Keiner ist wie der andere |
So viele Medikamente! Bei herzkranken Menschen sind häufig auch Betablocker dabei. / Foto: Imago Images/Martin Wagner
Betablocker gehören zu den verordnungsstärksten Arzneimittelklassen und werden in zahlreichen Indikationen eingesetzt. Dazu zählt der große Komplex kardiovaskulärer Erkrankungen mit Bluthochdruck, Vorhofflimmern, chronischem Koronarsyndrom (koronare Herzkrankheit, KHK) und Herzinsuffizienz. Nicht weniger wichtig ist ihr Einsatz in »kleineren« Indikationen wie Glaukom, Migräne oder Tremor.
Betablocker (auch β-Adrenozeptor-Antagonisten oder β-Rezeptorenblocker) hemmen kompetitiv β-Adrenozeptoren, von denen pharmakotherapeutisch vor allem die β1- und β2-Rezeptoren relevant sind. Die Betablocker wirken den Katecholaminen Adrenalin und Noradrenalin entgegen und zeigen damit an zahlreichen Organsystemen ihre Wirkung. Sie dämpfen die sogenannte sympathische Aktivität, ökonomisieren die Herzarbeit über β1-Rezeptoren und führen an β2-Rezeptoren zu einer Erschlaffung der glatten Muskulatur. Zugleich werden die Stoffwechselprozesse Glykogenolyse und Lipolyse gebremst und die Renin-Ausschüttung über die Niere vermindert. Die renale Wirkung wird mit der Blutdrucksenkung in Verbindung gebracht.
Die Entwicklung der Betablocker startete in den 1960er-Jahren mit dem heute noch genutzten, nicht selektiv blockierenden Propranolol. Nachdem die β1-Rezeptoren als weitestgehend kardiospezifisch (Kasten) und die β2-Rezeptoren als gefäß- und bronchospezifisch identifiziert wurden, versuchte man, das Wirkspektrum der Substanzklasse neu auszurichten. Es wurden Wirkstoffe mit unterschiedlichem Wirkprofil synthetisiert:
Nebivolol und Carvedilol erreichen eine Gefäßerweiterung über unterschiedliche Wirkmechanismen. Sie führen in bestimmten Indikationen (KHK und Herzinsuffizienz) zu einem belegten Nutzen in Hinblick auf Mortalität und Hospitalisierung. Dies zeigten große Endpunktstudien wie CAPRICORN, COPERNICUS und SENIORS.
Nahezu alle modernen peroral angewendeten Substanzen (mit Ausnahme von Carvedilol und Propranolol) blockieren selektiv β1-Rezeptoren und wirken somit kardioselektiv, das heißt vornehmlich am Herzen. Der Selektivität sind allerdings Grenzen gesetzt. Mit steigender Dosis geht diese zunehmend verloren und unerwünschte Wirkungen an β2-Rezeptoren werden wahrscheinlicher. Was bewirkt eine β1-Rezeptor-Blockade am Herzen? Die Effekte sind
• negativ inotrop: Verminderung der Kontraktionskraft des Herzmuskels,
• negativ chronotrop: Verminderung der Herzfrequenz,
• negativ bathmotrop: Verminderung der Erregbarkeit des Herzens,
• negativ dromotrop: Verminderung der Überleitgeschwindigkeit am Herzmuskel.
Aber nicht für jede der pharmakologischen Variationen ist ein Patientennutzen belegt. Besonders die ISA gilt inzwischen als nachteilig. Durch partielle Aktivierung an β1-Rezeptoren wird die Herzfrequenz weniger gedämpft und damit sinkt die Gefahr einer schwerwiegenden Bradykardie. Zugleich nimmt durch den Agonismus an β2-Rezeptoren der Bronchial- und Gefäßwiderstand kaum zu. Trotz dieser scheinbar positiven Eigenschaften gilt inzwischen, dass besonders bei Patienten mit KHK und Herzinsuffizienz Betablocker ohne ISA zu verwenden sind (Nationale Versorgungsleitlinie; NVL, Chronische KHK; Stand September 2022; DOI: 10.6101/AZQ/000491).
