Neue Indikationen, neue Formulierungen |
Sven Siebenand |
10.11.2020 09:18 Uhr |
Das internationale Symbol für Diabetes und den Weltdiabetestag am 14. November ist der »Blue Circle« – ein blauer Kreis. / Foto: Getty Images/nito100
»SGLT-2-Inhibitoren verbessern die Prognose von Patienten mit Herzinsuffizienz unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes«, so Professor Dr. Michael Lehrke vom Uniklinikum Aachen. Sein Statement passt zu einer Entscheidung der EU-Kommission vom 3. November. Der SGLT-2-Inhibitor Dapagliflozin (Forxiga®) hat vergangene Woche die Zulassung zur Behandlung symptomatischer chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) bei Erwachsenen mit und ohne Typ-2-Diabetes erhalten.
Die Zulassung basiert auf den Daten der Phase-III-Studie DAPA-HF. Darin konnte das Gliflozin zusätzlich zur Standardtherapie versus Placebo das Risiko des kombinierten primären Endpunktes bestehend aus kardiovaskulär bedingtem Tod oder Verschlechterung der Herzinsuffizienz signifikant um relativ 26 Prozent verringern. Das Risiko für kardiovaskulär bedingtem Tod war unter Dapagliflozin verglichen mit Placebo um relativ 18 Prozent reduziert, die Gesamtmortalität laut Lehrke um 17 Prozent. Dapagliflozin ist der erste SGLT-2-Hemmer in dieser neuen Indikation. Dabei müsse es aber nicht bleiben, so Lehrke.
Auch das Empagliflozin-haltige Präparat Jardiance® wurde in der Studie EMPEROR-Reduced bei HFrEF-Patienten mit und ohne Diabetes untersucht und hat darin gute Ergebnisse erzielen können. Das Sicherheitsprofil ist gut. Ketoazidosen und Hypoglykämien seien in beiden Studien selten gewesen, so der Mediziner. Lehrke informierte ferner, dass Gliflozine auch bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz (HFpEF) untersucht werden, zum Beispiel Dapagliflozin in der DELIVER-Studie und Empagliflozin in EMPEROR-Preserved.
»Die Mechanismen der verbesserten Herzinsuffizienz unter SGLT-2-Inhibition sind weiterhin nicht gut verstanden«, sagte Lehrke. Es liege vermutlich eine Kombination aus diuretischer und metabolischer Wirkung vor: Die gesteigerte Diurese sei durch die Glucose bedingt. Das heißt, es werde anders als bei anderen Diuretika elektrolytfreies Wasser ausgeschieden, was Vorteile bringen könnte. Zudem verändern die Gliflozine laut dem Referenten möglicherweise die kardiale Substrat-Utilisation. Es gebe einen Switch hin zu Ketonen und freien Fettsäuren, was mit einer günstigen Modulation des Remodellings einhergehen könnte.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass Gliflozine auch die Prognose bei Patienten mit Niereninsuffizienz unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes verbessern. Lehrke verwies auf die positiven Ergebnisse der DAPA-CKD-Studie, in welcher Dapagliflozin den primären Endpunkt signifikant um 39 Prozent, den renalen Endpunkt sogar um 44 Prozent reduzieren konnte. Der nierenschützende Effekt der SGLT-2-Hemmer könnte durch die Senkung des glomerulären Filtrationsdrucks bedingt sein.
Last, but not least haben sich die SGLT-2-Inhibitoren auch bei der Behandlung von Typ-1-Diabetikern ins Spiel gebracht. Wie Professor Dr. Jochen Seubert vom Universitätsklinikum Freiburg berichtete, hat Dapagliflozin seit einiger Zeit die Indikationserweiterung in der Tasche und darf bei Typ-1-Diabetes in Ergänzung zu Insulin bei Patienten mit einem Body-Mass-Index von mindestens 27 eingesetzt werden, wenn Insulin allein den Blutzucker trotz optimaler Insulintherapie nicht ausreichend kontrolliert.
Diabetes-Patienten unter Gliflozin-Therapie sollten neben ihrem Blutzuckerspiegel auch die Ketonkörper im Blick behalten. / Foto: Shutterstock/Dragana Gordic/Hermes
Seubert verwies auf das DEPICT-Studienprogramm mit Dapagliflozin bei Typ-1-Diabetes. Neben einer Senkung des HbA1c-Wertes hält es der Mediziner für ganz wichtig, dass das Gliflozin auch die Glucose-Variabilität bei den Patienten deutlich reduzierte. Die Blutzuckerwerte der Patienten lagen für rund 2,5 zusätzliche Stunden im zuvor festgelegten Zielkorridor. Über 52 Wochen betrachtet, konnte der Insulinbedarf der Patienten gesenkt werden und auch das Körpergewicht reduzierte sich. Ein erhöhtes Unterzuckerungsrisiko habe es nicht gegeben, so Seubert.
Im Zusammenhang mit Gliflozinen wird häufig auch auf eine mögliche Ketoazidose hingewiesen. Die Behandlung mit Forxiga bei Typ-1-Diabetes muss laut dem Referenten auch deshalb von einem Spezialisten initiiert und kontrolliert werden. Die empfohlene Dosis beträgt nur 5 mg einmal täglich und vor Therapiebeginn sollten Risikofaktoren für eine diabetische Ketoazidose bewertet werden.
