Neuere Impfungen für Alt und Jung |
Schutzimpfungen sind eine Herzensangelegenheit. Junge schützen Großeltern und umgekehrt. Oft tragen die Enkelkinder Infektionen in die Familien hinein. / © Adobe Stock/JenkoAtaman
In diesem Herbst können Senioren erstmals in größerem Umfang eine Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) erhalten. Denn zum ersten Mal stehen nicht nur RSV-Impfstoffe zur Verfügung, sondern die Vakzinen werden für Senioren inzwischen auch von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen und damit von den Krankenkassen bezahlt.
Rechtzeitig vor dem Beginn der Erkältungssaison haben die Impfexperten im August eine lang erwartete Empfehlung dazu ausgesprochen. Danach sollen sich alle Personen ab 75 Jahren sowie Personen, die in einer Pflegeeinrichtung wohnen oder eine schwerwiegende Grunderkrankung haben, ab 60 Jahren einmalig mit einem der beiden proteinbasierten RSV-Impfstoffe, Arexvy® von GSK oder Abrysvo® von Pfizer, impfen lassen. Aktuelle Klinikdaten belegten die Wirksamkeit der Immunisierung in den Risikogruppen. Danach hatten gegen RSV geimpfte Personen ein niedrigeres Hospitalisierungsrisiko als Ungeimpfte. Den ebenfalls für diese Altersgruppe zugelassenen m-RNA-Impfstoff mResvia® von Moderna benennt die STIKO nicht.
Die standardmäßige Altersgrenze von 75 Jahren mag überraschen. Genauso wie der Hinweis der STIKO, dass Grunderkrankungen wie solche des Herz-Kreislauf-Systems, der Atemwege oder Diabetes nach derzeitigem Wissensstand das Risiko für einen schweren RSV-Verlauf nicht erhöhen, wenn es sich lediglich um leichte Formen handelt oder sie medikamentös gut eingestellt sind. »Doch damit überträgt die STIKO die Entscheidung über den Schweregrad, die klinische Relevanz einer chronischen Krankheit und damit zur Impfindikation dem behandelnden Arzt«, sagt Dr. Ulrich Enzel, Apothekern und PTA von zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen bekannt. »In Deutschland entscheidet der Arzt in jedem Einzelfall selbst, ob er auch außerhalb der STIKO-Empfehlung Impfstoffe einsetzen will.«
Wie wichtig ist die RSV-Impfung für Senioren? Schließlich war vor der Pandemie kaum bekannt, dass das Virus auch für ältere Menschen eine Gefahr darstellen kann. »Noch vor ein paar Jahren lief RSV bei den Senioren unter dem Radar, weil man auf den Erreger bei respiratorischen Infekten nicht routinemäßig getestet hat. Man könnte sagen, dass man die Belastung durch RSV bei den Älteren und Hochaltrigen unterschätzt hat. Über verbesserte Testmethoden und Routinetestungen ist auch die Krankheitsschwere für Risikopatienten besser zutage getreten, die sich durch Intensivaufenthalte und Beatmungspflicht äußern kann.« In der vergangenen Saison meldeten in Deutschland viele geriatrische Abteilungen mehr Klinikeinweisungen aufgrund von RSV anstatt von Influenza.
Enzel, selbst Kinder- und Jugendarzt, zieht eine Parallele zur Pädiatrie und sprach von »Wahrnehmungsproblemen«: »Genauso wie nicht wahrgenommen wird, dass viel mehr Kinder in den ersten fünf Lebensjahren an Influenza erkranken als Senioren - die Kleinen sterben aber nur sehr selten daran -, so infizieren sich die Älteren und Hochbetagten schon immer auch mit RSV. Für uns Kinderärzte war RSV dagegen schon immer ein Thema. Die RSV-bedingte Bronchiolitis in den winzigen Atemwegen von Frühchen macht auch noch später im Kindes- und Jugendalter anfälliger für Atemwegsprobleme.«
Obwohl Abrysvo® auch für eine Impfung während der Schwangerschaft zugelassen ist, hat die STIKO für diese Indikation noch keine Empfehlung ausgesprochen. Zum Einsatz des monoklonalen Antikörpers Nirsevimab (Beyfortus®) im Säuglingsalter liegt dagegen seit Juni dieses Jahres eine Empfehlung vor, die erste Standardempfehlung überhaupt der STIKO für eine Prävention mit einem monoklonalen Antikörper. Der Impfstoff wird ab Mitte Oktober in größerem Umfang zur Verfügung stehen, meldete der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte.
