L., et al., ICP34.5 deleted herpes simplex virus with enhanced oncolytic, immune stimulating, and anti-tumour properties. Gene Ther. 10 (2003) 292-303.
(12) Marelli, G., et al., Oncolytic Viral Therapy and the Immune System: A Double-Edged Sword Against Cancer. Front Immunol. 9 (2018) 866.
(13) Kaufman, H. L., Kohlhapp, F. J., Zloza, A., Oncolytic viruses: a new class of immunotherapy drugs. Nat Rev Drug Discov. 14 (2015) 642-662.