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Immunonkologie

Krebszellen mit Viren bekämpfen

Gentechnisch veränderte Viren greifen spezifisch Tumorzellen an und induzieren zugleich eine Immunantwort gegen den Tumor – das ist das Wirkprinzip onkolytischer Viren. Die sogenannte Virotherapie könnte zukünftig eine weitere Säule in der Krebsbehandlung werden, vor allem bei immuntherapeutisch resistenten Tumoren.
Kerstin A. Gräfe
17.04.2024  09:30 Uhr

Die Idee, onkolytische (»krebsauflösende«) Viren zur Tumorbekämpfung zu entwickeln, basiert auf Zufallsbefunden. Immer wieder wurden bei Krebspatienten, die eine virale Infektion durchmachten, Schrumpfungen von äußerlich sichtbaren Tumoren beobachtet und als Einzelfallbeschreibungen dokumentiert. Man kam zu dem Schluss, dass unter bestimmten Umständen bestimmte Viren bestimmte Tumoren kausal zerstören können, ohne dabei den Patienten größeren Schaden zuzufügen. Die Beobachtungen in eine effektive Therapie münden zu lassen, blieb allerdings lange Zeit ohne Erfolg.

Inzwischen sind die zugrunde liegenden Mechanismen gut erforscht. Welche das sind und auf welchem Stand sich die Forschung zur Virotherapie befindet, stellt ein Autorenteam um Professor Dr. Ulrich M. Lauer vom Universitätsklinikum Tübingen in der aktuellen Ausgabe der DPhG-Mitgliederzeitschrift »Pharmakon« vor.

Direkte und indirekte Onkolyse

Die virusvermittelte Abtötung von Tumorzellen kann demnach sowohl direkt als auch indirekt erfolgen. Bei der direkten Onkolyse befallen onkolytische Viren (OV) die Krebszellen per Endozytose oder Rezeptorbindung und vermehren sich dort massenhaft. Pro infizierter Krebszelle entstehen Hunderte bis Tausende Nachkommenviren. Bei diesem Vorgang erschöpft sich die infizierte Krebszelle und kann ihre zelluläre Integrität nicht mehr aufrechterhalten; sie löst sich auf und onkolysiert. Die Nachkommenviren werden freigesetzt und infizieren weitere Krebszellen, die dann ebenfalls onkolysieren (Domino-Effekt). Im Idealfall vermehren sich die onkolytischen Viren so lange, bis die letzte Tumorzelle im Patienten aufgespürt und zerstört ist. Dann können keine weiteren Viren mehr gebildet werden, sodass die Virusvermehrung von sich aus zum Erliegen kommt.

Wichtiger als die direkte virusvermittelte Abtötung von Tumorzellen ist jedoch die indirekte Onkolyse: Zerplatzt eine von den Viren befallene Tumorzelle, werden Virusantigene und tumorzellspezifische Antigene freigesetzt, die bislang für das Immunsystem nicht erkennbar waren. Es resultiert eine Entzündung im Tumor-Mikromilieu, die das Immunsystem so stark stimuliert, dass zugleich eine antitumorale Immunantwort gegen tumorzellspezifische Antigene induziert wird. Ab diesem Zeitpunkt erkennen Immunzellen sämtliche Krebszellen als fremd – unabhängig davon, ob sie virusinfiziert sind oder nicht. OV führen so zu einer Rückbildung von Tumoren selbst an entfernten Stellen, wo sie nicht intratumoral appliziert worden sind. Dies bezeichnet man als abskopalen virotherapeutischen Effekt.

Ein großer Vorteil der Virotherapie ist ihre gute Verträglichkeit. Zwar können OV auch gesunde Zellen infizieren. In ihnen sind sie aber aufgrund einer intakten Interferonabwehr nicht in der Lage, sich zu replizieren. Demnach bleiben gesunde Zellen von den lytischen Effekten verschont und es kommt zu keinen Organschäden.

Im Vergleich zu herkömmlichen Krebstherapien treten somit eher milde Nebenwirkungen auf, die einer natürlichen Virusinfektion ähneln. Dazu zählen Fieber, Müdigkeit und grippeähnliche Symptome. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Virotherapie keine Kreuzresistenzen zu anderen Krebstherapien aufweist und mit ihnen kombiniert werden kann.