Ob ein Betablocker lipophile oder hydrophile Eigenschaft hat, ist für dessen Metabolisierungsweg und die Verteilung im Körper von entscheidender Bedeutung.
Eine ausgeprägte Lipophilie, zum Beispiel bei Propranolol und Metoprolol, geht mit einem First-Pass-Effekt und damit einer Verstoffwechslung über die Leber einher. Die Ausscheidung der Substanz und ihrer Metabolite erfolgt über Urin und/oder Faeces. Eine eingeschränkte Leberfunktion kann daher eine Dosisanpassung erfordern. Außerdem reichert sich eine lipophile Substanz stärker in Geweben an und penetriert ins zentrale Nervensystem, was unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) wie Schlafstörungen und Sedierung hervorrufen kann.
Der relevanteste hydrophile Vertreter ist Atenolol, das kaum metabolisiert und über die Nieren eliminiert wird. Daher ist eine Anpassung der Dosis bei eingeschränkter Nierenfunktion notwendig. Ähnlich wie Celiprolol hat Atenolol in Deutschland nur einen geringen Stellenwert, da es im Vergleich mit anderen Antihypertonika in Studien keine Vorteile zeigte und außerdem häufiger Schlaganfälle auftraten.
Bluthochdruck kann in jedem Alter auftreten und ist eine der wichtigsten Indikationen für Betablocker. / Foto: Adobe Stock/Dan Race
So vielfältig wie die Wirkstoffe und ihre Charakteristika sind die möglichen Einsatzgebiete der Betablocker. Allerdings ist nicht jeder Wirkstoff für jede Indikation zugelassen und zeigt in diesen nicht den gleichen Nutzen. Die Tabelle zeigt die jeweils zugelassenen Indikationen und wirkstoffspezifischen Besonderheiten der einzelnen Substanzen.
An dieser Stelle sei auf die Äquivalenzdosis-Tabelle der ABDA/Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zu den Betablockern hingewiesen. Bei Lieferengpässen oder Auftreten einer Unverträglichkeit bei einem Patienten kann es erforderlich sein, dem behandelnden Arzt einen Substanzwechsel vorzuschlagen; dann sind die Tabellen ein wichtiges Hilfsmittel im Apothekenalltag.
Eine 72-jährige Patientin wird nach akutem Herzinfarkt und Stent-Implantation aus dem Krankenhaus mit folgender Medikation entlassen:
Sie berichtet in der Apotheke, dass sie unsicher sei mit ihrer Medikation. Nach der Krankenhausentlassung fühle sie sich schlapp und müde. Außerdem habe sie kalte Hände und Füße und ständig neue blaue Flecken.
Bei der Patientin führten arteriosklerotische Prozesse über die Jahre zu einer koronaren Herzkrankheit, auch chronisches Koronarsyndrom genannt, und zur Herzinsuffizienz. Vor dem Infarkt erhielt sie lediglich Candesartan und Salbutamol.
Für Patienten mit Herzinsuffizienz kann Treppensteigen zur Herausforderung werden. / Foto: Adobe Stock/pikselstock
Die nun verordnete Sekundärprophylaxe ist leitliniengerecht. Während Betablocker bei einer Hypertonie zwar wirksam, jedoch aufgrund eines ungünstigeren Nutzen-Schaden-Verhältnisses nicht Mittel der ersten Wahl sind, ändert sich ihr Stellenwert in der Therapie der KHK und der Herzinsuffizienz. Die Betablocker ökonomisieren die Herzarbeit: Herzkraft und -frequenz werden ebenso gesenkt wie der Sauerstoffbedarf des Herzmuskels. Das Überleben der Herzmuskelzellen wird durch Schutz vor einer Überstimulation durch Noradrenalin gesichert (zum chronischen Koronarsyndrom siehe Titelbeitrag in PZ 6/2022).
