Lösungsansatz löslicher Rezeptor |
Sven Siebenand |
10.04.2020 09:00 Uhr |
Eintrittsmöglichkeit oder doch keine: Ein neuer Arzneistoffkandidat gaukelt SARS-CoV-2 vor, er sei die Eintrittspforte zur Zelle, ist es aber nicht. / Foto: Adobe Stock/brimeux
Dass das Virus SARS-CoV-2 das Protein ACE2 als Korezeptor auf der Oberfläche menschlicher Zellen nutzt, um in diese einzutreten, ist bereits seit einigen Wochen bekannt. Diese Erkenntnis war auch nicht allzu überraschend, da ACE2 bereits für das »alte« Coronavirus SARS-CoV essenziell für den Infektionsweg war. Wichtig zu wissen ist, dass ACE2 nicht nur auf Lungenzellen, sondern an vielen anderen Stellen im Körper zu finden ist, etwa am Herzen, in Blutgefäßen, im Darm und in der Niere. Das könnte schwere Covid-19-Verläufe inklusive Multiorganversagen und Sepsis erklären.
APN01 ist lösliches menschliches ACE2 und soll Viren in die Irre führen. Statt an den Korezeptor auf der Zelloberfläche zu binden, docken sie nur an den Arzneistoffkandidaten an, der eben keine Eintrittspforte in die Zelle darstellt. Deutlich weniger Zellen würden dadurch infiziert werden. Besonders wichtig könnte dabei zudem sein, dass APN01 durch seinen Wirkmechanismus vor schädlichen Entzündungsreaktionen in der Lunge und einem akuten Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) schützen kann. Letzteres stellt bei vielen Covid-19-Opfern die Todesursache dar.
Apeiron Biologics hat von den Aufsichtsbehörden in Deutschland, Österreich und Dänemark die Genehmigung für eine Phase-II-Studie erhalten. Im Rahmen dieser sollen 200 schwer an Covid-19 erkrankte Patienten im Alter zwischen 35 und 80 Jahren behandelt werden. Studienorte in Deutschland sind das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Es handelt sich um eine placebokontrollierte randomisierte Doppelblindstudie. Die Patienten der Verumgruppe erhalten zweimal täglich intravenös APN01. Im Placeboarm bekommen die Patienten zweimal täglich intravenös applizierte physiologische Kochsalzlösung.
Die Behandlung der ersten Patienten soll zügig beginnen, so der Vorstandsvorsitzende von Apeiron Biologics, Peter Llewellyn-Davies, in einer Pressemeldung des Unternehmens. Der primäre Endpunkt ist ein zusammengesetzter Endpunkt aus Tod jeglicher Ursache oder invasive mechanische Beatmung innerhalb eines Zeitraumes von 28 Tagen oder bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus. Neben der klinischen Wirksamkeit sollen auch Sicherheit und Verträglichkeit bewertet werden. Letztere hat APN01 laut dem Unternehmen bereits in früheren Studien bei 89 Probanden unter Beweis stellen können.
Professor Dr. Josef Penninger, Miterfinder von APN01 und Professor an der University of British Columbia in Vancouver ist zuversichtlich, dass das rekombinante ACE2 erfolgreich zur Behandlung von Covid-19-Patienten eingesetzt werden kann. Das zeigen auch die Ergebnisse, die ein internationalen Forscherteam in »Cell« veröffentlicht hat. Erstautorin ist Vanessa Monteil vom Karolinska-Institut in Stockholm, als Seniorautor ist Penninger an der aktuellen Arbeit beteiligt.
Elektronenmikroskopische Aufnahme von SARS-CoV-2 (gelb). Das Virus braucht ACE2, um in die Zelle zu kommen. / Foto: NIH
Die Wissenschaftler fanden im ersten Schritt bei Zellversuchen heraus, dass der Zusatz von rhACE2 das Virus SARS-CoV-2 daran hinderte, in die Zellen einzudringen. Der Effekt war dosisabhängig. Der lösliche Rezeptor reduzierte das Viruswachstum um den Faktor 1000 bis 5000. Danach brachten die Forscher sogenannte Organoide von Blutgefäßen und Nieren mit SARS-CoV-2 zusammen. Diese Miniaturrepliken aus Zellkulturen wurden mit SARS-CoV-2 infiziert, durch Zugabe von rhACE2 wurde dies jedoch gehemmt.
Ursprünglich entwickelt wurde APN01 übrigens zur Behandlung der akuten Lungenschädigung, des akuten Lungenversagens (ARDS) und der pulmonal-arteriellen Hypertonie (PAH).
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.