Klug entscheiden – gegen PPI |
Annette Rößler |
11.05.2023 09:00 Uhr |
Hat ein älterer Mensch keine weiteren Risikofaktoren, die ihn für die Entstehung eines Ulkus prädisponieren, braucht er wegen einer NSAR-Verordnung allein keinen PPI-Schutz. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Mit der Kampagne »Klug entscheiden« will die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) gegen Über- und Unterversorgung von Patienten angehen. Zwölf medizinische Fachgesellschaften unter dem Dach der DGIM haben dazu seit dem Start der Initiative im Jahr 2015 Positiv- und Negativempfehlungen ausgesprochen, also konkrete Leistungen benannt, die in Deutschland aus ihrer Sicht zu selten beziehungsweise zu häufig angeordnet werden. Alle diese Empfehlungen sind von geltenden Leitlinien gedeckt. Die DGIM will die Initiative explizit nicht als Konkurrenz zu den medizinischen Leitlinien verstanden wissen, sondern im Gegenteil damit dazu beitragen, dass die Leitlinien noch besser umgesetzt werden.
Beim Internistenkongress, der kürzlich wieder in Wiesbaden stattfand, wurden sechs neue Klug-entscheiden-Empfehlungen vorgestellt und gleichzeitig im »Deutschen Ärzteblatt« veröffentlicht. Eine davon betrifft die Verordnung von Protonenpumpeninhibitoren (PPI). Deren häufiger Einsatz ist Gastroenterologen schon länger ein Dorn im Auge; er stand von Beginn der Aktion »Klug entscheiden« an auf dem Wunschzettel für eine Negativempfehlung. Bislang kamen PPI aber in den Empfehlungen der Gastroenterologie nicht vor. Das hat sich nun geändert.
Die neue Direktive bezieht sich unter anderem auf den Einsatz von PPI als »Magenschutz« für Patienten, die mit einem nicht steroidalen Antirheumatikum (NSAR) behandelt werden. PPI sollen demnach bei NSAR-Gabe als Ulkusprophylaxe »nicht regelhaft« verschrieben werden, sondern nur dann, wenn Risikofaktoren vorliegen. Ein höheres Lebensalter des Patienten (über 60 Jahre) als alleiniger Risikofaktor rechtfertigt dabei den PPI-Einsatz nicht.
Professor Dr. Axel Holstege aus Landshut erläuterte beim Internistenkongress die Hintergründe der Empfehlung. »Wir verordnen zu viele PPI«, konstatierte der Internist. Seit der Markteinführung der Substanzklasse sei die Zahl der PPI-Packungen, die zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegeben wurden, bis 2017 kontinuierlich gestiegen und habe sich seitdem auf sehr hohem Niveau eingependelt. Laut dem Arzneiverordnungsreport 2021 wurden im Jahr 2020 insgesamt 3,7 Milliarden Tagesdosen PPI auf GKV-Rezept verordnet.
Das sehr hohe Verordnungsvolumen sei bedenklich, denn die Säureblocker würden zwar in der Regel gut vertragen, doch sie könnten auch Nebenwirkungen haben, sagte Holstege mit Verweis auf eine Übersichtsarbeit, die 2019 im »International Journal of Molecular Sciences« erschienen war (DOI: 10.3390/ijms20205203).
Demnach sei eine PPI-Einnahme mit einem erhöhten Risiko für Demenz, Magenkrebs, Infektionen mit Clostridioides difficile, einem Mangel an Mikronährstoffen wie Vitamin B12, Eisen, Calcium und Magnesium, Frakturen, interstitielle Nephritis und hepatische Enzephalopathie in Zusammenhang gebracht worden. All dies seien Assoziationen, ohne dass eine Kausalität belegt werden konnte, und die Evidenz sei auch nicht immer die härteste. »Aber man sollte eben nur so viele Medikamente geben, wie nötig«, stellte der Referent fest.
Nötig sind PPI, um bei Patienten mit erhöhtem Risiko die Entstehung von gastrointestinalen Ulzera und damit letztlich Magen-Darm-Blutungen zu verhindern. »Wir müssen auf das persönliche Risiko des Patienten schauen. Dabei zählt der Risikofaktor Alter aber nicht alleine«, betonte Holstege. Ausschlaggebend seien die folgenden Risikofaktoren:
Ob bei Vorliegen eines dieser Risikofaktoren bei einem Patienten ab 60 Jahren eine PPI-Prophylaxe gegeben werden soll, sollte oder kann, hängt wiederum vom ulzerogenen Potenzial des zu verordnenden Wirkstoffs ab. Dieses wird laut der Empfehlung für NSAR am höchsten eingeschätzt; (niedrig dosierte) Acetylsalicylsäure (ASS) in Daueranwendung wird getrennt davon betrachtet und auf eine Risikostufe mit Inhibitoren der Cyclooxygenase 2 (COX-2) gestellt. Berücksichtigt werden zudem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), da auch sie die Entstehung eines Ulkus begünstigen können.
»Für NSAR soll das gemacht werden, für COX-2-Hemmer und ASS sollte es gemacht werden und für SSRI kann es gemacht werden«, erläuterte Holstege die abgestufte Empfehlung. Außer den genannten Risikofaktoren führen auch bestimmte Wirkstoffkombinationen auf dem Medikationsplan zu einer »Soll«-Empfehlung für einen PPI, nämlich ein NSAR plus ASS, einen P2Y12-Inhibitor, ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) oder einen Vitamin-K-Antagonisten (VKA).
Ergänzend dazu soll laut einer Klug-entscheiden-Empfehlung zu No-Gos bei Medikamentenkombis aus dem Jahr 2021 auch die Kombination aus einem NSAR und einem systemisch wirksamen Glucocorticoid nicht ohne PPI-Schutz erfolgen.