Magistralrezepturen: Quellen undUrsachen fehlerhafter Zubereitungen |
23.11.1998 00:00 Uhr |
Pharmazie
Durch eine geänderte Ausbildungsordnung der Ärzte an den Hautkliniken wurden die Rezeptierkurse ersatzlos gestrichen. Seit diesem Zeitpunkt gibt es offiziell auf diesem Gebiet keine Ausbildung mehr. Ein neu niedergelassener Dermatologe gab mir dazu kürzlich im Gespräch eine plausible Erklärung. Die Magistral-Rezeptur stelle mit all ihren Facetten kein Thema dar, mit dem man sich an der Universität profilieren, geschweige denn wissenschaftliches Renommee gewinnen könne. Daher gäbe es zu diesem Thema auch keine Fortschritte im Ausbildungsstand und keine neueren Darstellungen in den Lehrbüchern.
Wie steht es um die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themenkomplexes an den Pharmazeutischen Instituten? Auch hier gewinnt man den Eindruck, Alltagsprobleme in der Rezeptur der Offizin-Apotheken scheinen nicht von großem Interesse zu sein. Im Zuge der Ausbildung von dreizehn Pharmazie-Praktikanten in den letzten 20 Jahren mußte ich immer wieder feststellen, daß dem Problemkreis Inkompatibilitäten und Instabilitäten in Individual-Rezepturen offensichtlich keine so große Bedeutung im Semester der pharmazeutischen Technologie beigemessen wird.
Gerade diese Institute könnten den Offizin-Apotheken aber wertvolle Daten zu Stabilitäts- und Wirkungsoptima von Wirkstoffen liefern und uns so wirksam zur Lösung solcher Probleme in der Rezeptur-Praxis beitragen. Zu diesem Themenkreis ausgegebene Doktor-Arbeiten könnten dann auch endlich wieder den Bogen von der rein wissenschaftlichen Grundlagenforschung hinüber zu der Berufspraxis in den öffentlichen Apotheken schlagen.
Das mangelnde Problembewußtsein in den Apotheken
Bisher wurde allein über die Konzeptionsqualität von Individual-Rezepturen gesprochen. Aber wie steht es um die Ausführungsqualität in öffentlichen und Krankenhausapotheken?
Insbesondere zu individuell angefertigten Externa gibt es meines Wissens keine wissenschaftlichen Untersuchungen im größeren Umfang. Lediglich gewisse Indizien sprechen für Mängel bei der Herstellung solcher Dermatika. Dermatologen kritisieren immer wieder, daß ein und dieselbe Rezeptur in verschiedenen Apotheken in jeweils unterschiedlicher Qualität hergestellt wird. "Warum besitzen Harnstoff-Rezepturen oft die Eigenschaft eines Schmirgelpapiers," so eine häufig geäußerte Kritik.
Seit dem 1. Juli 1997 habe ich im Zuständigkeitsbereich der Landesapothekerkammmer Rheinland-Pfalz eine Rezeptur-Hotline ins Leben gerufen. Jede Apotheke des Kammerbezirks kann mir per Fax ihr Rezeptur-Problem schildern und um eine Lösung bitten. Aus den bislang eingegangenen Anfragen läßt sich recht gut ablesen, wie es um das Problembewußtsein bei Magistral-Rezepturen in den Apotheken bestellt ist. So viel läßt sich schon jetzt sagen : Es gibt doch auf diesem Gebiet erhebliche Wissenslücken. Aus diesem Grund werden auch Probleme, wie Inkompatibilitäten, Instabilitäten und die mangelnde Sinnhaftigkeit oft nicht erkannt. Nur wenn das Apothekenpersonal das entsprechende Wissen und die Sensibilität und das Bewußtsein für Rezepturprobleme besitzt, kann es bei Bedarf handeln und Abhilfe schaffen.
