Neuartiger Inhibitor beim Multiplen Myelom |
Kerstin A. Gräfe |
04.11.2022 07:00 Uhr |
Die Zulassung in der Zweitlinie basiert auf der randomisierten Phase-III-BOSTON-Studie an 402 erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem Multiplem Myelom, die zuvor eine bis drei Therapielinien erhalten hatten. Sie wurden randomisiert entweder mit Selinexor (100 mg einmal wöchentlich), Bortezomib (1,3 mg/m2 einmal pro Woche) und Dexamethason (20 mg zweimal pro Woche) oder Bortezomib (1,3 mg/m2 zweimal pro Woche in den ersten 24 Wochen und danach einmal pro Woche) und Dexamethason (20 mg in den ersten 24 Wochen viermal pro Woche und danach zweimal pro Woche) behandelt. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS).
Unter der Dreifachtherapie war das PFS mit 13,2 Monaten signifikant länger als unter der Bortezomib/Dexamethason-Kombination mit 9,5 Monaten. Das mediane PFS verlängerte sich um 4,47 Monate (47 Prozent). Zudem erzielte die Dreifachtherapie eine signifikant höhere Gesamtansprechrate als die Vergleichstherapie (76,4 versus 62,3 Prozent).
Die Dreierkombination war insgesamt toxischer. Die häufigsten Nebenwirkungen (≥ 30 Prozent) waren Thrombozytopenie, Übelkeit, Ermüdung, Anämie, verminderter Appetit, Diarrhö, Erbrechen, Hyponatriämie, Neuropathie und Leukopenie.
Die Zulassung in der Fünftlinie beruht auf den Daten der einarmigen, unverblindeten Phase-IIb-Studie STORM an 123 Erwachsenen mit schwer vorbehandeltem, dreifach refraktärem Multiplen Myelom. Die mit Selinexor und Dexamethason behandelten Patienten erreichten eine Gesamtansprechrate von 25,3 Prozent (primärer Endpunkt). Das mediane Gesamtüberleben betrug 8,6 Monate in der Gesamtpopulation und 15,6 Monate bei Patienten, die ein minimales Ansprechen oder besser hatten.
Zu den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen, die bei mehr als 20 Prozent der Patienten auftraten, gehörten Thrombozytopenie, Müdigkeit, Übelkeit, Anämie, verminderter Appetit, Gewichtsabnahme, Durchfall, Erbrechen, Hyponatriämie, Neutropenie, Leukopenie, Verstopfung, Dyspnoe und Infektionen der oberen Atemwege.
Der Krankheitsverlauf beim Multiplen Myelom ist geprägt von Rezidiven, die auf vorherige Therapien schlecht oder gar nicht ansprechen. In der Erstlinie erzielt der Einsatz von Drei- oder Vierfachkombinationen gute Resultate, in der Zweitlinie wird dadurch allerdings der Klassenwechsel erschwert. Viele unterschiedliche Wirkstoffklassen als Therapieoptionen zu haben, ist also wichtig und die Einführung einer neuen Klasse stellt daher ein äußerst willkommenes Ereignis dar.
Selinexor als erster XPO1-Inhibitor kann vorläufig als Sprunginnovation gesehen werden. Erste Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass die Inhibition von XPO1 bestehende Resistenzen gegen einige Wirkstoffklassen schwächen kann. Auch das wäre ein großer Gewinn.
Insbesondere die Zulassungserweiterung für Selinexor in der Zweitlinientherapie in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason ist zu nennen. Ergebnisse der BOSTON-Studie zeigen zwar keine riesengroße Verlängerung des progressionsfreien Überlebens. Der Unterschied zur Gruppe, die nur Bortezomib und Dexamethason erhielt, ist aber signifikant. Jedoch ist das Nebenwirkungspotenzial von Selinexor nicht zu unterschätzen. Gut, dass die Substanz in der Zweitlinie nur einmal wöchentlich zum Einsatz kommt. In der Fünftlinientherapie in Kombination mit Dexamethason wird Selinexor hingegen zweimal wöchentlich verabreicht.
Das Target von Selinexor ist auch für die Behandlung anderer Krebserkrankungen interessant. In den USA ist der Wirkstoff bereits beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom zugelassen und erst kürzlich hat Selinexor die EU-Zulassung zur Behandlung von Myelofibrose als Arzneimittel für seltene Leiden erhalten. Zudem laufen Studien bei bestimmten anderen Lymphomen und Sarkomen.
Sven Siebenand, Chefredakteur