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Apotheker in Film und Fernsehen

Kauzige Typen und schräge Kunden

Apotheker spielen in vielen Filmen und TV-Serien eine Rolle. Fast 300 hat Dr. Jens-Andreas Münch bislang erfasst. Dabei hat der Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt mit seinem leidenschaftlichen Hobby erst vor knapp vier Jahren begonnen. Sein Fazit: Trotz pharmazeutischer Fauxpas sind die Vertreter seines Berufsstands meist sympathisch.
Jennifer Evans
27.02.2021  15:00 Uhr

PZ: Mal ehrlich: Wie realistisch sind die Darstellungen unseres Berufsstands in Film und Fernsehen?

Münch: Leider oft unrealistisch. Allerdings ist das kein alleiniges Problem der Berufsgruppe der Apotheker – es fällt uns nur eher auf. Es gibt Studien die besagen, dass in fiktiven Fernsehproduktionen generell sowohl was die Auswahl der Berufe von Protagonisten als auch deren Darstellung angeht, ein zur Realität völlig verschobenes Bild herrscht. Aber wir bewegen uns eben im Reich der Fiktion. Ziel ist das Erzählen. Und wenn ein Film gut unterhält, kann man über viele pharmazeutische Unzulänglichkeiten mit einem Schmunzeln hinwegsehen.

PZ: Kann mehr Fiktion auch mal sinnvoll sein?

Münch: Ja, manchmal wünsche ich mir tatsächlich mehr Realitätsferne. In der Folge »Tod beim Live-Chat« aus der Reihe »Die Rosenheim-Cops« von 2011 wird über den Tod einer alten Dame infolge einer Rhabdomyolyse berichtet, weil bei der Arzneimittelabgabe die Wechselwirkung eines Statins und eines Calciumkanal-Blockers nicht erkannt wurde. Wir wissen, dass es diese Wechselwirkung gibt, aber keineswegs mit der dargestellten zwangsläufig tödlichen Konsequenz. Die Relevanz müsste außerdem nach den tatsächlich eingenommenen Wirkstoffen differenzierter betrachtet werden. Durch die teilrealistische Nennung der häufig angewendeten Wirkstoffgruppen sehe ich aber bei ängstlich veranlagten Patienten durchaus die Gefahr einer Compliance-Störung. Dabei also gerne mehr Fantasie.

PZ: Und wann geht es aus Ihrer Sicht mit der künstlerischen Freiheit zu weit?

Münch: Der essenzielle gesetzliche Rahmen sollte stimmen. Allzu oft werden Fragen der Rezeptpflicht und des BTM-Rechts bagatellisiert oder grob falsch dargestellt. Auch zu korrekter Bezeichnung oder Kompetenzen der Mitarbeiter in Apotheken herrscht offenbar viel Unwissen. Warum in der Folge »Blutige Fährte« von 2009 aus der Krimi-Serie »Stralsund« eine PTA völlig allein zwei Wochen den Chef vertreten darf, lässt sich auch mit dramaturgischen Überlegungen nicht begründen. Wirklich ärgerlich sind Pseudo-Doku-Soaps. Hier werden mit schlechten Schauspielern absurde Geschichten völlig unrealistisch inszeniert, die aber den Anschein einer Dokumentation realer Ereignisse erwecken.

PZ: Spielen Apotheker inzwischen häufiger eine Rolle in TV-Serien oder Filmen als noch vor 20 Jahren? Und wie oft belegen sie eine Hauptrolle?

Münch: In absoluten Zahlen ja. Hauptgrund dürfte aber nicht gewachsenes Interesse an unserem Berufsstand sein, sondern die in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gestiegene Anzahl von Film- und vor allem TV-Produktionen. Apotheker in Hauptrollen bleiben dabei recht selten. Daher werden sie vielleicht auch häufig nicht so bewusst wahrgenommen. Auch wenn wir Apotheker zweifellos eine essenzielle Leistung im Gesundheitswesen erbringen, eignet sich die Darstellung für eine spannungsgeladene filmische Umsetzung weniger. Da hat es ein Arzt, der heroisch Menschenleben rettet, leichter. Für Apotheker in Hauptrollen fällt vermutlich jedem »Die Apothekerin« von 1997 ein. Mal als »Held des Alltags« kann man im klassischen amerikanischen Western »California Goldrausch« von 1942 John Wayne als Apotheker nicht nur in seinem Drugstore, sondern auch – Bringdienst in Wild-West-Manier – reitend und schießend im Kampf gegen Ganoven erleben. Meist tauchen Apotheker jedoch in Nebenrollen auf, in denen ihr Wissen und Zugang zu Arzneimitteln, Heil- und Giftpflanzen oder Chemikalien aus dramaturgischen Gründen gefragt ist.

