Kritik am Regierungsentwurf des Engpass-Gesetzes |
Ev Tebroke |
05.04.2023 18:00 Uhr |
Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) hat heute den Kabinettsentwurf zum Lieferengpass-Gesetz präsentiert. / Foto: IMAGO/Metodi Popow
Im ersten Regierungsentwurf zum Engpass-Gesetz war es bereits angekündigt: Apotheken sollen dauerhaft etwas mehr Austauschfreiheiten bekommen, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist. Das sieht der heute beschlossene Kabinettsentwurf des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), des sogenannten Generika-Gesetzes, vor. Um die Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels nachzuweisen, muss die Apotheke bei zwei Pharmagroßhändlern angefragt haben. Ursprünglich sollte der Austausch sogar an eine Engpass-Liste beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gekoppelt werden, doch davon ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wieder abgerückt. Aber auch die jetzige Regelung ist laut ABDA unbefriedigend. Die Apothekerschaft hätte sich mehr Freiheiten gewünscht und pocht darauf, die unbürokratischen Austauschregelungen aus der Pandemie-Zeit zu verstetigen, da sie sich aus ABDA-Sicht ausreichend bewährt haben. Für das Engpass-Management sieht der Kabinettsentwurf nach wie vor eine Vergütung von 50 Cent vor. Nach Ansicht der ABDA bildet dies nicht annähernd den Aufwand ab, den die Apotheken tagein tagaus leisten müssen, um Patienten auch in Engpass-Situationen adäquat versorgen zu können.
ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold zeigt sich verärgert: »Lieferengpässe bei Medikamenten werden leider auf absehbare Zeit nicht zu vermeiden sein und müssen deshalb in den Apotheken effizient gemanagt werden. Die Apotheken brauchen dazu Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum, um beim Einlösen eines Rezepts ein vorrätiges Ersatzmedikament abzugeben, statt den Patienten oder die Patientin zu vertrösten oder für ein neues Rezept zur Arztpraxis zurückzuschicken. Kurzum: Die Patientinnen und Patienten müssen schnell, unbürokratisch und sicher versorgt werden. Der Kabinettsentwurf zum Lieferengpassgesetz verpasst jedoch leider immer noch die Chance, die Arzneimittelversorgung langfristig abzusichern.«
Mit diesem Gesetz löse die Bundesregierung die Lieferprobleme leider nicht. Nun müsse der Bundestag nachbessern. »Wir brauchen keine zwei Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel, wenn doch ein Alternativpräparat im Warenlager der Apotheke vorrätig ist. Als Engpass-Ausgleich für den Personal- und Zeitaufwand brauchen wir keinen zweistelligen Cent-Betrag, sondern einen zweistelligen Euro-Betrag. Wir brauchen Retaxationssicherheit, damit die Krankenkassen die Zahlung für den Arzneimittelpreis und das Apothekenhonorar nicht verweigern. Und wir brauchen die Möglichkeit, auch jederzeit Rezepturen und Defekturen selbst herzustellen, wenn kein industrielles Arzneimittel lieferbar ist.« Und Arnold kündigt Widerstand an. »Wir werden die Gesundheitspolitik in Berlin mit Protesten und Aktionen wachrütteln. Apotheken kaputtsparen? Mit uns nicht!«
Kritik am ALBVVG kommt auch von der Generika-Industrie. »Dieses Gesetz wird Engpässe nicht verhindern«, so Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Branchenverbands Pro Generika. Ziel des Gesetzes sei die nachhaltige Bekämpfung von Lieferengpässen, doch es nehme zunächst nur Kinderarzneimittel und Antibiotika ins Visier, bemängelt er. »Bei allen anderen Medikamenten bleiben die Problemursachen bestehen und die Versorgungslage, wie sie ist: wenig stabil und teilweise sogar prekär.« Im nun beschlossenen Kabinettsentwurf sind zudem die Onkologika aus den Regelungen zur Rabattvertragsvergabe wieder herausgefallen. Ursprünglich sollten bei dieser Medikamentengruppe – wie bei den Antibiotika- Hersteller gestärkt werden, die ihre Wirkstoffe in der EU produzieren. Bretthauer dazu: »Waren im Referentenentwurf ohnehin nur punktuell richtige Ansätze zu erkennen, wurden diese jetzt noch weiter zurückgestutzt. Ausgerechnet die Maßnahmen zur Stabilisierung der Versorgung mit Krebsmitteln fallen weg. Und das obwohl wir erst jüngst erleben mussten, dass Brustkrebspatient:innen um Tamoxifen bangten.«
