Mit Leuchtturmprojekten die Versorgung verbessern |
Cornelia Dölger |
26.04.2023 19:00 Uhr |
Foto: Getty Images/Eye Em/Oliver Henze
Apotheken setzen sich grundsätzlich für ihre Patienten ein, so viel ist klar. Für außergewöhnliches Engagement ausgezeichnet zu werden, dürfte darüber hinaus motivierend sein. So geschehen am heutigen Mittwoch in Berlin, wo der Deutsche Apothekerverband (DAV) heute sechs Offizinen mit dem Apotheken-Award ehrte. Ausgezeichnet werden mit innovativen Ansätzen und echtem Patientennutzen, so Berend Groeneveld, DAV-Patientenbeauftragter sowie Schirmherr des Awards.
»Diese Apotheken zeigen die Vielfalt, was die Apotheke vor Ort alles leisten kann, und das in Krisen- und Pandemiezeiten und trotz chronischer Unterfinanzierung – es sind echte Lichtblicke«, lobte Groeneveld. Diese Apothekeninhabenden und ihre Teams hätten sich gefragt: Was fehlt bei mir im Ort, wie kann ich den Menschen helfen und die Politik dabei einbinden? Ideenreichtum, Flexibilität, Pragmatismus sowie die Übernahme von Verantwortung zeichnen die Gewinner aus.
Für ihre besonderen Projekte, Initiativen und Angebote wurden in zwei Kategorien je drei Preisträger gekürt. Die Sieger in beiden Kategorien erhalten je 2500 Euro Preisgeld, die Zweitplatzierten 1000 Euro, die Drittplatzierten 500 Euro. Insgesamt hatten sich 28 Projekte aus ganz Deutschland in den beiden Kategorien beworben. Die Qualität der Projekte sei in diesem Jahr besonders hoch gewesen, betonte Groeneveld. Nun aber zu den Preisträgern:
In der Kategorie »Apotheke und Patient« holte die Hagener Internationale Rathausapotheke den ersten Platz. Dabei war der Projekttitel, den das Team um Christian und Klaus Fehske wählte, ebenso lang wie bezeichnend: »Kommunikation und Erlebbar-Machen des gesellschaftlichen Mehrwertes kompetenter, flexibler Vor-Ort-Apotheken auch unter besonderen Belastungssituationen wie Pandemie und Lieferengpässen«. Oder wie es Klaus Fehske bei der Preis-Entgegennahme einfacher ausdrückte: »Tue Gutes und rede darüber – wir wollen die Politik laut und überzeugend auf die Apotheken aufmerksam machen.«
Den ersten Platz in der Kategorie »Apotheke und Patient« gewannen Klaus und Christian Fehske (mit Urkunde und Award), hier bei der Überreichung mit dem kommissarischen DAV-Vorsitzendem Dr. Hans-Peter Hubmann (ganz links), Claudia Korf und Christina Verdenhalven von der ABDA sowie Schirmherr und DAV-Patientenbeauftragter Berend Groeneveld. / Foto: PZ/André Wagenzyk
Dafür suchte das nun erstplatzierte Team den Dialog mit Politikern, regional, auf Landes- und Bundesebene, und sorgte dafür, dass in Lokalpresse, Radio und TV darüber berichtet wurde. Erst letzte Woche schrieb Christian Fehske noch einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dass endlich ein Versorgungsengpass bei Antibiotika festgestellt werden müsse.
Handfest bekämpfte die Apotheke die aktuellen Lieferengpässe, indem sie einen Eigenimport von 50 Kilogramm Paracetamol direkt vom Wirkstoffhersteller aus China organisierte und knapp 2000 Ibu- und Paracetamol-Säfte sowie etwa 10.000 Kinderzäpfchen herstellte. Das sprach sich herum, sodass verzweifelte Eltern selbst aus dem eine Stunde entfernten Köln kamen.
Selbst hergestellt war auch das Desinfektionsmittel, etwa vier Tonnen wurden im Apothekenlabor produziert – unter anderem mit 80 Litern Spiritus, die eine örtliche Schnapsbrennerei der Apotheke geschenkt hatte. Auch ein Corona-Testzentrum gründete die Apotheke, etablierte und pflegte ein Onlineportal für alle Hagener Bürgerteststellen und stellte lokale Impfaktionen inklusive Drive-In-Schalter auf die Beine. Laudatorin Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, lobte zudem, dass Christian und Klaus Fehske mit die ersten gewesen seien, die »Yes, we can!« zu den pharmazeutischen Dienstleistungen gesagt hätten.
