Kann man Ibuprofen noch empfehlen? |
Daniela Hüttemann |
17.03.2020 12:18 Uhr |
Fieber muss nicht unbedingt gesenkt werden. Wer bei einem grippalen Infekt unter Schmerzen leidet, sollte derzeit, sofern keine Kontraindikation besteht und die Maximaldosis nicht überschritten wird, vorsichtshalber Paracetamol nehmen, empfehlen die Gesundheitsbehörden in Frankreich und in der Schweiz. / Foto: Fotolia/Antonioguillem
Am Samstag ging eine eindeutige Fake News durch die sozialen Medien, die vor der Einnahme von Ibuprofen bei einer SARS-CoV-2-Infektion warnte und sich dabei auf angebliche Zellstudien der Uniklinik Wien berief. Die Uniklinik Wien dementierte sofort. Seitdem erreichen uns aber immer mehr Fragen, ob nicht doch ein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Infektanfälligkeit für SARS-CoV-2 sowie eines schweren Verlaufs der Lungenkrankheit Covid-19 bei Ibuprofen-Einnahme bestehen könnte.
Hintergrund ist ein sogenannter Correspondence-Artikel im Fachjournal »The Lancet Respiratory Medicine« vom 11. März, in dem ein pharmakologischer Zusammenhang postuliert wird. Sucht man jedoch unter den Stichworten »Ibuprofen« plus »Covid-19«, »Coronavirus« oder »SARS-CoV-2« in der wissenschaftlichen Fachliteratur erhält man null Treffer. Keine einzige Fallstudie, die einen solchen Zusammenhang beschreibt, ist bis dato veröffentlicht, weder aus China noch aus Italien.
Am Dienstagmittag meldete die Nachrichtenagentur dpa, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt Menschen bei Verdacht auf eine Infektion mit dem neuen Coronavirus davon abrät, ohne ärztlichen Rat Ibuprofen einzunehmen. Es gebe zwar keine neuen Studien, aus denen hervorgehe, dass Ibuprofen mit höher Sterblichkeit verbunden sei, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Dienstag in Genf. Aber die Experten prüften die Lage zur Zeit. »Wir raten, im Verdachtsfall Paracetamol und nicht Ibuprofen einzunehmen», sagte Lindmeier. Dies beziehe sich ausschließlich auf die Einnahme ohne ärztlichen Rat, betonte er. Wie die Pharmazeutische Zeitung erfuhr, soll es in Kürze eine offizielle Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur geben. Dieser will sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anschließen, hieß es von dort auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung.
In der Tat gab es in den letzten Tagen Meldungen in den Nachbarländern, die vor der Einnahme von Ibuprofen und anderen nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) warnen und stattdessen Paracetamol empfehlen. Zum einen twitterte der französische Gesundheitsminister Olivier Véran am 14. März eine Warnung vor antientzündlichen Arzneimitteln (Ibuprofen, Cortison), da sie die Infektion verschlimmern könnten. Er empfahl bei Fieber Paracetamol.
Der Tweet wurde von allen großen französischen Medien wie »France Info« aufgenommen und weiterverbreitet. Auf der Website des französischen Gesundheitsministeriums findet sich jedoch so ein Hinweis nicht. Eine Nachfrage der PZ bei der französischen Apothekerkammer ergab, dass die dortige Arzneimittelbehörde ANSM bereits im April 2019 vor schweren Komplikationen bei Atemwegsinfektionen bei Kindern und jungen Erwachsenen gewarnt hatte, wenn diese Ibuprofen oder Ketoprofen eingenommen hatten. Die Komplikationen entwickelten sich bereits nach kurzer Behandlungsdauer. Die ANSM empfiehlt daher bereits seit knapp einem Jahr, bei Schmerzen und Fieber im Zusammenhang einer Atemwegsinfektion Paracetamol zu bevorzugen. Entsprechende Sicherheitssignale sind laut Apothekerkammer nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus anderen EU-Ländern gemeldet worden.
