Jegliche Blutung verhindern |
Kerstin A. Gräfe |
11.08.2022 07:00 Uhr |
Seit 2016 sind in Deutschland rekombinante Faktorkonzentrate mit verlängerter Halbwertszeit verfügbar (siehe Tabelle). Gelungen ist die Verlängerung unter anderem durch PEGylierung oder Konjugation mit Albumin sowie dem Fc-Fragment von Immunglobulinen. Insbesondere bei der Hämophilie B haben die Faktorkonzentrate mit verlängerter Halbwertszeit die mit Standardhalbwertszeit nahezu verdrängt, da mit ihnen die Belastung der Patienten verringert und die Compliance verbessert werden können. Auch bei der Hämophilie A setzen sich die Faktorkonzentrate mit der leicht verlängerten Halbwertszeit zunehmend durch, insbesondere seitdem die Kosten dieser Präparate gesunken sind.
Name | Methode | Jahr der 1. Zulassung | Halbwertszeitverlängerung |
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Faktor VIII | |||
Efmoroctocog alfa | Fc-Fusionsprotein | 2014 | 1,5 – 1,7 |
Rurioctocog alfa pegol | PEGylierung | 2015 | 1,3 – 1,5 |
Lonoctocog alfa | Einzelkettentechnologie | 2017 | 1,2 – 1,3 |
Damoctocog alfa pegol | PEGylierung | 2018 | 1,6 |
Turoctocog alfa pegol | PEGylierung | 2019 | 1,6 |
Faktor IX | |||
Eftrenonacog alfa | Fc-Fusionsprotein | 2014 | 4,3 |
Albutrepenonacog alfa | Albumin-Fusionsprotein | 2016 | 5,3 |
Nonacog beta pegol | PEGylierung | 2018 | 4,9 |
Für Hämophilie-A-Patienten mit und ohne Hemmkörperbildung steht außerdem eine nicht faktorbasierte Therapie zur Verfügung: Emicizumab ist ein bispezifischer Antikörper, der die Wirkung von aktiviertem Faktor VIII als Kofaktor imitiert, indem er phospholipidabhängig an aktivierten Faktor IX und Faktor X bindet. Dies führt zur Aktivierung von Faktor X und dem Fortschreiten des Gerinnungsprozesses. Emicizumab wird subkutan appliziert und hat eine lange Halbwertszeit. Nach einer Aufsättigungsphase werden stabile Spiegel erreicht. In den klinischen Studien waren die Blutungsraten gering und 55 bis 90 Prozent der Patienten hatten keine behandlungsbedürftigen Blutungen.
In der Entwicklung sind zudem Medikamente, die durch Hemmung der körpereigenen Gerinnungsinhibitoren wie Antithrombin, Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) und Protein C in das Gerinnungssystem eingreifen und durch Verbesserung des Gleichgewichts eine gerinnungsfördernde Wirkung haben. Derzeit werden zum Beispiel gegen TFPI die beiden Antikörper Concizumab und Marstacimab in Phase-III-Studien getestet.
Ein weiterer Ansatz nutzt das Prinzip der RNA-Interferenz (RNAi): Fitusiran richtet sich gegen Antithrombin. Da es sich bei diesen Substanzen um einen Eingriff in das Gerinnungsgleichgewicht handelt, ohne einen spezifischen Gerinnungsfaktor zu ersetzen oder zu imitieren, können sie auch bei Hämophilie B mit oder ohne Hemmkörper eingesetzt werden und potenziell auch bei anderen schweren Gerinnungsstörungen, die zu erhöhter Blutungsneigung führen.
Des Weiteren stehen die ersten Präparate zur Gentherapie (zum Beispiel Valoctocogen roxaparvovec von Biomarin) kurz vor der Zulassung. Angesichts der Entwicklung neuer, komplexer Therapien sollte die Betreuung von Hämophiliepatienten in dafür spezialisierten Zentren erfolgen, um auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmte, geeignete Behandlungen auszuwählen.