PZ: Was hat sich an der Darstellung der Apotheker über die Jahrzehnte verändert?

Münch: Früher wurden Apotheker oft als wohlhabende Vertreter des gehobenen Bürgertums und Teil der Honoratiorenschaft des jeweiligen Gemeinwesens dargestellt. Zwar hält sich das Bild vom wohlhabenden Apotheker hartnäckig, aber insgesamt hat sich, denke ich, in den letzten Jahrzehnten die Darstellung gesellschaftlicher Strukturen in Filmen generell verändert.

PZ: Erscheinen die Vertreter unseres Berufsstands auf der Leinwand tendenziell eher sympathisch oder unsympathisch?

Münch: Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass Apotheker mehrheitlich negativ dargestellt werden. Ich habe inzwischen fast 300 Filme erfasst und beobachte eher eine positive Darstellung. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen der Dissertation von Dr. Christian Redmann rund um dieses Thema aus dem letzten Jahr. Sympathie muss im fiktiven Umfeld allerdings nicht zwingend mit positiver fachlicher Bewertung gleichzusetzen sein. Nehmen wir Apothekerin Insa Scherzinger aus der Krimi-Serie »Friesland«, welche seit 2014 läuft. Aus Sicht der Apothekenaufsicht wäre ihre Offizin umgehend zu schließen. Problemlos lassen sich dort eine ganze Reihe straf- und berufsrechtlich relevanter Verfehlungen der Kollegin auflisten. Dennoch erscheint sie als Figur sympathisch. Die komödienartige Serie sehe ich – ungeachtet allen pharmazeutischen Humbugs – gerne.

PZ: Geben Film-Apotheker immer nur Arzneimittel ab oder drehen sie auch mal krumme Geschäfte?

Münch: Rund zwei Drittel gehen gewissenhaft ihrer Arbeit nach. Nur etwa ein Achtel wird zum Täter, aber nicht immer nur als Mörder mit Arzneimitteln oder Giften. Zu den anderen Delikten gehört beispielsweise Betrug aus Geldgier. Bemerkenswert ist die Reflektion aktueller Ereignisse. Vor dem Bottroper Zyto-Skandal im Jahr 2017 sind mir zwei Filme mit einer vergleichbaren Thematik bekannt. Zwischen 2017 und 2020 sind es fünf. Rund 10 Prozent der Filmapotheker werden Opfer verschiedenster Kriminaldelikte. Manchmal sind sie auch beides, wie im Münchener Tatort »Nicht jugendfrei« von 2004, in dem das Mordopfer, Apotheker Kreuzer, zuvor mit Drogen dealte.

PZ: Gibt es Qualitäten oder Charaktereigenschaften, die Pharmazeuten in Film oder TV recht häufig zugeschrieben werden? Mit welchen Symbolen wird beim Thema Apotheke gearbeitet?

Münch: Das Bild ist sehr heterogen. Apotheker erscheinen häufig freundlich, empathisch, hilfsbereit und fachkundig, nicht nur in Arzneimittelfragen, sondern auch auf anderen naturwissenschaftlichen Gebieten. Nach wie vor ist der Apotheker eher wohlhabend. Optisch dominiert bei der Arbeit der weiße Kittel, von dem sich in der Realität leider immer mehr Kollegen verabschieden. Manche Klischees sollte man vielleicht auch pflegen. Auffällig ist die immer noch erkennbare männliche Dominanz des Berufs in Filmen, wobei sich langsam ein Umkehrtrend anzudeuten scheint. Latent ist die niedrige sichtbare Personalausstattung. Selten arbeiten in der Apotheke mehr als eine oder maximal zwei Personen. Dennoch sind sie meist problemlos abkömmlich.

PZ: Wo trifft man am häufigsten auf Apotheker-Figuren – im Krimi, Spielfilm, Trickfilm oder in Serien?

Münch: Mehr als ein Drittel der Filme sind Krimis. Der Rest verteilt sich über sämtliche Genres. Das liegt aber nicht daran, dass die Apotheker besonders beliebte Täter oder Opfer sind, sondern schlicht an der enormen TV-Präsenz dieses Genres.

PZ: Was ist Ihr persönlicher Lieblingsapothekerfilm und warum?