Die NVL Chronische KHK empfiehlt nach Herzinfarkt vorrangig Metoprolol. Der Nutzen ist in den ersten zwölf Monaten nach dem Akutereignis erwiesen. Danach soll die Gabe erneut bewertet werden. Arrhythmien, Hypertonie und Herzinsuffizienz sprechen für eine Fortführung der Therapie.
Zur Behandlung der Herzinsuffizienz sind die Betablocker gemäß der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (Stand 2021; DOI: 10.1093/eurheartj/ehab368) in maximaler Dosis einzusetzen (siehe auch Titelbeitrag in PZ 3/2023). Für Bisoprolol, Carvedilol, Metoprololsuccinat und Nebivolol (Patienten über 70 Jahre) ist eine Verminderung des Auftretens erneuter Infarkte und Krankenhauseinweisungen sowie die Reduktion der Mortalität belegt.
Die hohe Metoprolol-Dosis ist bei der Patientin des Fallbeispiels durchaus zu rechtfertigen. Möglicherweise wurde jedoch eine generelle Empfehlung nicht berücksichtigt. Da ältere Menschen auf eine kardiale Dämpfung im Allgemeinen empfindlicher reagieren als jüngere, sollte bei Therapiestart langsam aufdosiert werden. Beispiel: wochenweise Erhöhung mit Start bei 23,75 mg Metoprololsuccinat, bis entweder ein Zielpuls von 55 bis 60 Schlägen pro Minute oder die maximale Dosis erreicht ist. So kann sich der Körper allmählich an die Betablocker gewöhnen.
Die hohe Dosis könnte bei nachlassender Selektivität zu einer Gefäßkontraktion geführt haben und dadurch die kalten Extremitäten bedingen (Kasten). Bei korrektem Aufdosieren zu Therapiebeginn lassen sich Schwindel, Bradykardie und abnehmende körperliche und mentale Leistungsbereitschaft vermeiden. Dies ist auch bei jüngeren Patienten wichtig, die solche UAW kaum tolerieren, denn sie selbst und andere akzeptieren arzneilich vermittelte Leistungseinbußen im Alltag nicht.
Metoprolol ist – nach Bisoprolol – der am zweithäufigsten eingesetzte Betablocker und hat ein breites Anwendungsfeld. Es kann intravenös (Metoprololtartrat) und peroral (Metoprololtartrat und -succinat) verabreicht werden. Parenteral wird es im akuten Herzinfarkt nur bei hämodynamisch stabilen Patienten (systolischer Blutdruck mindestens 100 mmHg, Herzfrequenz über 60/min) verwendet, wenn keine Kontraindikationen bestehen. Daran schließt sich die perorale Gabe an.
In der Rezidivprophylaxe und bei chronischen Erkrankungen unterscheiden sich die Salze Metoprololtartrat und -succinat in der Anwendung und im Nutzen. Metoprololtartrat ist als sofort freisetzende und als retardierte Formulierung mit Wirkstofffreisetzung 1. Ordnung erhältlich. Um eine 24-stündige Wirkung zu erzielen, müssen beide zweimal täglich eingenommen werden. Darüber hinaus ist eine Retardfomulierung mit Wirkstofffreisetzung 0. Ordnung erhältlich; dies ist sichtbar an Namenszusätzen wie ZOK (Zero Order Kinetik), ZOT (Zero Order Technologie), ZK (Zero Kinetik), ZNT (Zero neue Technologie), NT (neue Technologie), NK (neue Kinetik) oder O.K. (0. Kinetik). Diese wirken wie Metoprololsuccinat über 24 Stunden.
Das Succinat hat die gleichmäßigsten Wirkspiegel über den Tag, sodass eine Aufsplittung der Dosis in jedem Fall unnötig ist.
Die β1-Selektivität geht bei einem gewöhnlichen Stoffwechsel ab 100 mg (Tartrat) beziehungsweise 95 mg (Succinat) zunehmend verloren.
