Neues Antisense-Oligonukleotid bei seltener Erkrankung |
Sven Siebenand |
18.06.2025 07:00 Uhr |
In der Regel führt die Transthyretin-assoziierte Amyloidose mit Polyneuropathie nach einigen Jahren zu Lähmungserscheinungen, sodass die Betroffenen zunehmend bettlägerig werden und auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Ohne Behandlung verläuft die Erkrankung im Allgemeinen innerhalb von 5 bis 15 Jahren tödlich. / © Adobe Stock/Arnéll Koegelenberg/peopleimages.com
Die Transthyretin-assoziierte Amyloidose (ATTR) geht auf eine Fehlfaltung von Transthyretin (TTR) zurück, des aus der Leber stammenden Transportproteins des Schilddrüsenhormons Thyroxin. Dieses sammelt sich in Geweben an und stört deren Funktion, was im Verlauf unter anderem zu kardiologischen oder neurologischen Erkrankungen führen kann. Es gibt sowohl erbliche (hereditäre, hATTR) als auch nicht erbliche (Wildtyp-)Formen von ATTR. Die ATTR mit Kardiomyopathie (ATTR-CM) betrifft vorwiegend das Herz, die ATTR mit Polyneuropathie (ATTR-PN) das periphere Nervensystem. Weltweit gibt es schätzungsweise bis zu 40.000 Patienten mit hATTR-PN.
Zur Behandlung dieser schweren Erkrankung sind bereits einige Arzneistoffe zugelassen. Der neue Wirkstoff Eplontersen (Wainzua® 45 mg Injektionslösung im Fertigpen, Astra-Zeneca) darf wie Patisiran, Vutrisiran und Inotersen zur Behandlung von Erwachsenen mit hATTR-PN der Stadien 1 und 2 zum Einsatz kommen. Laut Fachinformation von Wainzua kann der Arzt die Behandlung bei Patienten, deren Erkrankung in das Stadium 3 fortschreitet, fortsetzen, wenn der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt.
Wie Inotersen ist auch Eplontersen ein Antisense-Oligonukleotid (ASO). Der neue Wirkstoff ist ein N-Acetylgalactosamin(GalNAc)-konjugiertes ASO. Das GalNAc-Konjugat ermöglicht die gezielte Abgabe des ASO an Hepatozyten, den Hauptproduktionsort von TTR. Die selektive Bindung von Eplontersen an die TTR-mRNA führt zu deren Abbau und verhindert die TTR-Synthese.
Die Zulassung von Eplontersen basiert auf den Daten der Phase-III-Studie NeuroTTRansform. In dieser wurden 144 Patienten mit hATTR-PN bis zur Woche 65 alle vier Wochen subkutan mit 45 mg Eplontersen behandelt. Als externe Kontrolle diente eine Placebokohorte von Patienten aus der pivotalen Inotersen-Studie (NEURO-TTR). Diese Kohorte erhielt einmal wöchentlich subkutane Placeboinjektionen. Beide Studien hatten identische Einschlusskriterien.
Zu den koprimären Endpunkten in der Analyse zählten die prozentuale Veränderung der Serum-TTR-Konzentration in Woche 65 gegenüber Baseline und die Veränderung des modified neuropathy impairment score +7 (mNIS+7) gegenüber Baseline.
Unter Eplontersen reduzierte sich nach 65 Wochen die mittlere TTR-Serumkonzentration um etwa 80 Prozent gegenüber dem Ausgangswert, im Vergleich zu einer Reduktion von etwa 10 Prozent im externen Placeboarm. Die Verschlechterung der neurologischen Funktion (entsprechend einer Steigerung des mNIS+7-Scores) fiel unter Eplontersen in Woche 66 deutlich geringer aus verglichen mit den Patienten im Placeboarm: So lag die mittlere Zunahme des Least Squares(LS-)Mittelwerts in der Verum-Kohorte bei 3,2 Punkten gegenüber Baseline. Der Anstieg in der externen Placebogruppe betrug 26,3 Punkte.
Eplontersen wird einmal monatlich subkutan verabreicht. Empfohlen wird eine Dosierung von 45 mg. Das Arzneimittel kann von den Patienten selbst oder deren Betreuungspersonen injiziert werden; die erste Injektion sollte jedoch unter Anleitung von medizinischem Fachpersonal erfolgen. Erfolgt die Applikation durch den Patienten, wird sie in den Bauch oder Oberschenkel empfohlen. Betreuungspersonen können auch in die Rückseite des Oberarms injizieren. Eplontersen darf nicht in geprellte, empfindliche, gerötete oder verhärtete Haut, in Narben oder geschädigte Haut injiziert werden. Der Bereich um den Bauchnabel herum soll gemieden werden.
Wainzua muss im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C gelagert werden. Der Fertigpen sollte mindestens 30 Minuten vor der Anwendung aus dem Kühlschrank entnommen werden, um vor der Injektion Raumtemperatur zu erreichen. Andere Aufwärmmethoden dürfen nicht angewendet werden.
Häufige Nebenwirkungen von Eplontersen sind Erbrechen, Erythem sowie Schmerzen und Juckreiz an der Injektionsstelle. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählt ein verminderter Vitamin-A-Spiegel. Patienten wird daher eine Supplementierung von ungefähr 2500 bis 3000 I. E. Vitamin A pro Tag empfohlen. Vor Einleitung einer Behandlung mit Eplontersen müssen Vitamin-A-Spiegel im Serum unterhalb des unteren Normwerts korrigiert und alle okulären Symptome oder Anzeichen, die auf einen Vitamin-A-Mangel hinweisen, untersucht werden.
Es ist nicht bekannt, ob eine Vitamin-A-Supplementierung ausreicht, um das Risiko für den Fetus zu verringern. Aus diesem Grund muss eine Schwangerschaft vor Einleitung der Behandlung ausgeschlossen werden und Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. In der Stillzeit muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob auf die Behandlung mit Wainzua verzichtet werden soll beziehungsweise die Behandlung zu unterbrechen ist.
Weder der Wirkmechanismus noch das Einsatzgebiet von Eplontersen sind neu. Dennoch kann das Antisense-Oligonukleotid (ASO) vorläufig als Schrittinnovation betrachtet werden. Gegenüber dem ebenfalls in dieser Indikation zugelassenen ASO Inotersen weist es einige Vorteile auf. So kann durch die GalNac-Kopplung ein noch besserer Organtropismus erzielt werden, die Leber also gezielter angesteuert werden. Thrombozytopenie und Glomerulonephritis, vor denen unter Inotersen gewarnt wird, spielen in der Wainzua-Fachinformation keine Rolle. Zudem verbessert die subkutane monatliche Gabe im Vergleich zur wöchentlichen unter Inotersen die Lebensqualität der Patienten.
Ein direkter Vergleich mit den anderen bei ATTR mit Polyneuropathie zugelassenen Arzneistoffen wäre wünschenswert. Ebenfalls bleibt abzuwarten, wie sich Eplontersen bei der Behandlung von ATTR mit Kardiomyopathie schlägt. In der Phase-III-Studie CARDIO-TTRansform wird dies gerade untersucht. Daten erwartet der Hersteller im kommenden Jahr, eine regulatorische Entscheidung über die potenzielle Zulassungserweiterung dann ab 2027.
Sven Siebenand, Chefredakteur