Die Ausbildung von Apothekern und PTA
Die Pharmazie-Studenten erfahren während ihrem Studium im sogenannten Propädeutikum und im Semester der pharmazeutischen Technologie eine Menge über die Galenik von industriell hergestellten, aber auch individuell angefertigten Arzneimitteln. Die dermatologischen Rezepturen stellen jedoch in dem großen Spektrum unterschiedlichster Darreichungsformen zwangsläufig nur einen kleinen Ausschnitt dar. Eine Vertiefung des theoretischen Wissens soll im Verlauf des einjährigen Pharmazie-Praktikums erfolgen. Die Qualität dieser praktischen Ausbildung hängt weitgehend von der jeweiligen Ausbildungsstätte ab; insbesondere vom persönlichen Engagement der Chefin oder des Chefs.
Da ich seit einigen Jahren Weiterbildungsseminare im Kammerbezirk Nordrhein und Rheinland-Pfalz auf dem Gebiet der Verarbeitung von Dermatika durchführe, erfahre ich in Gesprächen mit den überwiegend jungen Kollegen, wie es um die Einstellung zur Rezeptur und das Wissen auf diesem Gebiet in den einzelnen Apotheken steht. Die meisten geben offen zu, daß sie bislang von der besonderen Problematik nichts gehört haben und auch von ihren Chefs nicht dazu angeregt wurden, sich damit zu beschäftigen.
PTA erhalten in den PTA-Schulen eine gründliche Ausbildung auf dem Gebiet der Galenik. Sie können daher später so manchem Pharmazie-Praktikanten "etwas vormachen", was die praktische Anfertigung von Magistral-Rezepturen angeht. Sie besitzen das größere Know-how und werden deshalb auch vorzugsweise in den öffentlichen Apotheken zur Herstellung von Individual-Rezepturen eingesetzt. Dennoch vermögen sie oft nicht, etwaige Probleme in den Formulierungen zu erkennen, gerade wenn sie nicht schon praktische Alltagserfahrungen diesbezüglich gemacht haben. Das zeigen auch Anfragen, die bisher im Zuge der Rezeptur-Hotline bei mir eingegangen sind.
Wenn auch im vergangenen Jahr in erster Linie die bisweilen mangelhafte Konzeptionsqualität der Magistral-Rezepturen durch eine Untersuchung von Altmeyer (Analyse magistraler Rezepturen von niedergelassenen Dermatologen, Der Hautarzt 1,1997) dokumentiert wurde, so darf das mit Rezepturen beschäftigte Personal sich keineswegs zufrieden zurücklehnen. Die von Altmeyer erhobene Forderung nach einer verstärkten Qualitätssicherung auf dem Gebiet der Magistral-Rezepturen betrifft uns in gleicher Weise wie die Dermatologen. Konzeptions- und Herstellungsqualität gehören unabdingbar zusammen. Diesen Teil der Qualitätssicherung können wir nicht delegieren, sondern müssen ihn selbst aktiv gestalten. Es erscheint auch aus ethischen Gründen nicht vertretbar, individuell angefertigte Arzneimittel minderer Qualität an kranke Patienten zu liefern.
Die mangelnde Kommunikation zwischen Dermatologen und Apothekern
Ein Grund, daß es auf dem Gebiet der magistralen Rezepturen in den letzten Jahren keinen Fortschritt geben hat, liegt meines Erachtens auch an der mangelnden Kommunikation zwischen Dermatologen und Apothekern. In den allermeisten Fällen ist das Verhältnis zwischen Ärzte- und Apothekerschaft immer noch durch Neid, Überheblichkeit, Unterwürfigkeit, falsch verstandene Abhängigkeit, Berührungsängste und Angst vor Blamage gekennzeichnet. Wenn sich auch inzwischen in dieser Beziehung langsam einiges bessert, fehlen doch gerade zwischen den Dermatologen und den Apothekern die regelmäßigen Gespräche und der Austausch von Informationen. Hier müssen die Vertreter beider Berufsgruppen einen Schritt aufeinander zugehen.
Das gemeinsame Bemühen, dem Patienten eine optimale Therapie, also auch eine optimale Therapie mit dermatologischen Externa zukommen zu lassen, sollte als Motivation ausreichen. Durch eine regelmäßige Kommunikation, die im Grunde von beiden Berufsgruppen nur gewünscht werden kann, ließen sich die vielen Probleme in und mit Individual-Rezepturen vor Ort leicht und schnell lösen.