Metoprololsuccinat-Präparate dürfen nicht gemörsert, aber geteilt und suspendiert werden, denn der Retardierungseffekt wird über kleine Cellulose-Perlen erreicht. Bei der Behandlung einer Herzinsuffizienz zeigte sich für die Freisetzung 0. Kinetik ein Vorteil in Hinblick auf die Mortalität durch gleichmäßigere Hemmung des Sympathikotonus (MERIT-HF-Studie).
Bei Patienten mit CYP2D6-Polymorphismus kann es erforderlich sein, die Dosis anzupassen. Denn es kann zu einem beschleunigten oder verlangsamten Wirkstoffabbau im Körper kommen. Auch bei der Bewertung von Interaktionen ist dieser Metabolismus zu berücksichtigen.
Genauso wichtig wie das Einschleichen eines Betablockers ist das langsame Reduzieren bei Therapieende. Während der Therapie nimmt die Zahl der Betarezeptoren zu. Bei plötzlichem Absetzen werden diese Rezeptoren von Noradrenalin besetzt, sodass es zu Tachykardie, Blutdruckanstieg, Angina-pectoris-Anfällen bis hin zum Herzinfarkt kommen kann (Rebound-Phänomen).
Aufgrund der höheren Sympathikus-Aktivierung wird ein Betablocker üblicherweise am Morgen eingenommen. Außerdem kommt es bei abendlicher Gabe eher zu Schlafstörungen.
Bei den am häufigsten eingesetzten Substanzen Metoprololsuccinat, Bisoprolol und Nebivolol sieht man im Apothekenalltag in den Einnahmeplänen der Patienten oft, dass die Tagesdosis auf zwei Einnahmezeitpunkte aufgesplittet ist. Dies ist wegen ihrer Wirkdauer nicht erforderlich und verkompliziert das gesamte Therapieschema. Die kleinen Tabletten sind für Menschen mit nachlassender Sehkraft und verringerter Feinmotorik ohnehin nicht gut teilbar.
Neben den genannten UAW listen die Beipackzettel und Fachinformationen viele weitere auf. Dies wirkt sich negativ auf die Patienten aus: Kaum eine andere Arzneimittelklasse hat stärker mit dem Nocebo-Effekt zu kämpfen.
Viele Patienten gehen davon aus, dass Nebenwirkungen auftreten, kennen aber den möglichen Nutzen nicht. In der Beratung oder bei pharmazeutischen Dienstleistungen können Apotheker mögliche UAW gezielt thematisieren und über den tatsächlichen Nutzen der Betablocker aufklären. Im Idealfall kann dies einem Therapieabbruch und einer mangelnden Therapietreue vorbeugen.
Eine Auswertung von 13 randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudien ergab, dass Hyperglykämie, Durchfall, Schwindel, Bradykardie sowie die Schaufensterkrankheit Claudicatio intermittens unter Betablockern häufiger als unter Placebo auftraten. Die galt hingegen nicht für oft befürchteten Beschwerden Depression und erektile Dysfunktion (DOI: 10.1016/ j.ijcard.2013.05.068).
Für Carvedilol sind spezifische UAW zu berücksichtigen (Tabelle). Durch die α1-Blockade sind Ödeme und orthostatische Störungen möglich. Älteren Patienten wird daher geraten, die Medikation konsequent während einer Mahlzeit einzunehmen, um die Resorption und den Wirkeintritt zu verlangsamen. Tritt bei Therapiestart eine Harninkontinenz auf, könnte dies eine mögliche Störwirkung sein. Eine Weiterführung der Therapie wäre für die Patienten sicher nicht akzeptabel. Zudem bestünde die Gefahr einer Verordnungskaskade, also dass auf eine Blasenfunktionsstörung hin therapiert wird, anstatt die verursachende Medikation abzusetzen.