Demnach sollen jetzt alle Neugeborenen und Säuglinge eine Prophylaxe mit Nirsevimab zum Schutz vor schweren Atemwegsinfektionen durch RSV bekommen. Die Einmalgabe reicht dafür aus. Zur Prävention von RSV-Erkrankungen stand mehr als zwei Jahrzehnte lang nur der monoklonale Antikörper Palivizumab (Synagis®) zur Verfügung. Zugelassen ist er allerdings nur für Hochrisikokinder, also etwa Frühgeborene und Kinder mit Herzfehlern. Zudem muss er fünfmal während einer Saison (alle vier Wochen) injiziert werden.
Im Gespräch mit der PZ prangerte der Mediziner aus Baden Württemberg die eher bescheidenen Impfraten in Deutschland an; vom 75-Prozent-Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa bezüglich Influenza oder Pneumokokken-Infektionen sei man weit entfernt. »Bei Influenza schaffen wir in den Risikogruppen noch nicht mal 50 Prozent. Bei allen anderen Impfungen – allen voran die gegen Pneumokokken – sind die Durchimpfungsraten erheblich niedriger.«
Woran liegt das? »Gesundheitsprävention hat hierzulande in der Politik und im ärztlichen Handeln keine hohe Priorität. Der Präventionsgedanke ist in Deutschland nach wie vor nicht begriffen. Eine Art Gesundheitsunterricht in der Schule wie etwa in Finnland wäre ein Anfang, das zu ändern. Dabei sind Schutzimpfungen die effektivste und kostengünstigste Gesunderhaltungsmaßnahme überhaupt. Doch dazu muss das Impfen auch fair vergütet werden.« Derzeit würde es sich ein Facharzt gar nicht ernsthaft überlegen. Insofern begrüßt er die Möglichkeit, dass Apotheken nun ein niederschwelliges Angebot zumindest zur Grippe- und Covid-19-Impfung machen können.
Auch bei der für Enzel am meisten unterschätzten Atemwegserkrankung, die Pneumokokken-Infektion, gibt es Impf-Neuerungen: Die STIKO hat sich »endlich dazu durchgerungen, geradezu radikal geänderte Empfehlungen« abzugeben. So wird nun die Verwendung des 20-valenten Konjugatimpfstoffs (PCV20, Prevenar® 20) als Standardimpfung bei allen ab 60 Jahren nahegelegt. Als Indikationsimpfung soll sie zudem bei Menschen mit speziellen Vorerkrankungen oder mit Immunschwäche zum Einsatz kommen. Ob eine Wiederholungsimpfung notwendig wird, hat die STIKO noch nicht mitgeteilt.
»Die Antigenität des Vorgängers, des 23-valenten Polysaccharidimpfstoffs Pneumovax® war nur mehr mäßig gut. Wenn man so will, war der Impfschutz löchrig. Prevenar 20 vereint nun quasi die Vorteile der bisherigen Vakzinen. Der bisherige 13-valente Konjugatimpfstoff Prevenar® deckte zehn Serotypen weniger ab als der 23-valente Polysaccharidimpfstoff Pneumovax®. Der neue 20-valente Konjugatimpfstoff hat nun eine ähnliche Breite bei gleichzeitig stärkerer Immunstimulation. Im Grunde ist Prevenar 20 ein um sieben Serotypen erweitertes ursprüngliches Prevenar.«
PCV20 trage dem sogenannten Replacement Rechnung, einer Veränderung der Pneumokokken-Population, erklärt der Impfexperte. »Durch das Impfen entstehen sich adaptierende Serogruppen. Das heißt, die Serogruppen, die wir beimpfen, verschwinden und werden durch andere Serogruppen ersetzt. Dieser Serotypendrift geschieht bei Pneumokokken relativ rasch. Bei den Meningokokken geht er langsamer vonstatten.« Enzel stellt für 2026 einen Ergänzungsimpfstoff in Aussicht, der weitere Serotypen abdeckt und der für diejenigen gedacht ist, die mit dem 20-valenten Konjugatimpfstoff immunisiert wurden. Die Phase III läuft.
