Kombinationen, die zum GAU führen können |
Brigitte M. Gensthaler |
22.09.2020 11:00 Uhr |
Mitunter ist es nicht einfach, ein passendes Antidepressivum für den individuellen Patienten zu finden. Bei der Auswahl sind auch Wechselwirkungen mit anderen Dauermedikamenten zu beachten. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Antidepressiva sind wechselwirkungsträchtige Arzneistoffe. Neben pharmakokinetischen sollten Apotheker auf pharmakodynamische Interaktionen achten, empfahl Professor Dr. Martina Hahn, Klinische Pharmazeutin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, bei einem Web-Seminar der Bayerischen Landesapothekerkammer. Das Wechselwirkungspotenzial sei ein wichtiges Kriterium bei der Wirkstoffauswahl.
Ein wichtiger Punkt ist die verminderte Thrombozytenaggregation unter serotonerg wirksamen Medikamenten wie selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). 99 Prozent des körpereigenen Serotonins befinden sich in den Blutplättchen. Der Neurotransmitter wird am Ort einer Verletzung freigesetzt, aktiviert die Aggregation und vermittelt eine Vasokonstriktion. »Der SSRI Paroxetin vermindert den Serotonin-Spiegel in Thrombozyten um 80 Prozent«, informierte Hahn. In der Folge nimmt die Blutgerinnung ab. Das Blutungsrisiko könne auch im Gehirn stark ansteigen.
Daher sollten SSRI nicht mit anderen Thrombozytenaggregationshemmern, zum Beispiel Acetylsalicylsäure (ASS), kombiniert werden, riet die Apothekerin. »Die Kombination von Clopidogrel, SSRI und ASS kann zum Super-GAU führen.«
Zu gastrointestinalen Blutungen kann es infolge einer Schädigung der Magen-Darm-Mukosa durch SSRI oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) kommen. »SSRI vervierfachen das Blutungsrisiko, in Kombination mit ASS 100 mg verfünffachen sie es sogar.« Ebenfalls als Super-GAU bezeichnete die Pharmakologin die Kombination von SSRI und nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), die das Blutungsrisiko um den Faktor 12 erhöhe. Eine Alternative zur Analgesie böten Paracetamol oder Novaminsulfon, das auch antiphlogistisch wirkt.
»Super selten, aber gefährlich«: So bezeichnete die Referentin das Serotonin-Syndrom, das bei Kombination von Arzneistoffen mit serotonergem Wirkprofil auftreten kann. Zu den Anzeichen gehören autonom-vegetative Beschwerden wie Schwitzen, Durchfall oder Kopfschmerzen, die laut Hahn bei vielen Patienten in den ersten zwei bis drei Tagen nach Start einer antidepressiven Therapie auftreten können, aber rasch abklingen sollten. Die Patienten sollten auch auf gesteigerte Reflexe achten, denn die neuromuskulären Symptome können sich zu Tremor, Muskelkrämpfen und Krampfanfällen steigern. Zentralnervöse Effekte wie Unruhe, Agitiertheit oder Verwirrtheit können ebenfalls auf ein sich anbahnendes Serotonin-Syndrom hinweisen. Apotheker sollten die Patienten bei solchen Warnzeichen umgehend zu ihrem Arzt schicken. Ohne Intervention, das heißt ohne Absetzen der serotonergen Medikation, kann es zum Delir und lebensbedrohlichem Koma kommen. Hahn: »Es gibt kein Antidot gegen das Serotonin-Syndrom.«
Zu den serotonerg wirksamen Antidepressiva gehören SSRI, SNRI, Trizyklika, Johanniskraut und MAO-Hemmer. »Die Kombination von MAO-Hemmern mit SSRI oder SNRI ist sehr gefährlich und daher kontraindiziert«, betonte Hahn. Aber auch das Antibiotikum Linezolid und das Parkinson-Medikament Selegilin hemmen die Monoaminoxidase und damit den Serotonin-Abbau. Unbedingt zu achten sei auf Opioid-Analgetika wie Tramadol, Pethidin, Methadon und Fentanyl sowie den Hustenstiller Dextromethorphan, die ebenfalls serotonerg wirkten. Ihr Rat: »Kein Tramadol in der Psychopharmakologie«.
Bei Triptanen ist das Risiko für ein Serotonin-Syndrom laut Hahn gering. Apotheker sollten den Patienten jedoch raten, nur einmal pro Migräneanfall ein Triptan einzusetzen. Zum Hustenstillen könne man auf Phytopharmaka ausweichen.
QT-Zeit-Verlängerungen sind für etliche Antidepressiva bekannt. Ein erhöhtes Risiko bergen Trizyklika, die SSRI Citalopram und Escitalopram, der SNRI Venlafaxin und das Tetrazyklikum Mirtazapin. Hier ist Vorsicht angebracht, wenn der Patient weitere QT-Zeit-verlängernde Medikamente bekommt, zum Beispiel Antipsychotika wie Haloperidol, Pimozid oder Thioridazin. Regelmäßige EKG-Kontrollen seien wichtig und würden in psychiatrischen Kliniken bei der Erstaufnahme routinemäßig gemacht. Offizinapotheker sollten ihre Patienten fragen, wann das letzte EKG gemacht wurde.