| Theo Dingermann |
| 19.11.2025 18:00 Uhr |
H3N2-Viruspartikel unter dem Elektronenmikroskop. / © Getty Images/CDC/Science Photo Library
Die Beobachtungsdaten zur Verbreitung der Influenza in Deutschland, über die das Robert-Koch-Institut (RKI) wöchentlich berichtet, sind noch nicht alarmierend. Im aktuellen Wochenbericht für die 45. Kalenderwoche liegt die Inzidenz aller akuten Atemwegserkrankungen (ARE) bei rund 6000 pro 100.000 Einwohner und damit nur im »niedrigen« Aktivitätsbereich. Die Inzidenz der grippeähnlichen Erkrankungen (ILI) liegt mit circa 900 pro 100.000 ebenfalls unterhalb des saisonal Üblichen.
Besonders betroffen sind derzeit eher Kinder und junge Erwachsene mit einem leichten Wiederanstieg der ARE-Raten. Die älteren Altersgruppen zeigen eher rückläufige Werte. Insgesamt gibt es also noch keine Hinweise auf eine Influenzawelle. Dies legt auch die beobachtete Krankheitslast nahe, die derzeit überwiegend durch unspezifische ARE und andere Erreger bestimmt wird.
Dagegen laufen in mehreren Ländern der Nordhalbkugel bereits deutliche Influenzawellen. Sie werden überwiegend durch eine neue H3N2-Subklade, die als » Subklade K« bezeichnet wird, verursacht. In Großbritannien beispielsweise hat die Grippesaison besonders früh eingesetzt. Hier überschritt bereits Anfang November der Anteil positiver Influenzatests die 10-Prozent-Schwelle, die als ein übliches Definitionskriterium für den Beginn der Influenza-Welle gilt. Das war etwa einen Monat früher als im Vorjahr. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 11 Prozent der täglichen Tests positiv. Bei Schulkindern lag der Anteil an positiven Tests sogar bei rund 38 Prozent.
Epidemiologisch fällt ganz allgemein auf, dass vor allem Kinder und junge Erwachsene an einer Influenza erkranken, wobei die Impfquote weitgehend dem Niveau früherer Jahre entspricht. Das deutet darauf hin, dass weniger ein verändertes Verhalten oder eine Impfmüdigkeit, sondern Eigenschaften der zirkulierenden Viren den frühen und steilen Anstieg erklären.
Hier kommt die neue H3N2-Variante der Subklade K ins Spiel. Molekularvirologisch handelt es sich um eine Variante, die sich durch sieben Aminosäuremutationen deutlich von den H3N2-Referenzstämmen der aktuellen Impfstoffe (Subklade J beziehungsweise J.2) unterscheidet. Die J.2-Variante wurde im Februar 2025 von der WHO für die Formulierung der aktuellen Influenza-Impfstoffe empfohlen.
Somit ist man aktuell mit einem ausgeprägten antigenischen Drift, nicht jedoch einem Subtyp-Wechsel, das heißt einem antigenischen Shift, konfrontiert. Denn auch die Viren der Subklade K gehören weiterhin zu der seit 1968 zirkulierenden H3N2-Linie.
Funktionell scheint dieser Drift aber relevant. Modellierungen aus Großbritannien und Australien weisen auf eine erhöhte Basisreproduktionszahl R von etwa 1,4 hin. Demgegenüber betrug die Basisreproduktionszahl der Influenza-Viren in einer typischen Saison circa 1,2. Dieser Unterschied könnte sich theoretisch in einer um etwa 20 Prozent erhöhten erwarteten Fallzahl niederschlagen.