Neues zu den Spätfolgen der Corona-Infektion |
Annette Rößler |
14.01.2021 18:00 Uhr |
Fatigue ist das häufigste Symptom, von dem Langzeit-Covid-19-Patienten berichten. / Foto: Adobe Stock/Rawpixel.com
Im selben Maß wie die Zahl der Genesenen von Covid-19 steigt, mehren sich auch Berichte über Betroffene, die unter teils massiven Spätfolgen der Infektion leiden. Auch die PZ hat bereits über das sogenannte Langzeit-Covid-19 berichtet, das unter anderem von Fatigue und Konzentrationsschwierigkeiten (»Brain Fog«), aber auch körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Atemnot und Gelenkschmerzen gekennzeichnet ist. Aktuell gibt es mehrere neue Publikationen zu dem Phänomen.
Eine davon erschien im Fachjournal »The Lancet« und gibt Aufschluss über den Zeitrahmen der Beschwerden (DOI: 10.1016/S0140-6736(20)32656-8). Von »Langzeitfolgen« zu sprechen, war nämlich bislang eigentlich nicht möglich, ganz einfach weil das Virus erst so kurz überhaupt zirkulierte. Die Studie mit 1733 Patienten aus der chinesischen Stadt Wuhan, dem Ausgangspunkt der Pandemie, belegt jetzt: Mindestens ein halbes Jahr nach der Infektion können die Folgen von Covid-19 noch spürbar sein.
Bei den Teilnehmern der Studie handelt es sich um Personen, die zwischen Januar und Mai 2020 in Wuhan aufgrund von Covid-19 stationär behandelt worden waren und deren Gesundheitszustand sechs Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus beurteilt wurde. Den meisten ging es noch immer nicht gut: Drei Viertel der Probanden (76 Prozent) berichteten von mindestens einem anhaltenden Symptom, am häufigsten Fatigue oder Muskelschwäche (63 Prozent), Schlafstörungen (26 Prozent) sowie Angst oder Depression (23 Prozent).
Der Sechs-Minuten-Gehtest zeigte, dass die körperliche Leistungsfähigkeit der Patienten umso mehr eingeschränkt war, je schwerer sie ursprünglich an Covid-19 erkrankt gewesen waren. Ein ähnliches Ergebnis lieferte die Untersuchung der Lungenfunktion bei einer Subgruppe von 349 Patienten: Von denjenigen, die im Krankenhaus beatmet worden waren, hatten sechs Monate später 56 Prozent eine eingeschränkte Diffusionskapazität, das heißt, dass der Sauerstoffaustausch zwischen dem Lungengewebe und dem Blut beeinträchtigt war. Von denjenigen, die zusätzlichen Sauerstoff benötigt hatten, waren hiervon 29 Prozent betroffen und von den ursprünglich leichter erkrankten Patienten 22 Prozent.
»Leichter erkrankt« bedeutet in diesem Fall jedoch immer noch, dass die Covid-19-Symptome so schwer waren, dass die Patienten stationär behandelt werden mussten. Auch wenn die Erkrankung noch milder oder sogar symptomlos verläuft, sind aber Langzeitfolgen möglich. Das zeigt eine andere Studie, die Ende Dezember als Preprint auf dem Server »MedRxiv« veröffentlicht wurde (DOI: 10.1101/2020.12.24.20248802).
Sie wurde initiiert von einer Autorengruppe namens »Patient-Led Research for Covid-19«, was man frei als »patienteneigene Forschung zu Covid-19« übersetzen könnte. Laut ihrer Website handelt es sich dabei um einen Zusammenschluss von Langzeit-Covid-19-Patienten, die selbst auf verschiedenen Gebieten wissenschaftlich tätig sind, und die Erforschung der Erkrankung, von der sie persönlich betroffen sind, voranbringen wollen.
Die Publikation gibt die Ergebnisse einer internetbasierten Befragung wieder, deren Teilnehmer über soziale Medien und Covid-19-Betroffenen-Foren rekrutiert worden waren. Zur Teilnahme aufgerufen waren Personen, die vor Juni 2020 an laborbestätigtem oder vermutetem Covid-19 erkrankt waren und deren Symptome länger als 28 Tage anhielten. Eine Aussage über die absolute Häufigkeit von Langzeit-Covid-19 lässt sich anhand dieser Studie daher nicht treffen.
Von den 3762 Teilnehmern aus 56 Ländern waren lediglich 8,4 Prozent stationär behandelt worden und bei 27 Prozent war eine SARS-CoV-2-Infektion im Labor nachgewiesen worden, insgesamt vermutlich also eine eher nur leicht erkrankte Kohorte. Rund ein Drittel der Befragten war zwischen 40 und 49 Jahren alt, jeweils etwas mehr als ein Viertel zwischen 30 und 39 sowie zwischen 50 und 59 Jahren.