Propranolol führt wegen der Blockade von β2-Rezeptoren häufiger zu Vaso- und Bronchokonstriktionen. Asthmaanfälle, Kältegefühl in Händen und Füßen sowie eine Verschlechterung einer erektilen Dysfunktion oder einer Schaufensterkrankheit sind daher wahrscheinlicher.
Da Betablocker insgesamt den Energiestoffwechsel senken, fällt es den Patienten schwerer, ihr Gewicht zu halten oder gar zu reduzieren. Dies ist ein weiterer Grund, warum Betablocker bei übergewichtigen jungen Menschen mit Hypertonie nicht Mittel der ersten Wahl sind beziehungsweise junge Patienten Betablockern meist ablehnend gegenüberstehen.
Die Verordnung im Fallbeispiel enthält neben dem Betablocker das β2-Mimetikum Salbutamol als Bedarfsmedikation. Bei einem Wechselwirkungscheck durch die Apothekensoftware erscheint der dringende Rat zur Vermeidung dieser Wirkstoffkombination. Im Beratungsalltag müssen Apotheker oft zwischen absoluten und relativen Kontraindikationen unterscheiden. Sie müssen die Patienten ausreichend über mögliche Anwendungseinschränkungen aufklären, ohne sie zu verunsichern, und müssen erkennen, wann der verordnende Arzt informiert werden muss. Die Patientin im Fallbeispiel sollte die Metoprolol-Dosis mit dem Arzt besprechen.
Bei kardialer Vorbelastung, zum Beispiel unbehandelter Herzinsuffizienz, AV-Block 2. und 3. Grades, Bradykardie mit Puls unter 50 Schlägen pro Minute, Sinusknotensyndrom und ausgeprägter Hypotonie (systolisch < 90 mmHg), dürfen Betablocker nicht eingesetzt werden.
Auch Asthma bronchiale wird als absolute Kontraindikation in den Fachinformationen aufgeführt. Unter obstruktiven Atemwegserkrankungen wie der COPD sollen Betablocker nur unter hinreichender Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden. Zum einen können sie β2-Rezeptoren besetzen und damit der Asthmatherapie entgegenwirken, zum anderen können sie durch Acetylcholin-Freisetzung eine Bronchokonstriktion bewirken.
Nicht nur Messwerte korrekt erheben und dokumentieren, sondern Patienten auch individuell beraten: Das ist eine der Stärken des pharmazeutischen Personals. / Foto: ABDA
In der Realität werden Betablocker jedoch auch bei diesen Patienten häufig verordnet. Sowohl die Leitlinie der GINA (Global initiative for asthma) wie auch der GOLD (Global initiative for chronic obstructive lung disease) erlauben den maßvollen Einsatz. Eine möglichst geringe Dosis eines kardioselektiven Betablockers soll erwogen und die Patienten sollen bei Therapiebeginn beobachtet werden, ob sich ihre Lungenfunktion verschlechtert.
Bei Diabetes-Patienten kann sich die diabetische Stoffwechsellage unter Betablockern verschlechtern. Außerdem besteht die Gefahr, dass eine Hypoglykämie verstärkt und maskiert wird. Einerseits lösen die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin weniger Herzklopfen und Zittern aus, andererseits bremst eine β2-Blockade die Gegenregulationsmechanismen Glykogenolyse und Gluconeogenese. Das Apothekenteam sollte die Patienten daher für Anzeichen einer Hypoglykämie und vor allem die Symptome Schwitzen und Hungergefühl sensibilisieren.
Wechselwirkungen sind auch in der Selbstmedikation möglich. Ein übermäßiger Gebrauch von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) kann ebenso wie sympathomimetische Substanzen, zum Beispiel (Pseudo-)Ephedrin oder Etilefrin, die antihypertone Wirkung antagonisieren. Daher sollten Erkältungs- oder Allergiemedikationen bei Patienten unter Betablockern immer hinterfragt werden.
Abschließend noch ein Blick auf die Nebenindikationen der Betablocker (Tabelle). Üblicherweise kommt man außerhalb der kardiovaskulären Erkrankungen mit geringeren Dosierungen aus. Limitierend können die unerwünschten Effekte auf das Herz-Kreislauf-System sein.