Münch: Ich könnte mehrere nennen. Zum einen der älteste Film meiner Sammlung, der amerikanische Stummfilm »It’s The Old Army Game« (1926), mit dem bei uns weniger bekannt gewordenen W. C. Fields als herrlich kauzigem Apotheker Elmer Prettywillie, der in seinem Drugstore mit schrägen Kunden und aberwitzigen Situationen klarkommen muss. Seine Angestellte spielt Louise Brooks, die auch die Hauptrolle der Apothekertochter Thymian im ebenfalls sehenswerten deutschen Stummfilm »Tagebuch einer Verlorenen« von 1929 spielt. Mein absoluter Lieblingsfilm ist der Klassiker der Apotheker-Comedy, der Kurzfilm »In der Apotheke« von 1941 mit dem Komiker-Duo Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Ich sage nur »Isopropylpropenylbarbitursauresphenyldimethyldimethylaminopyrazolon«.

PZ: Welches Werk halten Sie für missglückt, weil es vielleicht (historische) Fehler enthält? Welche Umsetzung ist den Regisseuren hingegen gut gelungen?

Münch: Als schlimmste Außendarstellung einer Apotheke sehen wir in »Ausgerechnet Söderholm« von 2019 aus der Inga-Lindström-Reihe des ZDF ein Holzhüttchen mit etwa 16 Quadratmetern Grundfläche. »Die Seelen im Feuer« ist eine recht akzeptable Romanverfilmung. Die Handlung spielt im Jahr 1630. Die dort in Großaufnahme gezeigte Pillenherstellung ist allerdings eine Beleidigung für das handwerkliche Geschick unserer frühneuzeitlichen Kollegen – abgesehen davon, dass das gezeigte Pillenbrett erst rund 100 Jahre später erfunden wurde. Als schöne Hommage erscheint mir die Kulisse der Gieshüblerschen Apotheke in der 2009 von Hermine Huntgeburth umgesetzten Romanverfilmung »Effi Briest«. Bei der Offizin handelt es sich um die als Museum erhaltene Apotheke im ehemaligen Diakonissenkrankenhaus Bethanien in Berlin. Dort wirkte Theodor Fontane 1848/49 zuletzt als Apotheker, bevor er sich endgültig der Schriftstellerei widmete.

PZ: Welche Apotheken in Deutschland waren schon einmal Drehorte?

Münch: Ich konnte bisher fast 200 Drehorte für Apothekenszenen ausmachen, teilweise mehrere für dieselbe Apotheke im selben Film. So wurden Teile der »Eulenberger Apotheke« in der Kinderbuchverfilmung »Das kleine Gespenst« von 2013 an mindestens drei Orten in Quedlinburg, Wernigerode und München aufgenommen. Die Leeraner Hafen-Apotheke in »Friesland« bringt es bisher sogar auf fünf. Die TV-Offizin ist seit mehreren Jahren die mehr als 100 Jahre alte noch existierende Einrichtung der ehemaligen Kaiser-Apotheke in Köln. Insbesondere, wenn es um relativ kurze Szenen geht, wird oft in echten Apotheken gedreht. Dadurch entsteht ein Realitätsgrad, der nachgebauten Sets oft fehlt. Neben ansprechenden zeitgemäßen Apotheken sind historische oder historisierte Einrichtungen beliebt. So war schon öfter die Pelikan-Apotheke Hamburg zu sehen, aber auch die Alte Raths-Apotheke Lüneburg, die alte Hof-Apotheke Baden-Baden, Hegel-Apotheke Leipzig, Storch-Apotheke Stockholm, Stadtapotheke Wörgl oder die Hof-, Hohenzollern- und Max-Emanuel-Apotheke in München. Auch im Apothekenmuseum Cottbus wurden schon Spielszenen für eine Geschichtsdoku gedreht. Beiläufig: Auch meine Apotheke hat es schon in einen »Polizeiruf 110« aus Magdeburg geschafft – allerdings nur von außen und nur für etwa eine halbe Sekunde.

PZ: In welcher Kulisse hätte es sich gelohnt zu drehen?

Münch: Der Film »Carl & Berta« von 2011 erzählt die Story des Ehepaares Benz und der Entwicklung des ersten Autos. Berta Benz unternahm 1888 die erste Fernfahrt der Welt von Mannheim nach Pforzheim und musste in einer Apotheke in Wiesloch Treibstoff nachkaufen. Der Film erzählt zwar eine stimmige Beziehungsgeschichte, leistet sich daneben aber einige historische Inkorrektheiten. Die Apotheke im Film ähnelt eher einem bäuerlichen Dorfladen. Die spätklassizistische Offizin der Stadt-Apotheke Wiesloch ist eigentlich am Originalstandort erhalten. Sie wurde aber nicht verwendet. Aus dramaturgischer Sicht ließ sich mit dem Dorfladen vielleicht eindringlicher der Kontrast von verstaubter Gegenwart und zukunftsweisender Technologie darstellen. 

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