Auch hier hielten die Beschwerden bei vielen Betroffenen (65 Prozent) über mindestens sechs Monate an. Nur 4 Prozent der Befragten gaben an, dass sich ihre Beschwerden seit ihrer Erkrankung zwischenzeitlich gebessert hatten, alle anderen hatten seitdem durchgehend Symptome gezeigt. Die häufigsten Beschwerden nach einem halben Jahr waren Fatigue (78 Prozent), eine Verstärkung bestehender Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung (72 Prozent) und kognitive Beeinträchtigung (55 Prozent). Fast die Hälfte aller Befragten (45 Prozent) berichtete, im Vergleich zu vor ihrer Erkrankung jetzt weniger zu arbeiten; jeder Fünfte (22 Prozent) war aufgrund der gesundheitlichen Beschwerden arbeitsunfähig.
Geruchs- und Geschmacksstörungen, eines der typischsten Symptome für die akute SARS-CoV-2-Infektion, hielten bei der Mehrheit der Teilnehmer dieser Studie (58 Prozent) auch über die Akutphase der Erkrankung hinaus an. Sie besserten sich jedoch bei vielen mit der Zeit: Nach sechs Monaten lagen sie nur noch bei 23 Prozent der Betroffenen vor. Fast jeder vierte Teilnehmer (24 Prozent) litt zudem unter »Phantom-Gerüchen«, und zwar meistens nach (Zigaretten-)Rauch oder Fleisch.
Auf eine Besonderheit von Langzeit-Covid-19 weist eine weitere Publikation hin, die Ende Oktober auf der Website des britischen National Institute for Health Research (NIHR) erschien: Die Symptome vieler Betroffenen fluktuieren und wandern von einem Organsystem zum nächsten. Häufig zeigten sich Beschwerden an einer Stelle und verschwänden dann wieder, nur um an anderer Stelle neu aufzutauchen, heißt es in der Übersichtsarbeit (DOI: 10.3310/themedreview_41169).
Die enorme Vielfalt der möglichen Symptome unterstreichen zahlreiche Berichte von Patienten, die in die Publikation ebenso eingebettet sind wie ein Youtube-Video des Betroffenen-Zusammenschlusses »LongCovidSOS«:
Ein Schlusssatz, den die Mitglieder der wissenschaftlichen Steering Group der Arbeit daraus ziehen, lautet: Möglicherweise handelt es sich bei Langzeit-Covid-19 um verschiedene Syndrome, die in Ermangelung klarer Kriterien zur Abgrenzung unter diesem Dachbegriff zusammengefasst werden. Denkbar sei etwa, Betroffene mit einem Post-Intensive-Care-Syndrome (PICS), mit einem viral bedingten Fatigue-Syndrom und mit bleibenden Organschäden von solchen mit »echtem« Langzeit-Covid-19, für das eben die Vielzahl wandernder Symptome typisch sei, abzugrenzen. In jedem Fall sei es unerlässlich, den ganzen Patienten in den Blick zu nehmen statt, wie bisher meist geschehen, einzelne Organsysteme separat zu betrachten, heißt es in einer begleitenden Mitteilung des NIHR.
Nicht nur die Spätfolgen, auch die akuten Symptome von Covid-19 sind äußerst vielfältig und können zu verschiedenen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf auftauchen. Einen Versuch einer Strukturierung unternahmen Mitarbeiter der US-Gesundheitsbehörde CDC Mitte November im Fachjournal »JAMA« (DOI: 10.1001/jama.2020.22717).
Covid-19 sei möglicherweise als Krankheit mit drei Phasen zu sehen, so die Gruppe um Dr. S. Deblina Datta. Phase I, die akute Infektion, sei gekennzeichnet von viraler Replikation und der initialen Immunantwort sowie von Symptomen wie Husten, Fieber und Atemnot, wobei diese auch entfallen könnten. Phase II, eine postakute hyperinflammatorische Erkrankung, die bei Kindern dem Kawasaki-Syndrom ähnelt, aber auch bei Erwachsenen auftreten kann, sei typischerweise in Woche 2 bis 5 nach dem Auftreten der Akutsymptome erreicht. Sie komme insgesamt nur sehr selten vor und beruhe vermutlich auf einer fehlgeleiteten Immunantwort. Phase III schließlich, das Langzeit-Covid-19, beginne meist vier Wochen nach den ersten Symptomen und habe eine bislang noch unbekannte Dauer. Als Auslöser kämen entzündliche oder viral bedingte Reaktionen infrage. Auch Datta und Kollegen halten es für möglich, dass es sich bei Langzeit-Covid-19 um verschiedene Syndrome mit unterschiedlichen zugrunde liegenden pathophysiologischen Prozessen handelt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.