Leider stellt man bei einigen Kollegen noch oft die folgende Haltung fest: "Wenn der Arzt es eben so haben will, dann machen wir das so." Oder: "Wenn wir in der Praxis anrufen, dann kriegen wir doch nur eine dumme Antwort von der Sprechstundenhilfe oder dem Arzt." Verschreibt ein Arzt eine neue inkompatible oder instabile Rezeptur verschreibt und erhält aus den Apotheken keine Reaktion, glaubt er, alles richtig gemacht zu haben. Diese Sicherheit verstärkt sich mit der Zeit immer mehr. Wenn sich der Apotheker dann nach vielen Jahren plötzlich zum ersten Mal mit einer kritischen Anmerkung meldet, muß der Anrufer gegenüber dem Arzt zunächst unglaubwürdig erscheinen. Warum soll ausgerechnet dieser Apotheker mit seiner Behauptung Recht haben? Ist er eventuell nur pingelig oder vielleicht nur weniger versiert als die vielen anderen Kollegen, die sich innerhalb der letzten Jahre nicht gemeldet haben?
Diese Erfahrung hat wohl schon jeder von uns gemacht. Sollten wir uns wirklich über die Reaktion der Dermatologen wundern? Nicht derjenige Apotheker, der nach Jahren anruft, muß Selbstzweifel hegen. Diejenigen, die in den Jahren zuvor nicht angerufen haben, müßten sich eigentlich unangenehme Fragen stellen lassen.
Die Quintessenz
Die Situation auf dem Gebiet der Magistral-Rezepturen ist meiner Meinung nach alles andere als zufriedenstellend. Die Ausbildung der Dermatologen wird den Anforderungen in der täglichen Praxis der Verordnung von individuell, auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen externen Zubereitungen nicht in allen Fällen gerecht. Die Literatur kann zu einem großen Teil zur Weiterbildung nicht herangezogen werden, weil sie selbst von bekannten Dermatologen nur mit unzureichender Kenntnis auf dem Gebiet der Galenik geschrieben wurde. Die wissenschaftlich arbeitenden Dermatologen an den Universitäten haben keine Motivation, auf diesem Gebiet zu forschen beziehungsweise in Fachzeitschriften zu publizieren, weil sie damit keine Reputation erwerben können.
Die Ausbildung der Apotheker im Pharmaziestudium, speziell im technologischen Semester, widmet sich zu wenig den eigentlichen Rezeptur-Problemen in der täglichen Apotheken-Praxis. Das einmal erworbene Wissen verkümmert im Apotheken-Alltag nach und nach, weil sich in den allermeisten Apotheken oft nur wenig Gelegenheiten bieten, sich mit diesem Gebiet intensiv zu beschäftigen. Die schlechte Bezahlung für die Herstellung von Rezepturen mindert zusätzlich die Motivation der Kollegen und des jeweiligen Chefs oder der Chefin. Sie sehen die Rezeptur rein betriebswirtschaftlich nur noch als Zuschußgeschäft. Es soll sogar Kollegen geben, denen Rezepturen so lästig geworden sind, daß sie diese abzuwimmeln versuchen.
Die PTA werden zwar in den PTA-Schulen in Bezug auf die Herstellung von Rezepturen gut ausgebildet. Das Problembewußtsein für inkompatible oder instabile Formulierungen wird jedoch nicht gefördert. Treten dann später in der Rezeptur in der Apotheke solche Probleme auf, erfahren sie kaum Hilfe durch ihre approbierten Kollegen inklusive Chef oder Chefin. Betrachtet man diese Situation aus der Sicht des Patienten, so muß man es schon fast als Skandal empfinden, daß zwei Berufsgruppen - Dermatologen und Apotheker - auf dem Gebiet der dermatologischen Externa mit so wenig adäquaten Kenntnissen arbeiten.
Schließlich muß jeder Patient dieses Manko an seinem Leib, sprich an seiner Haut "ausbaden". Mit diesen Zustand kann niemand zufrieden sein.