Enzel hält es für sinnvoll, die Pneumokokken-Impfung verstärkt in der Reisemedizin zu etablieren. »Pneumokokken sind das häufigste auf Reisen erworbene Mitbringsel, das zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führt – weit mehr als Cholera, Typhus und Co. zusammengenommen. Die Durchseuchungsraten mit polyresistenten Varianten sind selbst im europäischen Ausland wie Griechenland, Italien, Rumänien, Polen oder Portugal deutlich höher als hierzulande.«
Stichpunkt: »Koadministration«, die die STIKO im vergangenen Jahr explizit bezüglich der Impfungen gegen Pneumokokken, Covid-19 und Influenza bei einem Termin empfohlen hat. Ist das sinnvoll oder eher eine Maßnahme, um die Impfraten hochzubringen? »Es handelt sich um eine Kann- und nicht um eine Muss-Empfehlung der STIKO. Alle drei Vakzinen sind Totimpfstoffe. Insofern ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie immunologisch interagieren. Die Drei-an-einem-Termin-Impfung ist ohne Wirkverlust oder massiv verstärkte Nebenwirkungen möglich. Prinzipiell können bis zu vier Impfungen bei einem Termin durchgeführt werden, zwei in die beiden Deltoideus-Muskeln, zwei beidseits in den Vastus lateralis.«
Wie die Grippe folgen Pneumokokken-Erkrankungen einem saisonalen Zyklus, der in den Wintermonaten am stärksten zutage tritt. Vor allem das Zusammenspiel von Influenzaviren und Pneumokokken macht Enzel Sorgen. »Bei den großen Grippeepidemien der Vergangenheit war in vielen Fällen die Todesursache nicht das Grippevirus allein, vielmehr waren viele Patienten zusätzlich mit Bakterien infiziert.« Die Bakterienstämme verhalten sich deutlich aggressiver, wenn sie auf einen bereits mit dem Influenza Typ A infizierten Organismus treffen.
Für den Mediziner sind Pneumokokken fast »unberechenbar«. Denn sie gehören zur physiologischen Flora im Nasen-Rauchen-Raum; sie finden sich bei mehr als 50 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren und bei bis 10 Prozent der Erwachsenen. Wenn sich die Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum hinaus ausbreiten, können sie Probleme bereiten, so Enzel. Je nach Alter seien die durch Pneumokokken ausgelösten Krankheitsbilder unterschiedlich: Bei Kindern komme es vor allem zu Mittelohrentzündungen, seltener zu Pneumonien und in ganz seltenen Fällen zu Sepsis und Meningitis. Bei Erwachsenen sehe das anders aus. Hier führten Pneumokokken fast ausschließlich zu Pneumonien, wobei drei Viertel nicht bakteriämisch seien und bei einem Viertel Bakterien im Blut gefunden würden. Die Infektionen könnten zudem auch zu Sepsis und Meningitis führen.
Die jährliche Auffrischung ist nur bei der Immunisierung gegen Influenza und Covid-19 nötig. Bezüglich des Grippeschutzes hat die STIKO ihre Empfehlungen erst kürzlich angepasst. Zwar spricht sie sich ebenso wie die Weltgesundheitsorganisation WHO für den Wechsel von quadrivalenten zu trivalenten Influenzaimpfstoffen ohne das Antigen der Yamagata-Linie von Influenza B aus. Doch weil ein Switch in der Komponenten-Zusammenstellung der Influenzavakzinen so schnell nicht möglich war, empfiehlt sie für die bevorstehende Saison, weiterhin tetravalente Präparate zu verwenden. Erst für die Saison 2025/26 werden trivalente Totimpfstoffe erwartet. Aktuell hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) dem australischen Impfstoffhersteller Seqirus Zulassungsempfehlungen für die trivalenten Varianten von Fluad® und Flucelvax® ausgesprochen.
Folgende Tetra-Vakzinen mit Stammanpassung für die Saison 2024/25 sind laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verfügbar:
Wie sieht es beim einzig zugelassenen attenuierten Lebendimpfstoff aus? Fluenz® von Astra-Zeneca hat als Trivalent-Variante die Zulassung in der EU und für Großbritannien erhalten und löst damit das bisherige Präparat Fluenz® Tetra ab. Der Hersteller ist zügig der WHO-Maßgabe, auf die B/Yamagata-Linie zu verzichten, gefolgt, und damit ist Fluenz der einzige Trivalent-Grippeimpfstoff für den Winter. Zugelassen ist der nasale Grippeimpfstoff ausschließlich für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 2 und 17 Jahren. Diesen rät die STIKO derzeit nicht standardmäßig jährlich zur Grippeimpfung, sondern nur, wenn sie grunderkrankt sind und keine Kontraindikationen bestehen.