Platz zwei in der Kategorie »Apotheke und Patient« ging an die Alamannen-Apotheke in Holzgerlingen für das »Böblinger Modell – Desinfektion, Testen und Impfen. Wie Apotheker:innen einen Landkreis in der Pandemie unterstützen«. Inhaber Björn Schittenhelm ist Initiator des Modells und hat sich damit während der Pandemie weit über Fachkreise hinaus einen Namen gemacht. »Er war einer von den ersten und hat dank seiner guten Vernetzung vor Ort schnell, effektiv und gut auf die Pandemie reagiert«, lobte Korf. Das »Böblinger Modell« sei zum Vorbild geworden und habe viel mediale Resonanz gebracht.
»Es fing mit einem Anruf in der Nacht von der Kassenärztlichen Vereinigung an, die Desinfektionsmittel für ihre Notarztpraxen brauchte«, berichtete Schittenhelm. Quasi rund um die Uhr stellten seine Mitarbeitenden Desinfektionsmittel her. Mehr als 50.000 Liter kamen so im Jahr 2020 zusammen, insgesamt wurden 300 Apotheken sowie 2000 Praxen und Krankenhäuser beliefert.
Mit seinen flächendeckenden Corona-Schnelltests im Akkord avancierten Schittenhelm und seine Mistreiter dann zu Beginn der zweiten Coronawelle zu Wegbereitern der Bürgertestungen. Dabei war seine Apotheke die erste Deutschland weit, die dazu offiziell von einem Gesundheitsdienst beauftragt wurde.
In der zweiten und dritten Welle lagen die Inzidenzen im Landkreis Böblingen deutlich niedriger als im Umkreis sowie in ganz Baden-Württemberg, wie es in der Bewerbung der Alamannen-Apotheke heißt.
Auch beim Impfen setzte Schittenhelm in Pandemie-Hochzeiten auf Akkord – es galt, möglichst viele möglichst schnell zu erreichen, etwa beim »Holzgerlinger Impfmarathon« im Mai 2022. Seit dem 8. Februar 2022 führte Schittenhelm über 1000 Covid-Impfungen selbst durch, seit Oktober 2022 impft er auch gegen Influenza.
Die Heegbach-Apotheke aus dem hessischen Erzhausen, die auf dem dritten Platz landete, hat sich die optimale »Rund-um-Versorgung vor Ort bei jeder Herausforderung« auf die Fahnen geschrieben. Um etwa den Mangel an Desinfektions- und Kinderarzneimitteln zu bekämpfen, stieg auch das Team um Inhaber Nojan Nejatian in die Eigenproduktion ein. Das sei bei den Patienten sehr gut angekommen.
In der Corona-Pandemie engagierte sich die Heegbach-Apotheke zudem als Initiatorin gemeinsam mit Feuerwehr, Polizei, DRK und vielen ehrenamtlichen Helfern einer Maskenverteilaktion für ganz Erzhausen – »noch bevor die Bundesregierung sich entschlossen hatte für Senioren Masken auszugeben«. »Der Ort hat zusammengehalten«, berichtete Nejatian bei der Preisverleihungen. Auch Testungen und später Impfaktionen bot die Apotheke an. »Die Apotheke hat sich als Champion der Pandemie bewährt«, lobte Korf.
Auch mit ihren Hilfsaktionen für die Ukraine sowie die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien setzte die Heegbach-Apotheke auf Solidarität. Etwa mit Hilfspaketen mit Medikamenten und Verbandsmaterial unterstützte die Apotheke ein Krankenhaus im ukrainischen Ivanychi, der Partnerstadt Erzhausens. Falls sie das ausgeschriebene Preisgeld gewinne, werde dies zu gleichen Teilen den beiden Projekten »Vergiss-Mein-Nicht« sowie »Helfende Hand« (Hilfe für die Ukraine) zukommen, kündigte das Team bereits vorab an.
Ihr Engagement für mehr Nachhaltigkeit sicherten sich die Medios-Apotheken in Berlin den ersten Platz in der Kategorie »Moderne Apotheke«. Ihr Projekt »Ökonomisch, ökologisch, sozial – Unsere Nachhaltigkeitsstrategie für die Medios-Apotheke« soll ermöglichen, den Klima-Fußabdruck des globalen Gesundheitswesens »innerhalb unserer Möglichkeiten« zu verkleinern – groß gedacht, klein umgesetzt, etwa in einer digital optimierten Botendienst-Verwaltung, erklärte das Team um Inhaberin Anike Oleski in der Bewerbung. Möglichst papierlos soll es zugehen, ob im Labor, bei den Preisetiketten oder den Gehaltsabrechnungen.
