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Opioid-Krise

Katastrophe mit Ansage

Die Zunahme an Drogen­toten durch Überdosierung hat in den USA dramatische Ausmaße angenommen. Suchtmediziner Professor Dr. Michael Krausz findet das wenig überraschend. Als dringend geboten sieht er eine restriktivere Verordnung sowie ein gut aus­gebautes Suchthilfesystem.
Brigitte M. Gensthaler
16.07.2019  17:00 Uhr

Die USA hat weltweit die höchste Rate an Drogentoten. »In den USA sind im vergangenen Jahr etwa 80.000 Menschen an einer Überdosis Drogen gestorben«, berichtete Krausz von der Universität von British Columbia, Vancouver, beim Interdisziplinären Kongress für Suchtmedizin Anfang Juli in München. In Europa sei die Zahl der Drogentoten noch vergleichsweise gering, doch dies könne sich schnell ändern. Am höchsten ist die Rate in Estland und Schweden, gefolgt von Norwegen und Irland (European Drug Report 2019, www.emcdda.europa.eu).

Einen wesentlichen Grund für die Opioid-Krise in Nordamerika sieht der Suchtmediziner in der laxen Verordnungspraxis. Die meisten Opioide würden von Hausärzten verordnet. »Es wird viel zu schnell und viel zu lang verschrieben.« Die Verordnungszahlen seien über Jahre hinweg angestiegen – ohne irgendeine Reaktion. Jetzt erlebe man eine Katastrophe mit Ansage. ­Zudem sei das Versorgungssystem für Suchtkranke in Nordamerika schlecht, nicht flächendeckend ausgebaut und nicht psychosozial orientiert. Die Substitution sei qualitativ minderwertig und die Mehrheit der Patienten bliebe nicht in Behandlung, sagte Krausz.

Als wichtigste Maßnahme gegen den Tod durch Überdosierung nannte Privatdozent Dr. Marc Vogel, Suchtmediziner an der Universität Basel, eine adäquate Behandlung. Das empfiehlt auch der European Drug Report. Um Anfälligkeit und Überdosierungsrisiko zu verringern, müsse man niederschwellige Einrichtungen der Suchthilfe vorhalten, drogenabhängigen Menschen eine Opioid-gestützte Behandlung (OGB) anbieten und für deren Verbleib im Programm sorgen. In Notfällen könne eine sofortige erste Hilfe tödliche Verläufe vermeiden. In der ­Regel dauert es laut Vogel elf Jahre vom ersten Drogenkonsum bis zur Behandlung.

Warum ist der Verbleib in der Substitution so wichtig? Das Risiko für eine Überdosierung sei am höchsten außerhalb, zu Beginn und in den ersten vier Wochen nach Beendigung der OGB sowie nach Haftentlassung, berichtete der Suchtmediziner.

Um den Verbleib in der OGB zu fördern, wird die Behandlung zunehmend individualisiert. Außer Methadon werde auch Buprenorphin und Morphin eingesetzt. Die Erfolgsrate nach 52 Wochen, definiert als Behandlungsverbleib und/oder Reduktion oder Sistieren des illegalen Opioid-Gebrauchs, liege bei Methadon-gestützter Behandlung bei 50 bis 80 Prozent, mit Buprenorphin bei 40 bis 60 Prozent und unter Morphin bei 50 bis 70 Prozent, fasste Vogel verschiedene Studien zusammen.

Auch Krausz plädierte für ein gut ausgebautes Hilfesystem und eine gute Substitution. Die psychosoziale Versorgung müsse in die Suchthilfe integriert sein. Ebenso wichtig sei es, die Lebens­situation des Abhängigen einzubeziehen und auf Wohnungslosigkeit oder Schmerzerkrankungen zu achten.

Neues Problem Fentanyl

Beide Referenten warnten vor dem zunehmenden Fentanyl-Gebrauch in der Drogenszene. Seit mehreren Jahren würden in Nordamerika zunehmend Fentanyl und Derivate in Straßendrogen beigemischt, berichtete Krausz. Fentanyl sei 50 Mal potenter als Morphin, Carfentanil sogar 150 Mal. Die ­Dosierung sei extrem schwierig und für Nutzer mit geringer Opiattoleranz ­ex­trem gefährlich.

In Europa ist die Kontamination mit Fentanyl derzeit noch kein großes Problem, es gibt jedoch Bedenken. Laut European Drug Report wurden dem EU-Frühwarnsystem für neue psychoaktive Substanzen etwa 50 neue synthetische Opioide gemeldet. Viele dieser Substanzen würden mit schweren Vergiftungen und Todesfällen in Verbindung gebracht. Eine von fünf Per­sonen, die sich wegen eines Opioid-­bedingten Problems in Behandlung ­begibt, gebe ein synthetisches Opioid und nicht Heroin als Primärdroge an; außerdem würden diese Drogen immer häufiger in Fällen von Drogenüberdosierungen entdeckt. Auch Krausz berichtete, dass immer mehr Abhängige direkt Fentanyl suchen. Klassiker ist ­das Auskochen von transdermalen therapeutischen Systemen.

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