Künstliche Intelligenz: »Blick in die Kristallkugel« |
Melanie Höhn |
29.09.2023 16:30 Uhr |
Die Diskussionsteilnehmer (v.l.): Moderator Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor für Pharmazeutische Chemie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main; Marc Kriesten, Inhaber der Glückauf-Apotheke in Dinslaken, Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor bei der Pharmazeutischen Zeitung, und Professor Dr. Hermann Wätzig, Hochschullehrer an der Technischen Universität Braunschweig. / Foto: PZ/Alois Mueller
Maschinenpersonen, die menschlich reagieren, sprachlich auf einem guten Niveau sind und mit logischem Denken und der Fähigkeit zur Selbstreflexion ausgestattet sind – das ist die Vision von Professor Dr. Hermann Wätzig, Hochschullehrer an der Technischen Universität Braunschweig, wenn er an Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Apotheke in zehn Jahren denkt. »Das Thema müssen wir gesellschaftlich vernünftig einbetten«, forderte er im Rahmen des Formats »PZ Nachgefragt« auf der Expopharn. Dennoch bezeichnete er die Diskussion über Künstliche Intelligenz (KI) als einen »Blick in die Kristallkugel«. Das Rennen um KI sei international noch relativ frisch gestartet und es gebe noch die Chance in Europa, mit anderen Ländern auf gleicher Linie zu stehen. Auch müsse die Diskussion über die Chancen und Risiken geführt werden.
Bei seiner Bestandsaufnahme ging er darauf ein, dass KI »komfortables Interfacing« ermögliche und damit besser und schneller sei als die bisherige Erfahrung mit Suchmaschinen. Außerdem könne sich KI positiv in die Lehre einbringen, etwa bei Prüfungsfragen für Pharmazie- und PTA-Praktikantinnen. Laut Wätzig sind auch Assistenzsysteme in allen Bereichen eine große Chance, stünden aber noch ganz am Anfang. »Ich würde es sehr schade finden, wenn man Berührungsängste entwickeln würde«, merkte er an. Vorsicht sei dahingehend geboten, dem System bereits Verantwortung zu übertragen, ihren Einsatz zur Unterstützung sehe er jedoch positiv. Generell habe KI das Potenzial, zu überprüfen, ob die eigenen Überlegungen bereits vollständig seien. »Man darf dabei jedoch nicht vergessen: Was wir bisher sehen, ist ein Large-Language-Model. Man bezieht Daten aus den Sprachangaben, die bisher andere Menschen gemacht haben«, erklärte er. Hierbei sei schon viel Intelligenz enthalten und es sehe intelligent aus, sei aber keineswegs mit Intelligenz zu vergleichen.
PZ-Senioreditor Professor Dr. Theo Dingermann glaubt, dass der Kampf um die Vorherrschaft verschiedener Formen und KI-Anwendungsmöglichkeiten hierzulande noch nicht verloren sei. »Lieber etwas später als gar nicht«, erklärte er und forderte, dass diese Themen in die pharmazeutische Ausbildung integriert werden. »Ich finde es extrem wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind und daran gedacht wird, dass Menschen in die Universität berufen werden und bereit sind, sich in das Thema einzuarbeiten.« Laut Dingermann wird sich die Realität dahin entwickeln, dass sehr viele Personen diese Systeme nutzen. Er forderte aber eine pragmatischere Herangehensweise: »Das Thema KI ist kein Wunschkonzert. Wir werden damit konfrontiert und wir müssen uns entscheiden, inwieweit wir diese Optionen für uns einsetzen. Mein Ansatz ist: einfach mal machen und sich langsam dran gewöhnen, dass diese Systeme tatsächlich Assistenten sein können.« Dennoch kritisierte er, dass beim Thema KI zu viele datenrechtliche Probleme gesehen werden.
Beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen ergänzte Marc Kriesten, Inhaber der Glückauf-Apotheke in Dinslaken, dass die Apotheke eigentlich ein »Daten-Hub« sei und dort »unwahrscheinliche Datensätze« und »Datenschätze« schlummerten. Er forderte, dass sich die Apothekerschaft in diesem Bereich mehr engagieren müsse. Kriesten betonte, dass Generationen schon jetzt damit beginnen würden, sich privat mit dem Thema zu beschäftigen, weil die Technologie niedrigschwellig zugänglich sei. KI berge grundsätzlich Chancen, Risiken und Grenzen – sowohl in der Universität, als auch gesellschaftlich müsse darüber diskutiert werden. Er schränkte aber ein: »Am Ende brauchen wir immer noch die Plausibilität. Man kann es als Vorschlag nehmen und überlegen, wie man es am Ende weiterverarbeitet.« Das revolutionärere Thema, das seiner Meinung noch gar nicht mitgedacht werde, sind Patientencoachings in der Apotheke, dabei vor allem hinsichtlich Wearables.
Kriesten betonte, dass das grundsätzliche Sammeln und die Aufbewahrung von Daten gut sei. Doch er bezweifelt, dass sie bei der Krankenkasse gut aufgehoben sind und präferiert eine unabhängige Datensammelstelle. Einen digitalen Zwilling in der Offizin wünscht sich Marc Kriesten nicht: »Ich glaube, menschliche Wesen sind auch immer an die Unperfektheit der Menschen gewöhnt. Menschliches Miteinander, frei von Digitalisierung und KI, wird nicht durch Maschinen ersetzt werden können.« Das Thema KI werde aber eine zentrale Rolle in der Apotheke spielen, »weil wir es uns nicht leisten könnten, den dadurch gewonnenen Effizienzgewinn zu verspielen«.