Neuere Impfungen für Alt und Jung |
Im Gespräch mit der PZ prangerte der Mediziner aus Baden Württemberg die eher bescheidenen Impfraten in Deutschland an; vom 75-Prozent-Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa bezüglich Influenza oder Pneumokokken-Infektionen sei man weit entfernt. »Bei Influenza schaffen wir in den Risikogruppen noch nicht mal 50 Prozent. Bei allen anderen Impfungen – allen voran die gegen Pneumokokken – sind die Durchimpfungsraten erheblich niedriger.«
Woran liegt das? »Gesundheitsprävention hat hierzulande in der Politik und im ärztlichen Handeln keine hohe Priorität. Der Präventionsgedanke ist in Deutschland nach wie vor nicht begriffen. Eine Art Gesundheitsunterricht in der Schule wie etwa in Finnland wäre ein Anfang, das zu ändern. Dabei sind Schutzimpfungen die effektivste und kostengünstigste Gesunderhaltungsmaßnahme überhaupt. Doch dazu muss das Impfen auch fair vergütet werden.« Derzeit würde es sich ein Facharzt gar nicht ernsthaft überlegen. Insofern begrüßt er die Möglichkeit, dass Apotheken nun ein niederschwelliges Angebot zumindest zur Grippe- und Covid-19-Impfung machen können.
Auch bei der für Enzel am meisten unterschätzten Atemwegserkrankung, die Pneumokokken-Infektion, gibt es Impf-Neuerungen: Die STIKO hat sich »endlich dazu durchgerungen, geradezu radikal geänderte Empfehlungen« abzugeben. So wird nun die Verwendung des 20-valenten Konjugatimpfstoffs (PCV20, Prevenar® 20) als Standardimpfung bei allen ab 60 Jahren nahegelegt. Als Indikationsimpfung soll sie zudem bei Menschen mit speziellen Vorerkrankungen oder mit Immunschwäche zum Einsatz kommen. Ob eine Wiederholungsimpfung notwendig wird, hat die STIKO noch nicht mitgeteilt.
»Die Antigenität des Vorgängers, des 23-valenten Polysaccharidimpfstoffs Pneumovax® war nur mehr mäßig gut. Wenn man so will, war der Impfschutz löchrig. Prevenar 20 vereint nun quasi die Vorteile der bisherigen Vakzinen. Der bisherige 13-valente Konjugatimpfstoff Prevenar® deckte zehn Serotypen weniger ab als der 23-valente Polysaccharidimpfstoff Pneumovax®. Der neue 20-valente Konjugatimpfstoff hat nun eine ähnliche Breite bei gleichzeitig stärkerer Immunstimulation. Im Grunde ist Prevenar 20 ein um sieben Serotypen erweitertes ursprüngliches Prevenar.«
PCV20 trage dem sogenannten Replacement Rechnung, einer Veränderung der Pneumokokken-Population, erklärt der Impfexperte. »Durch das Impfen entstehen sich adaptierende Serogruppen. Das heißt, die Serogruppen, die wir beimpfen, verschwinden und werden durch andere Serogruppen ersetzt. Dieser Serotypendrift geschieht bei Pneumokokken relativ rasch. Bei den Meningokokken geht er langsamer vonstatten.« Enzel stellt für 2026 einen Ergänzungsimpfstoff in Aussicht, der weitere Serotypen abdeckt und der für diejenigen gedacht ist, die mit dem 20-valenten Konjugatimpfstoff immunisiert wurden. Die Phase III läuft.
Enzel hält es für sinnvoll, die Pneumokokken-Impfung verstärkt in der Reisemedizin zu etablieren. »Pneumokokken sind das häufigste auf Reisen erworbene Mitbringsel, das zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führt – weit mehr als Cholera, Typhus und Co. zusammengenommen. Die Durchseuchungsraten mit polyresistenten Varianten sind selbst im europäischen Ausland wie Griechenland, Italien, Rumänien, Polen oder Portugal deutlich höher als hierzulande.«
Stichpunkt: »Koadministration«, die die STIKO im vergangenen Jahr explizit bezüglich der Impfungen gegen Pneumokokken, Covid-19 und Influenza bei einem Termin empfohlen hat. Ist das sinnvoll oder eher eine Maßnahme, um die Impfraten hochzubringen? »Es handelt sich um eine Kann- und nicht um eine Muss-Empfehlung der STIKO. Alle drei Vakzinen sind Totimpfstoffe. Insofern ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie immunologisch interagieren. Die Drei-an-einem-Termin-Impfung ist ohne Wirkverlust oder massiv verstärkte Nebenwirkungen möglich. Prinzipiell können bis zu vier Impfungen bei einem Termin durchgeführt werden, zwei in die beiden Deltoideus-Muskeln, zwei beidseits in den Vastus lateralis.«
Wie die Grippe folgen Pneumokokken-Erkrankungen einem saisonalen Zyklus, der in den Wintermonaten am stärksten zutage tritt. Vor allem das Zusammenspiel von Influenzaviren und Pneumokokken macht Enzel Sorgen. »Bei den großen Grippeepidemien der Vergangenheit war in vielen Fällen die Todesursache nicht das Grippevirus allein, vielmehr waren viele Patienten zusätzlich mit Bakterien infiziert.« Die Bakterienstämme verhalten sich deutlich aggressiver, wenn sie auf einen bereits mit dem Influenza Typ A infizierten Organismus treffen.
Für den Mediziner sind Pneumokokken fast »unberechenbar«. Denn sie gehören zur physiologischen Flora im Nasen-Rauchen-Raum; sie finden sich bei mehr als 50 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren und bei bis 10 Prozent der Erwachsenen. Wenn sich die Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum hinaus ausbreiten, können sie Probleme bereiten, so Enzel. Je nach Alter seien die durch Pneumokokken ausgelösten Krankheitsbilder unterschiedlich: Bei Kindern komme es vor allem zu Mittelohrentzündungen, seltener zu Pneumonien und in ganz seltenen Fällen zu Sepsis und Meningitis. Bei Erwachsenen sehe das anders aus. Hier führten Pneumokokken fast ausschließlich zu Pneumonien, wobei drei Viertel nicht bakteriämisch seien und bei einem Viertel Bakterien im Blut gefunden würden. Die Infektionen könnten zudem auch zu Sepsis und Meningitis führen.