Kreative Lösungen gegen starke Schmerzen |
Brigitte M. Gensthaler |
18.03.2024 15:30 Uhr |
Die Schmerztherapie ist eine der wichtigen Aufgaben der Palliativversorgung – für Patienten im Krankenhaus ebenso wie zuhause. / Foto: Adobe Stock/Photographee.eu
»Die palliative Beratung und Versorgung soll früh einsetzen. Das bedeutet, dass wir die Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnose über die Phase hoher Symptomlast bis hin zum Tod begleiten«, berichtete Apothekerin Jennifer Berner von der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der LMU München am vergangenen Wochenende beim Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Auch nach dem Tod ende die Begleitung nicht immer, da eventuell Angehörige die Hilfe der Apotheke benötigten.
Sehr wichtig in der Palliativmedizin sei das Konzept »Total Symptom Burden«. Dies bedeute, dass Patienten nicht nur körperlich, sondern auch auf psychischer, sozialer und spiritueller Ebenen leiden. Bekannt ist das Konzept von »Total Pain«. Aber es gebe zum Beispiel auch »Total Nausea«, wenn bei hoher psychischer Belastung »wirklich alles zum Kotzen sei«.
Die subjektiv empfundene Symptomlast der Patienten sei entscheidend in der Therapie, verdeutlichte die Apothekerin. Mitunter komme man rein medikamentös nicht weiter.
In der Versorgung von Krebspatienten haben neben den oralen Tumortherapeutika Palliativ-Arzneimittel zum Einnehmen eine große Bedeutung. Doch was tun, wenn die orale Applikationsroute problematisch ist, weil der Patient nur schwer oder nicht mehr schlucken kann? Die Gründe können vielfältig sein: ALS oder Morbus Parkinson, große Unruhe oder Schwäche, Demenz, Stenosen und Fisteln im Gastrointestinaltrakt.
Stichwort Schmerztherapie: Nahezu alle Analgetika sind peroral verfügbar. Ausnahmen sind Fentanyl und Buprenorphin, die aufgrund des hohen First-pass-Effekts als Sublingualtabletten im Handel sind, um eine transmukosale Aufnahme zu erreichen.
Retardperoralia zur Basisanalgesie sind je nach Freisetzungskinetik strikt alle zwölf oder 24 Stunden (by the clock) einzunehmen. Schnell freisetzende Arzneiformen helfen bei Durchbruchschmerzen. Geeignet sind Tropfen, Suspensionen, unretardierte Kapseln/Tabletten, Sublingual- und Schmelztabletten, Nasenspray und Zäpfchen. Berner empfahl: »Wenn Sie langwirksame Opioide abgeben, sollten Sie fragen, ob der Patient auch Medikamente gegen Durchbruchschmerzen bekommt.«
Hierfür sollte möglichst das gleiche Opioid wie in der Dauermedikation eingesetzt werden. Die Bedarfsdosis sollte 1/6 bis 1/10 der Gesamt-Opioidtagesdosis betragen, informierte Berner. Hat der Patient zum Beispiel ein Buprenorphin-»Pflaster« (TTS), muss die Dosis auf Morphin-Tropfen umgerechnet werden. Braucht der Patient die Bedarfsmedikation vier- bis sechs Mal am Tag, könne man die Dauerdosis anheben.
Kann man Patienten mit sehr geringem Körperfettanteil und Tumorkachexie mit TTS versorgen? Die Studienlage sei nicht eindeutig, aber es gebe keine Anhaltspunkte für ein grundsätzliches Vermeiden in stabilen Schmerzsituationen und wenn der Patient damit gut eingestellt ist, sagte Berner. Allerdings seien TTS »träge« und nicht für schnell wechselnde Schmerzen geeignet.
Eine Option ist die parenterale Applikation, entweder intravenös als Kurzinfusion oder als kontinuierliche Infusion, meist über eine Pumpe, oder subkutan (sehr oft off-label). Die Subkutangabe ist oft einfacher und auch gut geschulte Angehörige können eine Infusion anhängen.
Gerne vergessen werden Zäpfchen. »Diese Applikationsroute ist manchmal eine gute Option bei Schluckstörungen.« Man könne zum Beispiel Suppositorien mit Morphin, Metamizol oder Hydromorphon im Apothekenlabor herstellen. Wichtig: Die rektale Bioverfügbarkeit von Hydromorphon beträgt nur etwa 33 Prozent im Vergleich zur peroralen Gabe.
In der Palliativversorgung sei der Off-Label-Use alltäglich, berichtete Berner. Sehr fundierte Informationen biete die Datenbank »pall-OLU«, die Arzneimittel-Monographien mit konkreten Therapieempfehlungen zum Off-Label-Use im palliativen Kontext enthält.