Der Ordre national des Pharmaciens teilte uns darüber hinaus mit, dass der nationale Gesundheitsdirektor Jérôme Salomon am Samstag über das Medium LinkedIn schwere Nebenwirkungen von NSAR bei möglichen und bestätigten Covid-19-Patienten bestätigt habe. Von einer Selbstmedikation rät er ab.
Am 15. März nahm auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz Stellung zur Ibuprofen-Frage: »Es gibt derzeit keine eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Art von Medikamenten den Krankheitsverlauf verschlimmert. In Einzelfällen wurden beobachtet, dass sie zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. Bewiesen ist dies jedoch nicht. Überprüfungen dazu laufen. Bis zu einem Ergebnis empfehlen wir eine vorsichtige Haltung gegenüber dem Gebrauch von Medikamenten auf der Basis von Ibuprofen: Die Behandlung von Fieber ist allgemein nicht notwendig. Falls Sie Fieber haben und es Sie schwer beinträchtigt, nehmen Sie besser ein Medikament auf Basis von Paracetamol.«
Auch der Kanton Waadt im Südwesten der Schweiz hat auf seiner offiziellen Website in einem FAQ zum Coronavirus ebenfalls vor der Einnahme von antiinflammatorischen Arzneistoffen gewarnt und nennt Ibuprofen, Ketoprofen, Naproxen und Diclofenac. Es bestehe der Verdacht, dass diese Substanzen zu schwereren Verläufen führe, vor allem auch bei Jugendlichen. Als Mechanismus wird angegeben, dass die Immunabwehr geschwächt werde. Eventuell sei dies assoziiert mit den Nebenwirkungen der NSAR, über die Mikrozirkulation, die Nierenfunktion oder die Blutgerinnung in Anwesenheit einer schweren Infektion. Der Kanton Waadt empfiehlt, Ibuprofen in der Selbstmedikation nicht zu verwenden und es nur auf ärztliche Verordnung einzunehmen.
Alle weisen darauf hin, dass eine verordnete antiinflammatorische Medikation nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt werden sollte, insbesondere bei chronisch kranken Patienten, die diese Medikamente dauerhaft nehmen müssen. In Bezug auf inhalierbare Corticosteroide (ICS) in der Asthma-Therapie warnten am Montag die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und andere Fachgesellschaften in einer gemeinsamen Pressemitteilung vor einem eigenständigen Absetzen der Therapie. Ebenso wenig sollten Herz-Kreislauf-Patienten auf ACE-Hemmer und Sartane verzichten, da auch hier ein hypothetischer Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion postuliert wurde. Das betonten die Deutsche Hochdruckliga und die Europäischen Kardiologen.
Eine offizielle Stellungnahme aus Deutschland, ob Ibuprofen und andere NSAR in der Selbstmedikation bei grippalen Symptomen noch abgegeben werden sollen, ist uns bis dato nicht bekannt (Stand Dienstag 12:00 Uhr).
Der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten, im Moment der wohl bekannteste deutsche Coronavirus-Experte, sagte in seinem NDR-Podcast am Montag: »Es gibt keine Daten dazu. Andere Coronaviren kennt man, da gibt es keinen Hinweis, dass Ibuprofen eine Infektion verschlechtern würde. Ich glaube, das wüsste man mittlerweile, wenn es so wäre, denn es ist ein sehr breit verfügbares Medikament und es sind doch auch breit vorhandene Erkältungsviren in der Bevölkerung.« Er glaube auch nicht, dass in den üblichen Dosierungen entsprechende Effekte zu erwarten sind.
Auch haben wir am Montag mehrere renommierte deutsche Pharmakologen um eine Einschätzung gebeten, aber bislang wollte sich niemand auf die Schnelle offiziell dazu äußern. Der Virologe Dr. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) schloss am Wochenende gegenüber dpa nicht aus, dass insbesondere ASS, aber auch Ibuprofen, bei der Lungenerkrankung Covid-19 nicht hilfreich sein könnten. »Ibuprofen hemmt die Blutgerinnung, das wäre ein möglicher Hinweis«, erläutert der Virologe. Damit steige das Risiko für innere Blutungen. «Bei Paracetamol ist das nicht der Fall.»