Keine neuen Risikosignale für bivalente Corona-Impfstoffe |
Theo Dingermann |
22.12.2022 15:00 Uhr |
Das PEI resümiert, dass etwa 90 Prozent der 444 Meldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung nach einer Covid-19-Boosterimpfung nicht schwerwiegend waren. / Foto: Getty Images/phynart studio
In der Dezember-Ausgabe seines »Bulletin zur Arzneimittelsicherheit« berichtet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zu den bis zum 31. Oktober 2022 in Deutschland gemeldet Verdachtsfällen von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen nach Impfung mit den Omikron-adaptierten bivalenten Covid-19-Impfstoffen Comirnaty® Original/Omicron BA.1, Comirnaty® Original/Omicron BA.4-5 und Spikevax® bivalent/Omicron BA.1. Demnach wurden der Behörde 444 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen im zeitlichen Zusammenhang mit Booster-Impfungen mit den im September zugelassenen mRNA-Impfstoffen gemeldet.
Damit ist die Melderate zu den bivalenten mRNA-Impfstoffen derzeit noch deutlich niedriger als die Melderate zu den monovalenten Impfstoffen. Das mag sicherlich auch daran liegen, dass die Nachbeobachtungszeit für die bivalenten mRNA-Impfstoffe noch sehr kurz ist. Denn teilweise wurden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zu den monovalenten Covid-19-Impfstoffen mit erheblicher Verzögerung berichtet.
Außerdem sind die bivalenten Impfstoffe nur als Booster-Impfstoffe zugelassen, was nahelegen könnte, dass sich bevorzugt diejenigen Personen wiederholt impfen lassen, die die vorhergehenden Impfungen gut vertragen haben. Und schließlich empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die zweite Booster-Impfung mit den bivalenten Impfstoffen derzeit einem anderen Kollektiv als die Grundimmunisierung.
So wurden für Spikevax bivalent/Omicron BA.1 bis zum Zeitpunkt der Auswertung lediglich 20 Einzelfallberichte gemeldet. Eine zuverlässige Melderate kann auf Basis dieser kleinen Zahl nicht errechnet werden. Für die Covid-19-Impfstoffe Valneva und Spikevax bivalent/Omicron BA.4-5 wurden bis zum Stichtag der Auswertung keine Meldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung übermittelt.
Für die bivalenten Comirnaty-Impfstoffe waren bis zum Stichtag der Auswertung 419 Verdachtsfälle gemeldet worden. 68 Prozent der Meldungen betrafen Frauen. Bei 114 dieser Verdachtsfällen waren die berichteten unerwünschten Reaktionen vollständig abgeklungen, in 71 Fällen hatte sich der Allgemeinzustand verbessert. In 137 Fällen war zum Zeitpunkt der Meldung der Gesundheitszustand noch nicht wiederhergestellt, und in 114 Fallmeldungen war der Ausgang mindestens einer unerwünschten Reaktion unbekannt.
Dem PEI wurden bis zum 31.10.2022 zudem zwei Todesfälle gemeldet. Betroffen waren zwei ältere Personen (≥ 80 Jahre) mit multiplen, schweren Vorerkrankungen, die jeweils einen Tag nach der Impfung mit Comirnaty Original/Omicron BA.1 beziehungsweise Spikevax bivalent/Omicron BA.1 verstarben. Als Todesursachen wurde in einem Fall ein Herzinfarkt, im anderen Fall der Verdacht auf eine Lungenembolie angegeben. Einen ursächlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Impfung sieht das Paul-Ehrlich-Institut in beiden Fällen aufgrund der vorliegenden Informationen und der Grunderkrankungen nicht.
Sechs Verdachtsfälle wurden als bleibender Schaden gemeldet, davon drei Fälle eines Schlaganfalls vier bis 14 Tage nach Impfung mit Comirnaty Original/Omicron BA.1 (n=2) oder Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 (n=1) bei Patienten im Alter von 55, 73 und 89 Jahren. Ein kausaler Zusammenhang mit der bivalenten Impfung erscheint fraglich.
Die weiteren Meldungen beinhalteten Ermüdung, Muskelschmerzen, Gliederschmerzen einen Tag nach der Impfung nach Comirnaty Original/Omicron BA.1, Geschmacks- und Geruchsverlust drei Tage nach Impfung mit Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 und Alpträume, Nackenschmerzen, Blutdruckerhöhung, Gliederschmerzen, erhöhte Glucosewerte im Blut, Desorientiertheit nach Comirnaty Original/Omicron BA.4-5. Drei der sechs Verdachtsmeldungen sind ärztlich bestätigt. Aus den sechs Berichten lässt sich kein neues Risikosignal identifizieren.
Das PEI weist darauf hin, dass aufgrund behördlicher Konvention »unerwünschte Reaktionen von besonderem Interesse« (Adverse Events of Special Interest, AESI) grundsätzlich als schwerwiegend klassifiziert werden, auch wenn sie nicht der gesetzlichen Definition im Arzneimittelgesetz (AMG) § 4 entsprechen.
Nach Gabe eines bivalenten Comirnaty-Impfstoffs wurden 63 dieser AESI gemeldet. Die häufigsten AESI waren Dyspnoe (n=23), Synkope (n=7), Arrhythmie des Herzens (n=4), Lungenembolie (n=3), Atemstörung (n=3), Myokardinfarkt (n=3), Hörsturz (n=3) und Apoplex (n=3). Weitere AESI waren Thrombose (n=2) und mit jeweils einer Meldung Fazialisparese, tiefe Venenthrombose, Krampfanfall, Verlust des Bewusstseins, Myelitis und Subarachnoidalblutung.
Nach Gabe des bivalenten Spikevax-Impfstoffs wurden vier AESI berichtet (Dyspnoe, Arrhythmie, Lungenembolie und Synkope).
Zwei Fälle einer Myokarditis zehn beziehungsweise zwölf Tage nach der fünften beziehungsweise ersten Covid-19-Impfung (n=1 Comirnaty Original/Omicron BA.4-5, n=1 Comirnaty Original/Omicron BA.1) betrafen einen jüngeren und einen älteren Mann. In beiden Fällen wurde die Myokarditis nach den Kriterien der WHO vom Paul-Ehrlich-Institut als konsistent mit einem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung bewertet.
Drei Meldungen beschreiben eine anaphylaktische Reaktion (n=2 anaphylaktischer Schock, n=1 anaphylaktische Reaktion) bei drei Frauen. Die unerwünschten Reaktionen traten wenige Minuten nach der Impfung (in einem Fall nach der vierten Impfdosis, keine Angabe im zweiten Fall) auf und dauerten durch sofortige geeignete Therapie nur kurz an. Im dritten Fall ist die Diagnose auch wegen multipler Einflussfaktoren derzeit noch unklar.
Das PEI resümiert, dass etwa 90 Prozent der 444 Meldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung nicht schwerwiegend waren. Zudem sind die Spontanmeldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung oder Impfkomplikation nach bivalenten mRNA-Impfstoffen konsistent mit internationalen Daten. Bekannte, sehr seltene Risiken der mRNA-Impfstoffe einschließlich der bivalenten Impfstoffe sind Myokarditis und/oder Perikarditis sowie Anaphylaxie.
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