Kein gesicherter Zusammenhang mit Covid-19 |
Theo Dingermann |
16.06.2022 16:45 Uhr |
Aktuell gibt es ungewöhnlich viele Berichte über Fälle von schwerer Hepatitis bei Kindern und Jugendlichen. Was genau dahintersteckt, ist noch unklar. / Foto: Adobe Stock/mathom
Erst kürzlich informierte die europäische Gesundheitsbehörde ECDC über den aktuellen Stand zu den schweren Hepatitisfällen unklarer Ursache bei Kindern. Demnach traten bis zum 11. Mai 2022 weltweit etwa 450 solcher schweren Lebererkrankungen auf. Elf dieser Fälle verliefen tödlich.
Nach möglichen Auslösern der Erkrankung wird intensiv gesucht. Im Gespräch sind etwa Infektionen mit bestimmten Adenoviren, möglicherweise auch in Kombination mit SARS-CoV-2. So gibt es die Hypothese, dass eine durchgemachte Infektion mit dem Coronavirus in irgendeiner Form als Wegbereiter für die spätere Entwicklung der Hepatitis wirken könnte. Gesicherte Erkenntnisse hierzu, die von der Fachwelt mehrheitlich anerkannt würden, gibt es aber noch nicht.
Einen Beitrag zur Ursachenforschung leistet jetzt ein Team um Dr. Shiri Cooper von den Schneider Children’s Medical Centers of Israel in Petach Tikwa, Israel, im »Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition«. Es handelt sich um eine retrospektive Fallserienstudie, in der die Autoren fünf Fälle pädiatrischer Patienten mit Lebermanifestationen nach Covid-19 beschreiben. Die Autoren berichten, dass das Leberversagen bei zwei ansonsten gesunden Säuglingen im Alter von drei und fünf Monaten so schwer verlief, dass eine Lebertransplantation erforderlich wurde. In den explantierten Organen fand man neben der akuten Entzündung massive Nekrose und Wucherungen in den Gallenwegen.
Bei den drei anderen Kindern traten die Hepatitiden im Alter von acht Jahren (zwei Fälle) und im Alter von 13 Jahren (ein Fall) auf. Bei zwei dieser Kinder wurde eine Leberbiopsie durchgeführt. Es wurden eine lymphozytäre Entzündung der Pfortader und des Organgewebes sowie ebenfalls Wucherungen in den Gallengängen diagnostiziert. Diese Patienten sprachen auf eine Therapie mit Steroiden an. Unklar ist allerdings, ob die Besserung des Gesundheitszustands ursächlich auf die Therapie mit Steroiden zurückzuführen ist.
Alle fünf Kinder waren asymptomatisch oder leicht and Covid-19 erkrankt. Bei vier der untersuchten Kinder betrug die mittlere Zeit von der Covid-19-Diagnose bis zur Feststellung von Schäden der Gallengänge 74,5 Tage, wobei die Zeitspanne mit 21 bis 130 Tage sehr breit war. Beim fünften Patienten war die Datenlage hierzu unzureichend.
Aus diesen Ergebnissen den Schluss zu ziehen, dass es sich bei den Hepatitiden um eine Langzeitfolge von Covid-19 handelt, halten unabhängige Experten aus Deutschland allerdings für voreilig. »Es gibt vielfältige Gründe, warum Kinder eine akute Hepatitis haben können. Nicht immer kann man eine klare Ursache identifizieren. Die in dieser israelischen Studie beschriebenen Einzelfälle weisen einen gewissen zeitlichen Zusammenhang auf, der aber von Fall zu Fall so unterschiedlich ist, dass ein kausaler Zusammenhang spekulativ bleibt«, sagt etwa Professor Dr. Ansgar Lohse vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Kritisch sieht er, dass ein SARS-CoV-2-Nachweis im Gewebe fehle, sodass durchaus auch andere Alltagsviren ebenso wie eine autoimmune Hepatitis infrage kämen.
Professor Dr. Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt geht noch härter mit der Studie ins Gericht. Sie bemängelt zum einen, dass keine standardisierten Daten erhoben wurden, um die Ursache der Lebererkrankungen zu erforschen, sondern dass nur bereits vorliegende Angaben zu den klinischen Verläufen ausgewertet wurden. Zudem sei die Zahl von fünf Fällen viel zu klein, um allgemeine Schlüsse ziehen zu können. »Das gilt im Besonderen, wenn man bedenkt, wie heterogen die Gruppe von Patienten ist: Ein junger Säugling mit einem Alter von drei Monaten sowie ein Kind im Alter von 13 Jahren werden hier gemeinsam präsentiert, obwohl in diesen Altersgruppen sehr unterschiedliche Aspekte und mögliche Ursachen berücksichtigt werden müssen«, argumentiert Ciesek.
Ciesek kritisiert besonders die ihrer Meinung nach insuffiziente Beschreibung und Aufarbeitung der einzelnen Fälle: »Bei den beiden Säuglingen wurden zum Beispiel IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen. In diesem Alter kann der Nachweis sowohl durch eine Infektion des Säuglings als auch durch eine Infektion der Mutter (Nukleokapsid-IgG-Antikörper oder Spike-IgG-Antikörper) oder Impfung der Mutter (Spike-Antikörper) erklärbar sein. Angaben über den Infektions- und Impfstatus der Mutter finden sich nicht.« Somit bleibe unklar, ob die beiden Säuglinge überhaupt eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hätten oder ob lediglich die maternalen Antikörper der geimpften oder genesenen Mutter nachgewiesen wurden.
Wegen dieser methodischen Mängel helfe die Studie bei der Ursachenfindung nicht entscheidend weiter. Der Titel »Long Covid-19 Liver Manifestation in Children« sei irreführend, da in dem Text kein Zusammenhang zwischen dem Krankheitsbild Long Covid und den berichteten Hepatitisfällen nachgewiesen werden könne. »Hier hätte man sich von den Autoren, den Reviewern und dem Journal gewünscht, die Veröffentlichung unter diesem Titel zu unterbinden.« Insbesondere Laien könnten nun den Eindruck gewinnen, dass ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und einer schweren Leberschädigung bestehe. »Das kann unbegründete Ängste auslösen«, so Ciesek.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.