Zudem sollte sichergestellt sein, dass der Patient in der Lage ist, die Ketonkörper-Spiegel eigenständig zu überwachen. Während der ersten ein bis zwei Wochen der Behandlung sollte der Patient dies regelmäßig tun. Längere Fastenzeiten oder Insulinmangel sollten die Patienten vermeiden und das Gliflozin zum Beispiel bei Infektionen und vor Operationen pausieren. Laut Seubert haben normalgewichtige Patienten ein höheres Risiko für Ketoazidosen als übergewichtige Patienten und solche mit Insulinresistenz.
Nicht nur in der Klasse der SGLT-2-Hemmer tut sich etwas, auch bei den Inkretin-basierten Therapien gibt es Neuigkeiten. Demnächst könnte es den ersten oral bioverfügbaren Agonisten am Glucagon-like-Peptide-1(GLP-1)-Rezeptor geben: Semaglutid. Bislang ist dieser GLP-1-Rezeptoragonist neben anderen nur als subkutane Injektion im Handel (Ozempic®). Die Firma Novo Nordisk hat im April 2020 aber auch für orales Semaglutid (Rybelsus®) eine EU-Zulassung erhalten. Die Markteinführung könnte also bald bevorstehen.
In Rybelsus® wurde der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid oral verfügbar gemacht. / Foto: Novo Nordisk
Professor Dr. Baptist Gallwitz vom Universitätsklinikum Tübingen erklärte das Wirkprinzip: In Rybelsus ist neben dem Arzneistoff auch das Fettsäure-Derivat SNAC (sodiumN-(8-[2-hydroxybenzol]amino)caprylat) enthalten. Dieses sorgt im Magen für einen lokalen pH-Wert-Anstieg, was die Löslichkeit von Semaglutid verbessert und dieses gleichzeitig vor dem proteolytischen Abbau schützt. Die Aufnahme des Wirkstoffs erfolgt im Magen, vermutlich über die transzelluläre Route. Wie Gallwitz informierte, zeigte das orale Semaglutid im PIONEER-Studienprogramm unter anderem, dass es ähnliche Effekte hinsichtlich HbA1c-Senkung und Reduktion des Körpergewichts hat wie die zu injizierende Form des GLP-1-Rezeptoragonisten.
Der Mediziner informierte weiter, dass orales Semaglutid auch in einer kardiovaskulären Endpunktstudie, PIONEER 6, eine Nichtunterlegenheit in Bezug auf das kardiovaskuläre Sicherheitsprofil im Vergleich zu Placebo zeigen konnte. Die relative Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse sei aber nicht signifikant gewesen. Gallwitz zufolge wird es mit der SOUL-Studie nun eine weitere kardiovaskuläre Endpunktstudie mit oralem Semaglutid geben.
Für die Abgabe von oralem Semaglutid können sich Apotheker einen wichtigen Hinweis merken: Die Tabletten sollten – ähnlich wie L-Thyroxin – morgens auf leeren Magen und mindestens 30 Minuten vor einer Mahlzeit eingenommen werden.
Bei oralen GLP-1-Rezeptoragonisten muss die Entwicklung von Inkretin-basierten Medikamenten nicht enden. Das machte Professor Dr. Michael A. Nauck vom Universitätsklinikum Bochum deutlich. Ungewöhnlich für einen Vortrag bei einer Diabetes-Tagung war, dass er mit bariatrischen Operationen einstieg. Diese führen zu einer massiven Gewichtsreduktion und die Remission eines Typ-2-Diabetes ist möglich.
Wie Nauck ausführte, kommt es nach einer Magen-Bypass-Operation zu einer prägnanten Steigerung der Sekretion von GLP-1 (Faktor 5 bis 10), aber auch von anderen Darmhormonen, etwa GIP (glucoseabhängiges insulinotropes Peptid) und PYY (Peptid YY). Laut Nauck führen anatomische Veränderungen im Zuge der Operation zu einer Veränderung des hormonellen Milieus. »Neuroendokrine Mechanismen könnten also letztlich für die Abnahme des Körpergewichts und die bessere Stoffwechselkontrolle entscheidend sein«, so das Fazit des Mediziners.
Inkretin-Co-Agonisten, die sich in der Entwicklung befinden, würden praktisch nach dem Vorbild der bariatrischen Chirurgie entwickelt. Eines Tages könne ein Pharmakon womöglich die bariatrische Chirurgie überflüssig machen. Aber das ist noch ferne Zukunftsmusik.
In der Entwicklung befinden sich zum Beispiel duale GLP-1/GIP-Agonisten. Bereits erfolgreich klinisch getestet wurde Tirzepatid (LY3298176). Auch duale GLP-1/Glucagon-Rezeptoragonisten wie Cotadutid befinden sich schon in klinischer Prüfung. Auch vom Glucagon ist bekannt, dass seine Spiegel nach einer bariatrischen Operation steigen und es wird postuliert, dass es die Sättigung erhöhen kann.
Bisher nur tierexperimentell wurden Triple-Agonisten am GLP-1/GIP- und Glucagon-Rezeptor untersucht. Bei Mäusen zeigte sich laut Nauck aber eine Gewichtsreduktion von mehr als 25 Prozent. Er sei gespannt, wie sich die Triple-Agonisten in klinischen Studien schlügen und auch was dann kardiovaskuläre Endpunktstudien an Ergebnissen hervorbrächten.