Neben diversifizierteren Lieferketten fordert der Pro-Generika-Chef eine flexiblere Preispolitik für Generika. Seit Jahren kämpften Generika-Hersteller mit steigenden Kosten und hätten keine Möglichkeit, ihre Preise zu erhöhen. Es brauche einen Ausgleich. Der derzeitige gesetzliche Inflationsausgleich komme ausgerechnet da nicht an, wo er am dringendsten benötigt werde, bei den Generikaunternehmen. Sein Fazit: »Die jüngsten Engpässe sind entstanden, weil immer weniger Hersteller Generika kostendeckend produzieren können. Das Gesetz müsste Anreize schaffen, damit Unternehmen wieder in die Versorgung einsteigen. Diese Chance aber nutzt es nicht. Wenn Unternehmen mit der Herstellung von Arzneimitteln weiterhin rote Zahlen schreiben, werden sie sich aus der Versorgung zurückziehen müssen. Engpässe werden die Folge sein.«
Seitens der Krankenkassen gibt es Lob und Kritik: Sie begrüßten das Ziel der Bundesregierung, Versorgungsengpässen von Arzneimitteln durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken, betont Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen (vdek). »Positiv sehen wir die vorgesehene Verpflichtung pharmazeutischer Unternehmen zu einer erweiterten Lagerhaltung von Rabattarzneimitteln und weiterer Arzneimittel wie etwa Antibiotika zur Behandlung in Krankenhäusern. Gut sind zudem die Vorgaben, mehr Transparenz in der Versorgungskette zu schaffen und ein Frühwarnsystem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einzurichten.«
Kritik übt Elsner aber an den finanziellen Anreizen für die Pharmaindustrie, die das Gesetz mit Beschränkung von Festbeträgen und Rabattverträgen regelt. So sollen Kinderarzneimittel von der Festbetragssystematik und vom Abschluss von Rabattverträgen ausgenommen und den Pharmaherstellern gestattet werden, die Preise um 50 Prozent anzuheben. Damit schieße die Bundesregierung »über das Ziel hinaus«. Diese finanziellen Anreize böten in einem globalen Markt keinerlei Gewähr, dass tatsächlich mehr Arzneimittel für die Versorgung in Deutschland zur Verfügung stünden. Besonders ärgerlich sei, dass der eigentlich positive Ansatz des Gesetzentwurfs, für Rabattvertragsarzneimittel eine verstärkte Lagerhaltung einzuführen, somit ausgerechnet bei Kinderarzneimitteln, für die es ja künftig keine Rabattverträge mehr geben soll, keine Wirkung entfalten könne.
Aus Sicht der Ersatzkassen tragen Rabattverträge zu Arzneimittelversorgungssicherheit bei, weil sie für eine bessere Planbarkeit bei pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen sorgten. So habe der Lieferklima-Report 2023 der Techniker Krankenkasse dokumentiert, dass Rabattarzneimittel nur halb so häufig von Lieferengpässen betroffen seien wie rabattfreie Arzneimittel.
Zuspruch zum Gesetz kommt vom pharmazeutischen Großhandel. Denn auch der Großhandel soll laut ALBVVG nun künftig den Mehraufwand pro Austausch mit 50 Cent vergütet bekommen. Im vorläufigen Entwurf waren zunächst noch 20 Cent im Spiel. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) zeigt sich erwartungsgemäß erfreut. »Der Phagro begrüßt, dass die Bundesregierung die erheblichen Mehrkosten im Pharmagroßhandel anerkennt und zusätzlich vergüten will«, so der Phagro-Vorsitzende André Blümel. Der vollversorgende Pharmagroßhandel stelle in Deutschland sicher, dass jedes Medikament für jeden Patienten herstellerneutral zur Verfügung stehe. »Soll das so bleiben, ist die einzige Lösung, die Aufwände zu honorieren, damit wir diesen Sicherstellungsauftrag im Dienste der Patienten erfüllen zu können.« Derzeit werde jede zweite Bestellung des Pharmagroßhandels unvollständig von den Arzneimittelherstellern beliefert: das bedeute täglich mehrfaches Ausjonglieren zwischen den Verfügbarkeiten und dem Bedarf der Apotheken und ihrer Patienten – dies koste viel Zeit und binde wichtige Ressourcen, heißt es.