»Man hat uns den Entwurf vor die Füße geworfen« |
Cornelia Dölger |
14.09.2022 14:28 Uhr |
Insofern seien die Pläne nicht nur phantasielos, sondern sie setzten zudem an einem Punkt an, »an dem es nichts mehr zu sparen, nichts mehr zu holen gibt«. Der Fixbetrag pro Rx-Arzneimittel sei vor mehr als neun Jahren zum letzten Mal angehoben worden. Auf weitere Vergütungsanpassungen hätten die Apotheken seit 2013 verzichten müssen. Dass nun auch noch der Apothekenabschlag zeitweise auf zwei Euro steigen solle, sei »die nächste Giftspritze für unser Biotop der Arzneimittelversorgung«.
Die Apothekenvergütung durch die GKV befinde sich seit Jahren im Sinkflug, so Overwiening weiter. Er sei durch die Coronamaßnahmen lediglich verschleiert worden, keinesfalls gestoppt. Insofern sei die Mär, »wir hätten in den Pandemiejahren 2020 und 2021 gute Gewinne in den Apotheken erzielt, dann könnten wir in den nächsten zwei Jahren auch Einbußen hinnehmen«, nicht hinnehmbar. »Ein solcher Denkansatz ist ebenso unerhört wie oberflächlich und ganz sicher nicht nachhaltig.« Dass die Politik gleichzeitig hohe Investitionen in sogenannte Gesundheitskioske tätigen wolle, sei pure Geldverbrennung. »Statt jährlich so viel Geld in die Etablierung einer überflüssigen Parallelstruktur zu investieren, wäre es klüger, bestehende, niederschwellige Strukturen wie Apotheken zu stärken.«
An diesem Freitag berät der Bundesrat erstmals über das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – diese Gelegenheit sollte ergriffen werden, um sich gegen die Erhöhung des Kassenabschlags auszusprechen, forderte Overwiening. Anfang September hatte sich der Gesundheitsausschuss der Länderkammer mit dem Gesetz auseinandergesetzt und dem Plenum empfohlen, die Erhöhung des Kassenabschlags abzulehnen. Das Vorhaben ist nicht zustimmungspflichtig, die Länder können das Gesetz im Bundesrat also zwar nicht blockieren, aber eine starke Gegenmeinung äußern.
Als einen »echten Quantensprung« für die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) bezeichnete die ABDA-Chefin die in diesem Jahr eingeführten vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen. »Quantensprung« insofern, als »wir als Apothekerinnen und Apotheker erstmals im unmittelbaren Kontakt mit den Patientinnen und Patienten Dienstleistungen für diese auslösen, die von allen Kassen honoriert werden«. Das sei »ein Einstieg in eine völlig neue Welt.« Die Arzneimittelversorgung werde dadurch umfassender, fürsorglicher und sicherer. »Wir haben es jetzt in der Hand, diese Tür sukzessive weiter aufzustoßen.«
Denn die ersten fünf honorierten Dienstleistungen – die Erfolgskontrolle bei Bluthochdrucktherapie, die Betreuung von Patientinnen und Patienten nach Organtransplantation sowie unter oraler Antitumortherapie, Schulungen zu Inhalativa und die Analyse und intensivierte Beratung bei Polymedikation – seien »nur ein kleiner Auszug aus einem umfassenden Katalog an versorgungssichernden Dienstleistungen, den wir erarbeitet haben«. In Anlehnung an das Motto ihres Lageberichts erinnerte Overwiening daran, dass es auch ein Ergebnis jahrzehntelanger Zuversicht sei, dass die Angebote nun tatsächlich gemacht werden könnten.
Umso schwerer wiegen zwei Reaktionen auf diese Entwicklung: zum ersten die GKV-Klage gegen den gerade erst errungenen Schiedsspruch, ohne den die pharmazeutischen Dienstleistungen gar nicht hätten etabliert werden können. Overwiening forderte: »Wir erwarten vom GKV-Spitzenverband, dass er endlich die dafür bereitgestellten Beitragsgelder seiner Versicherten auch für deren Gesundheit investiert.«
Als zweiten Wermutstropfen nannte die ABDA-Chefin die teils harsche Ablehnung der Ärzte gegenüber den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen. Sie dürften nicht dazu führen, »dass Teile der Ärzteschaft uns daraufhin mit martialischer Wortwahl die Freundschaft aufkündigen, Hetzkampagnen gegen uns in Richtung der Versicherten auflegen oder für sich das Dispensierrecht fordern«. Das »absurde öffentliche Hetzen« belaste das Vertrauen der Menschen in die Gesundheitsberufe. Gefragt sei vielmehr »ein Mindestmaß an Anstand« in der Rhetorik, selbst wenn sich wie etwa im KV-Bezirk Hessen einige Ärzte im Wahlkampfmodus befänden.