Es ist höchste Zeit, daß Dermatologen und andere rezeptierende Ärzte ihren Ausbildungsstand umgehend verbessern. Am besten unter Zuhilfenahme von Fachleuten, wie beispielsweise pharmazeutischen Technologen oder versierten Apothekern. Diese müssen ihre Kenntnisse beispielsweise in flächendeckenden Fortbildungsveranstaltungen vervollkommnen, um die Dermatologen beim "Komponieren" neuer Rezepturen zu unterstützen und Fehler in Rezepturen verhindern zu helfen.
Ein erster Schritt in Richtung einer besseren Kommunikation zwischen Dermatologen in niedergelassener Praxis und an der Hochschule und Apothekern aus Offizin, Krankenhaus und Industrie wurde mit der Gründung der Gesellschaft für Dermopharmazie getan. Hier soll erstmals versucht werden, Probleme interdisziplinär anzugehen. Anläßlich des Expopharm-Kongresses 1997 in Düsseldorf hat sich eine Arbeitsgruppe "Magistral-Rezepturen" gebildet, die das Gesamtfeld der Magistral-Rezepturen aufarbeiten will. Die Mitglieder stammen aus drei europäischen Ländern und kommen aus dermatologischen Kliniken, pharmazeutischen Firmen, dermatologischen Praxen, Krankenhausapotheken und öffentlichen Apotheken. Es ist zu hoffen, daß von dieser Arbeitsgruppe die entscheidenden Impulse zur Verbesserung der Qualität der Individual-Rezepturen ausgehen.
Aber auch in jeder Apotheke sollte gemeinsam darüber nachgedacht werden, wie die Qualität der Magistral-Rezepturen verbessert werden kann. Zunächst sollten die erforderlichen Informationen in Form von Fachbüchern beschafft und zwecks schnellen Zugriffs in der Rezeptur dauerhaft deponiert werden. Alle vorkommenden Rezepturen werden dann vor der Anfertigung kritisch hinsichtlich möglicher Inkompatibilitäten und Instabilitäten hinterfragt. Bei deren ersten Auftauchen wird dann der Kontakt zum verschreibenden Arzt gesucht. Konstruktive Verbesserungsvorschläge sollten möglichst vorher ausgearbeitet sein und dann unterbreitet werden; möglichst an Hand standardisierter Vorschriften aus dem NRF. Der Arzt sollte dabei aufgefordert werden, auch seinerseits den Kontakt zum Apotheker zu suchen. Auf diese Weise muß ein ständiger Informationsaustausch aufrecht erhalten werden. Denn nur die regelmäßige Kommunikation kann das Verhältnis zwischen Ärzten und Apothekern verbessern.
Sollte sich der unbefriedigende Zustand auf dem Gebiet der Magistral-Rezepturen nicht in kurzer Zeit verbessern, werden wir damit rechnen müssen, daß das Bundesministerium für Gesundheit über kurz oder lang den Dermatologen und Apothekern per Verordnung vorschreiben wird, was in der Rezeptur noch gemacht werden darf. Ähnliches ist im Jahr 1989 in Frankreich geschehen. Die Verordnungen von Rezepturen gingen dort daraufhin auf ein unbedeutendes Maß von 2 bis 3 Prozent zurück. Ich nehme an, daß sowohl den Dermatologen als auch uns Apothekern eine solche rigorose Beschneidung der Magistral-Rezepturen nicht recht sein kann.
Anschrift des Verfassers
Dr. Gerd Wolf
Robert-Koch-Apotheke
Fauviller Ring 1
53506 Grafschaft-Ringen
Literatur:
(1) Hornstein, O.P., Nürnberg, E., Externe Therapie von Hautkrankheiten. Thieme Stuttgart 1985.
(2) Steigleder, G.K., Therapie der Hautkrankheiten, 4. Auflage. Thieme Stuttgart 1993.
(3) Steigleder, G.K., Dermatologie und Venerologie, 6. Auflage. Thieme Stuttgart 1992.
(4) Garbe, C., Reimann, H., Sander-Bär, C., Rationelle dermatologische Rezeptur. Thieme Stuttgart 1996.
(5) Niedner, R., Ziegenmeyer, J., Dermatika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1992.
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