Stellvertretend für ihr großes Team nahm Inhaberin Anike Oleski (zweite von links) den Apotheken-Award in der Kategorie »Moderne Apotheke« entgegen, hier bei der Überreichung mit dem kommissarischen DAV-Vorsitzendem Dr. Hans-Peter Hubmann (ganz links), Claudia Korf und Christina Verdenhalven von der ABDA sowie Schirmherr und DAV-Patientenbeauftragter Berend Groeneveld. / Foto: PZ/André Wagenzyk
Für den Klimaschutz im Betrieb hat die apothekeneigene Umweltgruppe die größten Energie- und Ressourcenfresser analysiert und »systematisch an den Stellschrauben gedreht«, um die Ökobilanz nachhaltig zu verbessern. Die Mitarbeiter würden regelmäßig zu dem Thema geschult und engagierten sich zudem bei Projekten etwa zu Abfallvermeidung und Recycling. Beim Botendienst würden ausschließlich wiederverwendbare Kartonagen genutzt, kurze Routen per Fahrrad erledigt. Langfristig sollten alle Autos der Lieferflotte auf E-Mobilität umgestellt werden.
Bei Neueinstellungen achte die Medios-Apotheke »auf die Person hinter der Bewerbung«. Toleranz, Respekt und Wertschätzung seien unabdingbar. »Das ökologische, ökonomische und soziale Bewusstsein zeichnet diese moderne Apotheke aus«, so Korf. Das Beispiel zeige, dass Engagement zeigen und Erfolg haben gut zusammen gehen.
Inhaberin Oleski betonte, dass die besten Ideen fast immer aus ihrem Team kämen und von diesem mit viel Herzblut und Enthusiasmus umgesetzt würden – sie sei dabei eher »nur« die Unterstützerin. Auch die Idee für die Bewerbung um den Award kam von den Mitarbeitenden, die dafür sogar ein kleines, aber professionelles Video drehten.
Platz zwei gab es für die Apotheke am Goetheplatz aus dem niedersächsischen Nienburg für »Wir helfen Ihnen aufräumen«, ein Modellprojekt zur fachgerechten Arzneimittelentsorgung im Landkreis Nienburg/Weser, bei dem Patienten ihre Altmedikamente in die Apotheke zurückbringen können. So soll verhindert werden, dass Altmedikamente in der Umwelt landen und dort Schaden anrichten. Korf lobte den handfesten Ansatz, der zeige, dass Ökologie auch etwas mit Apotheke zu tun habe.
»Zahlreiche Patientinnen und Kunden wünschen sich die sichere Entsorgung ihrer Arzneimittel und diesem Wunsch möchten wir nachkommen«, erklärte Inhaberin Anja Thijsen in der Bewerbung. Die Resonanz sei überzeugend, inzwischen beteiligten sich 80 Prozent der Apotheken im Landkreis an der Initiative. Auch der kommunale Entsorgungsbetrieb sei engagiert. »Wir Apotheken können zum Gewässer- und Trinkwasserschutz beitragen«, betonte Thijsen und wünscht sich zum einen Nachahmer, zum anderen aber auch endlich wieder ein deutschlandweit einheitliches Rücknahmesystem für Altarzneimittel.
Platz drei ging an die Paradies-Apotheke in Köln. Die Offizin setzt auf Reichweite, in Pandemiezeiten besonders auf digitale. »Social Media in Pandemiezeiten für Patient:innen – B2C und B2B« heißt das Projekt oder vielmehr das grundsätzliche Credo der ältesten Apotheke Kölns, das nun ausgezeichnet wurde. Informieren, aufklären, die lokale Apotheke auch digital unverzichtbar machen, das war dabei der Antrieb des Apothekenteams.
Inhaber Dirk Vongehr gründete deshalb vor zwei Jahren eine Non-Profit-Facebook-Gruppe. »Helfen, anleiten, Fragen beantworten, Vorurteile nehmen und genau die Dinge anpacken, die uns unter den Nägeln brennen«, darum solle es darin gehen. Er wolle sein Wissen nicht für sich behalten, sondern mit Patienten und Kollegen teilen.
Neben der Vermittlung von Wissen ist dem Apotheker auch daran gelegen, auf Social Media für den Beruf zu werben. »Apotheke kann ein moderner Arbeitsplatz sein, ein Ort, an dem man gerne arbeitet und die Dinge tut, die wir lieben. Man muss es nur tun und das auch digital«, erklärte er. Und: »Unser Beruf macht Spaß, ist für fast alle von uns auch Berufung. Das müssen wir zeigen.«