Milchkonsum als Risikofaktor für Multiple Sklerose |
Christina Hohmann-Jeddi |
21.01.2025 10:30 Uhr |
Welche Faktoren beeinflussen nun diese Darm-Hirn-Achse? Hier sei vor allem die Ernährung zu nennen, so Kürten. Eine Rolle könnte dabei der Konsum von Kuhmilch spielen. Epidemiologische Daten zeigten, dass die MS-Prävalenz in Ländern mit hohem Milchkonsum höher sei als in Ländern mit niedrigem Konsum. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1992 aus 27 Ländern ermittelte eine eindeutige, signifikante Korrelation zwischen dem Konsum von flüssiger Milch und MS-Prävalenz. Bei dem Konsum von Milchprodukten wie Butter und Sahne war die Korrelation schwächer ausgeprägt, aber immer noch signifikant (»Neuroepidemiology«, DOI: 10.1159/000110946). Die Studienautoren folgerten damals, dass in der Kuhmilch Faktoren enthalten sein könnten, die zur MS-Pathologie beitragen.
Was diese Faktoren sein könnten, hat Kürten mit ihrer Arbeitsgruppe genauer untersucht. »Die naheliegende Antwort sind Proteine wie Casein oder β-Lactoglobulin«, sagte die Medizinerin. Daher immunisierte das Team um Erstautorin Dr. Rittika Chunder Mäuse mit verschiedenen Milchproteinen, um die Auswirkungen zu beobachten (»PNAS« 2022, DOI: 10.1073/pnas.2117034119). Bei Mäusen, die mit Casein immunisiert wurden, konnten Antikörper gegen das Milchprotein ins Rückenmark eindringen und dort Schäden bewirken. Der Grund: Die Anti-Casein-Antikörper reagierten auch mit dem Myelin-assoziierten Glykoprotein (MAG), das am Aufbau der Myelinhülle um Axone von Nervenzellen beteiligt ist.
Bei Multipler Sklerose greift das Immunsystem die Myelinscheide um die Nervenfortsätze (Axone) bestimmter Neuronen an. / © Getty Images/Stocktrek Images
Ist dieser Mechanismus auch bei Menschen relevant? Bei weiterführenden Untersuchungen zeigte sich, dass MS-Patienten tatsächlich signifikant höhere Anti-Casein-Antikörpertiter aufwiesen als Gesunde. Dabei stellte sich auch heraus, dass stärkere Antworten gegen Casein mit einer höheren Reaktivität gegen ZNS-Antigene einhergingen. In neuesten Studien konnte die Arbeitsgruppe zeigen, dass Ähnliches auch für das ENS im Darm gilt. Eine gewisse Subpopulation von MS-Patienten könnte daher von einem Verzicht auf Milch profitieren.
»Schon länger war bekannt, dass ein anderes Milchprotein, nämlich Butyrophilin, mit dem Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) kreuzreagiert«, informierte Kürten. Zwischen den beiden Molekülen bestehe eine deutliche Sequenzähnlichkeit. Antikörper gegen MOG erkennen entsprechend auch das Milchprotein und umgekehrt.
In weiteren Studien zeigte sich, dass die Reaktivität nicht auf Kuhmilch beschränkt ist. MS-Patienten reagierten auch Schaf- und Ziegenmilch, berichtete Kürten. Vegane Alternativen zeigten sich dagegen nicht immunologisch aktiv. Weitere Studien seien nötig, um die Kreuzreaktivität genauer zu untersuchen und um zu testen, ob eine milchfreie Diät eine MS-Erkrankung beeinflussen kann.