Da diese sogenannten Nebenindikationen der Betablocker oft auch jüngere Menschen betreffen, ist es notwendig, dass diese Patienten auch über die Begleiteffekte auf das Herz-Kreislauf-System aufgeklärt werden.
Propranolol wird bei Patienten mit Angststörungen zur zentralen Dämpfung eingesetzt.
Bei Menschen mit essenziellem Tremor wirkt es dem stigmatisierenden Zittern entgegen. Jüngere Tremor-Patienten erhalten bevorzugt Propranolol, ältere hingegen das Antikonvulsivum Primidon (off Label). Die pragmatische Auswahl der jeweiligen Substanz wird durch Verträglichkeit, Komorbiditäten und mögliche Kontraindikationen bestimmt. Auch eine kombinierte Gabe mit stärkerer Wirksamkeit ist möglich. Atenolol, Metoprolol, Pindolol und Sotalol waren in Studien hingegen nicht wirksam. Topiramat (off Label) wäre bei Therapieversagen eine weitere Alternative.
Bei einer Schilddrüsenüberfunktion oder einem Phäochromozytom (Katecholamin-produzierender Tumor der Nebennieren) kann die hormonelle Überstimulation zu Bluthochdruck, Herzfrequenzsteigerung und Arrhythmien führen. Bis eine ursächliche Therapie die zugrundeliegende Krankheit in den Griff bekommt, gilt es, das Herz-Kreislauf-System vor Überlastung zu schützen. In erster Linie haben sich hier Metoprolol (off Label) und Propranolol etabliert. Beim Phäochromozytom muss zusätzlich ein Alphablocker eingesetzt werden, um einen paradoxen Blutdruckanstieg zu vermeiden.
Blutschwämmchen am Arm eines Säuglings / Foto: Adobe Stock/Gordana Sermek
Metoprolol und Propranolol haben zudem in der Therapie der chronischen Migräne ihren festen Platz. Hier haben vermutlich die ZNS-Gängigkeit und ein Antagonismus an Serotonin-Rezeptoren einen bedeutenderen Einfluss als die kardiale Wirkkomponente; das heißt: Die β1-Blockade am Herzen ist für den Therapieeffekt bei Migräne vermutlich irrelevant. Das Ziel ist eine Halbierung der monatlichen Migränetage (vom Ausgangswert). Eine geringere Intensität und Dauer der Attacken und verminderter Bedarf an Akuttherapeutika können ebenfalls erreicht werden. Die Betablocker sind in dieser Indikation anderen Wirkstoffen wie Valproinsäure, Topiramat, Flunarizin, Amitriptylin oder den CGRP-Hemmern ebenbürtig.
2014/15 wurde mit Propranolol erstmals ein Fertigarzneimittel in der Indikation infantiles Hämangiom (»Blutschwämmchen«, gutartiger Hauttumor) zugelassen. Zufällig wurde die überzeugende Wirksamkeit mit einer Ansprechrate von 98 Prozent entdeckt. Ein Saft wird körpergewichtsadaptiert peroral auf zwei bis drei Dosen pro Tag verteilt verabreicht. Es ist sehr wichtig, bei Therapiestart und bei Dosisanpassungen Blutzucker, Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck zu überwachen. Hier können die Eltern eine zentrale Rolle übernehmen.
In der Behandlung der Rosazea gibt es für Carvedilol sehr begrenzte Daten. Über den Stellenwert eines individuellen Heilversuchs gelangt es derzeit nicht hinaus.
In der Ophthalmologie wird primär Timolol topisch in Augentropfen zur Behandlung des Offenwinkelglaukoms eingesetzt. Nahezu alle Betablocker, die hier genutzt werden, wirken unselektiv; Ausnahme ist Betaxolol, das in Deutschland keine Relevanz hat. Am Auge vermindern sie die Kammerwasserproduktion und vermindern damit den Augeninnendruck, allerdings nicht in dem Maß wie die Prostaglandine, zum Beispiel Latanoprost. Betablocker sind jedoch ein häufig genutzter Kombinationspartner.