Ein Punkt, den Enzel kritisiert. Seien doch Kinder der Hauptüberträger, der »Feuerbrand« der Influenza, die die Infektion in die Familien hineintragen. »Die Effizienz einer solchen generellen Impfung aller Kinder sowohl für den Eigenschutz als auch zur Herden-Immunisierung konnte längst durch umfangreiche Studien belegt werden. Genauso wäre es von Vorteil, wenn der Erstkontakt mit Influenzaviren per Impfung und nicht per Infektion stattfände.« Allerdings übernimmt die GKV in vielen Bundesländern über diese Empfehlungen hinausgehend die Kosten der Impfung generell für alle Altersgruppen ab dem 7. Lebensmonat.
Zu den klassischen »Herbst-Impfungen« gehört mittlerweile auch die gegen SARS-CoV-2. Die STIKO empfiehlt Menschen, die aufgrund ihres Immunstatus, chronischer Erkrankung oder ihres Alters ein erhöhtes Risiko zur Infektion haben, ihre Immunantwort mit einer Auffrischimpfung jetzt in der Erkältungssaison zu verbessern. Und zwar mit einer möglichst passgenauen Ausrichtung der Vakzinen auf die aktuell zirkulierenden Viren. »Man spricht deshalb auch nicht von einer Boosterung der Immunantwort, sondern von einer Auffrischung, da es sich nicht um identische Impfstoffe handelt«, erklärt Enzel.
Die aktuell verfügbaren Impfstoffe sind variantenangepasst, das heißt, bei ihrer Herstellung wurde ein Antigen aus der Omikron-Subvariante JN.1 verwendet. Dieses hat im Vergleich zu der vorher verwendeten XBB-1.5-Variante mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein. Durch die Anpassung soll sowohl die Kreuzreaktivität mit dem dominanten Stamm JN.1 und mit neu auftretenden Stämmen gewährleistet sowie die Breite der Immunität gegen Nachfolgestämme erhöht werden, heißt es vonseiten des RKI.
Für November wird auch eine an Omikron KP.2 angepasste Vakzine erwartet. Sie kann, wie auch der bereits zugelassene an Omikron JN.1 angepasste Impfstoff, im Vergleich zum XBB.1.5-Präparat eine deutlich verbesserte Immunantwort gegen mehrere zirkulierende Omikron-JN.1-Sublinien generieren. Dazu zählten die Sublinien KP.2, LB.1, KP.3 und die derzeit in Deutschland dominierende KP.3.1.1. Ein JN.1-adaptierter proteinbasierter Impfstoff von Novavax (Nuvaxovid) soll ebenfalls bald verfügbar sein.
Senioren sollten auch die Impfung gegen Herpes zoster auf ihrem Vorsorgeplan haben. »Rein rechnerisch bekommt jeder zweite Ungeimpfte jenseits der 50 eine Gürtelrose.« Für Enzel ist es unverständlich, warum »diese Impfung so erstaunlich wenig realisiert wird, obgleich diese mindestens 11 Jahre lang das Risiko einer Gürtelrose deutlich und das einer Post-zoster-Neuralgie noch stärker reduzieren kann«.
Die STIKO rät, den einzigen Totimpfstoff (Shingrix®) als Standardimpfung bei allen Personen ab 60 Jahren, bei solchen mit chronischen Krankheiten als Indikationsimpfung ab 50 Jahren generell einzusetzen – und zwar mit zwei Impfdosen im Abstand von 2 bis 6 Monaten. Eine Empfehlung zur Auffrischungsimpfung gibt es derzeit nicht. In anderen Ländern und von einigen deutschen Fachgesellschaften wird zu dieser Impfung auch geraten, wenn es bei Über-18-Jährigen zu einer Herpes-zoster-Erkrankung gekommen ist. Die STIKO empfiehlt bei dieser Indikation nicht generell zur Impfung. /