Bislang zugelassene onkolytische Viren

Bislang sind weltweit nur wenige OV zur Behandlung von Krebspatienten zugelassen. Das erste Präparat war ein natürlich vorkommendes, genetisch nicht verändertes Picornavirus (ECHO-7, Rigvir®), das 2004 in Lettland zur Behandlung von Melanomen freigegeben wurde. Die nachfolgenden OV sind gentechnisch verändert worden, unter anderem um die antitumorale Immunität gezielt zu verstärken und um Markergene zu Monitoringzwecken einzuschleusen. 2005 wurde das gentechnisch veränderte Adenovirus H101 (Oncorine®) zur Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren in China zugelassen. Weder Oncorine® noch Rigvir® haben bislang in den USA oder der Europäischen Union eine Zulassung.

Hierzulande ist die bislang einzige zugelassene Virotherapie Talimogen Laherparepvec (T-VEC, Imlygic®), die 2016 in den Markt eingeführt wurde. Dabei handelt es sich um ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus vom Typ 1 (HSV-1) zur Behandlung des fortgeschrittenen inoperablen Melanoms. Neue Daten zeigen, dass Imlygic auch in der neoadjuvanten Behandlung des chirurgisch resezierbaren Melanoms wirksam zu sein scheint. In einer Phase-II-Studie führte das neoadjuvante Konzept zu einer rezidivfreien Zwei-Jahres-Überlebensrate von 29,5 Prozent, verglichen mit 16,5 Prozent bei alleiniger Operation (»Nature Medicine« 2021, DOI: 10.1038/s41591-021-01510-7).

In Europa gibt es bis dato keine weitere Virotherapie. In Japan kam 2021 ein gentechnologisch modifiziertes HSV-1-basiertes OV (Teserpaturev/G47Δ, Delytact®) zur Virotherapie von Glioblastomen auf den Markt. Der jüngste Neuzugang ist das 2022 in den USA zugelassene Nadofaragen Firadenovec (Adstiladrin®). Dabei handelt es sich um ein onkolytisches Adenovirus, das zur Behandlung von bestimmten Harnblasentumoren eingesetzt wird.

Vielversprechende Kandidaten in der Pipeline

Derzeit befinden sich mehr als 200 OV in klinischer Entwicklung, darunter Adenoviren, HSV-1, Vaccinia-Viren, Myxoma-Viren, Parvoviren, Reoviren, Polioviren, Vesikuläre Stomatitis-Viren (VSV), Masern-Impfviren (MeV) und Newcastle-Disease-Viren (NDV).

Aktuell untersucht wird unter anderem in einer Phase-II-Studie das onkolytische Vaccinia-Virus Olvimulogen Nanivacirepvec (Olvi-Vec) bei platinresistentem/refraktärem Eierstockkrebs. 54 Prozent der Patientinnen zeigten ein Ansprechen (»JAMA Oncology« 2023, DOI: 10.1001/jamaoncol.2023.1007). Zudem soll Olvi-Vec in einer Phase-III-Studie in Kombination mit einer platinbasierten Chemotherapie und Bevacizumab im Vergleich zu Chemotherapie und Bevacizumab allein untersucht werden (»International Journal of Gynecological Cancer« 2023, DOI: 10.1136/ijgc-2023-004812).

Ein weiterer Kandidat ist Vusolimogen Oderparepvec (RP-1), das zu den HSV-1-basierten OV der nächsten Generation gehört. RP-1 wird unter anderem in Kombination mit Nivolumab bei Patienten mit Melanom getestet, bei denen eine Anti-PD-1-Therapie versagt hatte.

Die Zukunft der Virotherapie wird in multimodalen Ansätzen liegen, um mit herkömmlichen Krebstherapien synergistische Effekte zu erzielen – und um nicht zuletzt Resistenzen zu durchbrechen. Vor allem als Add-on-Therapie zu Immuncheckpoint-Inhibitoren haben onkolytische Viren bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt (»JCO Precision Oncology« 2021, DOI: 10.1200/PO.20.00395).

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