Keine starke Immunflucht bei indischer Variante |
Christina Hohmann-Jeddi |
29.04.2021 14:58 Uhr |
Noch sind die biologischen Eigenschaften der indischen Variante nicht vollständig untersucht. Der Virologe Professor Dr. Christian Drosten zeigt sich angesichts der bisherigen Erkenntnisse über B.1.617 aber relativ gelassen. Anhand der sehr kleinen verfügbaren Datenbasis lasse sich schließen, dass die Mutante nicht allein die heftige Infektionswelle in dem Land verursache, »sondern das ist mehr eine bunt gemischte Virus-Population«, sagte der Wissenschaftler von der Charité in Berlin im Podcast »Coronavirus-Update« (NDR-Info) am Dienstagabend. Auch die ansteckendere Variante B.1.1.7, die mittlerweile hierzulande dominiert, sei in Indien stark vertreten.
In dem Land kommen derzeit aus Sicht Drostens mehrere Effekte zusammen: Herdenimmunität sei dort einer Studie zufolge bei Weitem noch nicht erreicht gewesen. Es werde nun eine Bevölkerung durchseucht, die schon die Anfangsimmunität aus den bisherigen Wellen zu verlieren beginne, sagte der Virologe. Gleichzeitig sei die Variante B.1.617 etwas verbreitungsfähiger und robuster gegen die Immunität. In der Fachsprache ist von Immunescape (Immunflucht) die Rede. Diese Eigenschaft sei bei B.1.617 leicht ausgeprägt. Das sei auch im Vergleich mit anderen Varianten »nichts, was einen wirklich groß beunruhigt«, so Drosten.
Auch gebe es bislang keine Belege, dass Menschen durch B.1.617 schwerer erkrankten. »Wenn viele Leute zur gleichen Zeit infiziert werden, dann hat man auch bei den jüngeren Altersgruppen auf einmal, absolut gesehen, ganz viele Kranke in einem kurzen Zeitfenster.« Drosten machte aber deutlich, dass sich der Kenntnisstand ändern kann: »Es kann sein, dass sich in zwei Monaten herausstellt, dass doch irgendwas mit diesem Virus ist.«
Auch in Deutschland ist die indische Variante schon aufgetaucht. Die Zahl der Nachweise bleibt laut Robert-Koch-Institut (RKI) aber relativ gering. Bisher sei sie »nur vereinzelt«, 22 Mal, in untersuchten Proben entdeckt worden, heißt es in einem RKI-Bericht vom 28. April. In der Vorwoche hatte das Institut von 21 Funden gesprochen. Laut Bericht bleibt es hierzulande bei der Dominanz der besonders ansteckenden Variante B.1.1.7, die sich in den vergangenen Monaten rasch ausgebreitet hatte: Es sei »keine Abschwächung« zu beobachten, schreibt das RKI über die in Großbritannien entdeckte Mutante.
Bei den beiden anderen als besorgniserregend eingestuften Varianten B.1.351 und P.1 bleiben die Anteile konstant gering bei etwa 1 Prozent, wie aus den Daten hervorgeht. In Deutschland wird allerdings nur ein Bruchteil der Proben mit Gesamtgenomsequenzierung auf Varianten untersucht.
Die indische Variante steht bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Beobachtung und ist im Gegensatz zu B.1.1.7, B.1.351 und P.1 nicht als besorgniserregend eingestuft. Das RKI schreibt, dafür fehlten gegenwärtig gesicherte Erkenntnisse. Bei der Einstufung von Varianten geht es vor allem darum, ob eine verringerte Wirksamkeit der Immunantwort und/oder einer erhöhte Übertragbarkeit vorliegt.
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