Alle lokal applizierten Augentropfen können durch den Wirkstoff selbst oder Konservierungsmittel lokale Unverträglichkeit hervorrufen. Die Betablocker bergen jedoch ein höheres Risiko für systemische Nebenwirkungen als die anderen Wirkstoffklassen. Es ist entscheidend, dass die Patienten ihre Augenarzneimittel korrekt eintropfen, um eine systemische Wirkung, vermittelt über die Resorption an der Nasenschleimhaut, zu verhindern. Im Fallbeispiel: Bekäme die Patientin zur Glaukomtherapie ein Timolol-Präparat und tropft es nicht wie empfohlen, bestünde die Gefahr eines kumulativen Effekts mit schwerwiegender Bradykardie und Schwindel.
• Kardiodepression kann unter Herzglykosiden, Verapamil, Diltiazem, Flecainid und Propafenon auftreten.
• Desensibilisierung: Eine verstärkte Wirkung auf therapeutische Allergene ist möglich, ebenso ein mangelndes Ansprechen auf Adrenalin in anaphylaktischen Notsituationen.
• Psoriasis: Neuauftreten oder eine Verschlechterung sind möglich. Ein arzneimittelinduzierter immunallergischer Mechanismus wird vermutet.
• Strenges Fasten: Es besteht die Gefahr einer Hypoglykämie.
• Periphere arterielle Verschlusskrankheit: Aufgrund einer möglichen Verschlechterung der pAVK durch antihypertensive Effekte sollte ein Betablocker gering dosiert werden.
• CYP-2D6-Polymorphismus und Wechselwirkungen: Bei sogenannten poor metabolizern kann es zu einer unerwartet starken Wirksamkeit, bei ultrarapid metabolizern zu Wirkversagen von Carvedilol, Metoprolol, Nebivolol und Propranolol kommen. Wechselwirkungen mit CYP-2D6-Inhibitoren wie Fluoxetin, Paroxetin, Terbinafin und Duloxetin sind zu erwarten. Bisoprolol wird nicht über diesen Stoffwechselweg umgesetzt und ist daher eine Alternative.
• Schwangerschaft: Metoprolol gehört laut Embryotox zu den Antihypertensiva der ersten Wahl in der Schwangerschaft. Ein geringeres Geburtsgewicht ist nicht auszuschließen. Das Neugeborene ist auf eine Hypoglykämie und Bradykardie zu überwachen. Eine Alternative zu Metoprolol ist α-Methyldopa.
• Leistungssport: In einigen Sportarten stehen Betablocker auf der Dopingliste.
In der Apotheke ist es unerlässlich, die Patienten im Umgang mit ihrem Betablocker aufzuklären und ihnen Nutzen und Motivation zur Therapietreue zu vermitteln. In welcher Indikation ein Betablocker eingesetzt wird, erschließt sich bei alleiniger Verordnung auf Rezept nicht immer sofort. Anhand der Komedikation kann man jedoch Anhaltspunkte für eine Herzinsuffizienz oder die KHK finden. Bei einer Medikationsanalyse oder der standardisierten Blutdruckmessung kann das Apothekenteam mit dem Patienten Sorgen und Nebenwirkungen besprechen und eine Lösung gemeinsam mit Patient und behandelndem Arzt suchen.
Kai Girwert ist seit 2009 in der City Apotheke in Langenhagen bei Hannover tätig, seit 2019 als Filialleiter. Girwert ist seit mehr als zehn Jahren als Referent für verschiedene Apothekerkammern bundesweit im Einsatz. Er hat das ATHINA-Zertifikat erworben und ist Tutor und Referent für den Bereich Medikationsanalyse. Die Apotheker kennen ihn zudem als Co-Autor in pharmazeutischen Fachzeitschriften und -büchern.