Männer sehen Unordnung, Frauen eine Aufgabe |
Annette Rößler |
21.02.2023 07:00 Uhr |
Wer bei diesem Anblick das Bedürfnis verspürt, zum Spülschwamm zu greifen, der hat die Affordanz der Szene korrekt erfasst. / Foto: Adobe Stock/Brebca
Den Begriff Affordanz (Englisch: Affordance) prägte erstmals der US-amerikanische Psychologe James J. Gibson (1904 bis 1979). Er leitet sich ab vom englischen Verb to afford, was gewähren/ermöglichen bedeutet. Affordanz beschreibt ein implizites Angebot zur Handlung, das einem Gegenstand oder einer Situation innewohnt. In einem Artikel, der kürzlich im Fachjournal »Philosophy and Phenomenological Research« erschien, machen die beiden Philosophiedozenten Dr. Tom McClelland von der University of Cambridge und Professor Dr. Paulina Sliwa von der Universität Wien geschlechtsspezifische Unterschiede in der Affordanzauffassung dafür verantwortlich, dass Hausarbeit bei gemischtgeschlechtlichen Paaren nach wie vor mehr Frauen- als Männersache ist.
Diesbezüglich hätte man sich eigentlich von der Coronapandemie Fortschritte erwarten können, steigen McClelland und Sliwa in ihren Artikel ein. Denn während der Lockdowns seien in vielen Haushalten beide Partner zu Hause gewesen – eine Chance für die Männer, sich mehr einzubringen. Diese Hoffnung habe sich aber größtenteils nicht erfüllt. Mehr noch: Die meisten Männer würden es laut Studien gar nicht bemerken, dass im Haushalt und bei der Kinderbetreuung die Aufgaben ungleich verteilt seien.
Warum also übernehmen Frauen weiterhin den Löwenanteil dieser Aufgaben? Und warum bekommen Männer das meistens gar nicht mit? Die Antwort auf beide Fragen liege laut den Autoren in einer geschlechtsabhängig unterschiedlichen Affordanzauffassung. Einfach ausgedrückt: Frauen sehen in einer vollen Spülmaschine, in einem schmutzigen Fußboden oder in einem unordentlichen Zimmer gleich die Aufgaben »ausräumen«, »putzen« oder »aufräumen«. Männer eher nicht.
Können sich also Männer, die zu faul sind, den Müll rauszutragen, künftig ganz einfach damit herausreden, dass ihre Affordanzauffassung »halt anders« ist? Das wollen McClelland und Sliwa nicht gelten lassen. Die Affordanzauffassung sei willentlich und durch Üben änderbar, führen sie aus. Das »Auge« für zu erledigende Aufgaben im Haushalt lässt sich also schärfen – und zwar am besten durch eifriges Training. Da die Affordanzauffassung stark von gesellschaftlichen Normen abhänge, müsse sich aber auch an den tradierten Rollenbildern etwas ändern, um auf diesem Gebiet langfristig tatsächlich eine Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu erreichen.