Modifizierter Anti-CD20-Antikörper bei schubförmiger MS |
Kerstin A. Gräfe |
01.03.2024 15:30 Uhr |
Bei Multipler Sklerose kommt es zu einem Abbau der isolierenden Myelinschicht am Axon, was zu zu motorischen und neuronalen Symptomen führt. / Foto: Adobe Stock/freshidea
Ublituximab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der gezielt gegen das CD20-Antigen auf der Oberfläche von B-Lymphozyten gerichtet ist. Letztere spielen im neurodegenerativen Entzündungsgeschehen bei Multipler Sklerose (MS) eine entscheidende Rolle. Durch die Bindung an CD20 initiiert Ublituximab die Lyse von CD20-exprimierenden B-Zellen, überwiegend durch antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität (ADCC). Der Neuling wirkt somit auf die gleiche Weise wie die bereits zugelassenen Anti-CD20-Antikörper Ocrelizumab, Ofatumumab und Rituximab (off Label).
Laut Hersteller Neuraxpharm handelt es sich hierzulande um den ersten glycoengineerten Anti-CD20-Antikörper in der MS-Therapie. Unter Glycoengineering versteht man eine gezielte Veränderung von Zuckermolekülen an einem Protein. Bei Ublituximab wurden »störende« Zuckerreste vom Antikörper entfernt, was die Affinität der Fc-Region für FcγRIIIa (CD16) erhöht. Das Oberflächenprotein CD16 befindet sich zum Beispiel auf natürlichen Killerzellen und T-Zellen. Letztlich soll die Modifikation die ADCC erhöhen.
Ublituximab (Briumvi® 150 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Neuraxpharm) ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit RMS mit aktiver Erkrankung, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung.
Briumvi wird intravenös infundiert. Die erste Dosis beträgt 150 mg, gefolgt von einer zweiten Dosis von 450 mg zwei Wochen später. Danach werden alle 24 Wochen 450 mg infundiert. Vor jeder Gabe wird eine Prämedikation gegen infusionsbedingte Reaktionen verabreicht. Diese besteht aus einem Glucocorticoid (100 mg Methylprednisolon oder 10 bis 20 mg Dexamethason) und einem Antihistaminikum (Diphenhydramin). Zudem kann die Gabe eines Antipyretikums wie Paracetamol erwogen werden.
Während der Infusionen sollten die Patienten hinsichtlich des Auftretens von infusionsbedingten Reaktionen beobachtet werden. Nach den ersten beiden Infusionen sollten sie zudem für mindestens eine Stunde überwacht werden. Bei den Folgeinfusionen ist Letzteres nur erforderlich, wenn infusionsbedingte Reaktionen früher aufgetreten sind.
Briumvi darf nicht bei Patienten mit schweren aktiven Infektionen, starker Immunschwäche oder bekannten aktiven malignen Erkrankungen angewendet werden. Wie bei anderen Anti-CD20-Antikörpern kann es unter Ublituximab zu einer Reaktivierung des Hepatitis-B-Virus (HBV) kommen. Vor Behandlungsbeginn ist daher ein HBV-Screening notwendig.
Es wurden keine Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen durchgeführt. Die gleichzeitige Gabe von anderen Immunsuppressiva (Ausnahme Corticosteroide zur Behandlung akuter MS-Schübe) wird nicht empfohlen. Gleiches gilt für die Verwendung von Lebendimpfstoffen oder attenuierten Lebendimpfstoffen während der Antikörperbehandlung und bis zur B-Zell-Repletion. Die Immunisierung sollte mindestens vier Wochen vor der ersten Anwendung von Ublituximab abgeschlossen sein. Im Fall von inaktivierten Impfstoffen wird empfohlen, dass die Immunisierung mindestens zwei Wochen zuvor beendet ist.
Ublituximab soll bei Schwangeren nicht zum Einsatz kommen; es sei denn, der potenzielle Nutzen für die Mutter überwiegt das Risiko für den Fetus. Abgesehen von den ersten Tagen nach der Geburt kann Briumvi während der Stillzeit angewendet werden, sofern dies klinisch erforderlich ist. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens vier Monate nach der letzten Infusion eine zuverlässige Empfängnisverhütung anwenden.
Sicherheit und Wirksamkeit wurden in den zwei identisch aufgebauten, randomisierten, kontrollierten und doppelblinden Phase-III-Studien ULTIMATE I (n = 549) und ULTIMATE II (n = 545) untersucht. Eingeschlossen wurden Erwachsene mit diagnostizierter RMS, die in den zwei Jahren vor Studienbeginn aktive Krankheitssymptome aufgewiesen hatten. Sie wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten entweder Ublituximab in Kombination mit oralem Placebo oder Teriflunomid in Kombination mit Placebo-Infusionen.
Primärer Endpunkt war die jährliche Schubrate (ARR) nach 96 Wochen. Ublituximab war in beiden Studien signifikant überlegen. Gegenüber Teriflunomid wurde eine relative Reduktion der ARR um 59 Prozent und 49 Prozent beobachtet. Bei einem hohen Anteil der Teilnehmenden gab es keine Hinweise auf Krankheitsaktivität (82 Prozent versus 23 Prozent unter Teriflunomid).
Die häufigsten Nebenwirkungen waren infusionsbedingte Reaktionen (45,3 Prozent) und Infektionen (55,8 Prozent).
Mit Ublituximab steht ein weiterer Antikörper für die Behandlung erwachsener Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS) zur Verfügung. In den Zulassungsstudien hat er seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt; eine Innovation ist der Neuling aber nicht. Denn es gibt bereits mehrere Anti-CD20-Antikörper in dieser Indikation und weder Einsatzgebiet noch Wirkmechanismus sind neu. Die vorläufige Einstufung lautet Analogpräparat.
Auch die relativ seltene Gabe in der Erhaltungstherapie ist kein Alleinstellungsmerkmal. Dies ist ebenfalls bei Ocrelizumab der Fall, das zudem bei der primär progredienten MS zugelassen ist. Und Ofatumumab muss sogar nur subkutan verabreicht werden und gar nicht infundiert werden. Dies allerdings dann monatlich.
Ein direkter Vergleich der Anti-CD20-Antikörper in der MS-Therapie wäre äußerst wünschenswert. Möglicherweise könnte dies dann zu einer anderen Einstufung von Ublituximab führen.
Sven Siebenand, Chefredakteur