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"Potenzpille" Sildenafil (Viagra™)

25.05.1998  00:00 Uhr

-Pharmazie

Govi-Verlag

"Potenzpille" Sildenafil (Viagra™)
Neue Arzneistoffe

Am 27. März diesen Jahres wurde in den USA nach nur 6monatiger Begutachtungszeit der Phosphodiesterase-5-Hemmer Sildenafil (Viagra™, Pfizer) von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für die Behandlung von Erektionsstörungen zugelassen. Mit der Zulassung in der EU durch die EMEA wird im Laufe dieses Jahres gerechnet. Es ist zur Zeit das einzige wirksame Arzneimittel zur peroralen Anwendung für diese Indikation (2,10).

Das Marktpotential ist enorm, obwohl genaue Zahlen zum Ausmaß und Prävalenz der erektilen Dysfunktion nicht vorliegen. Nach verschiedenen Quellen soll jeder zweite Mann zwischen 40 und 70 Jahren Probleme bei der Initiierung oder Aufrechterhaltung der für den Geschlechtsverkehr notwendigen Erektion aufweisen. Die angenommene Prävalenz ist etwa 40 Prozent bei 40 Jahre alten Männern und 67 Prozent bei Männern älter als 70 Jahre. Rund 11 Prozent der 260 Millionen Männer in Europa leiden unter Impotenz. Die Kosten für eine Einzeldosis Sildenafil in den USA betragen etwa 10 US Dollar, das sind etwa 18 DM. Die Kosten in der Bundesrepublik Deutschland als Einzelimport nach § 73, Abs. 3 AMG belaufen sich auf etwa 30 bis 35 DM (2, 3, 5, 6). Zur Zeit ist davon auszugehen, daß Viagra das bisher umsatzstärkste Arzneimittel wird.

Bisher standen mit der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT), in der Regel mit Prostaglandin E1 (Alprostadil), Erfolgsquote etwa 90 Prozent, oder der Applikation dieser Substanz als Gel in die Harnröhre (MUSE™ - Medicated Urethral System for Erection), Erfolgsquote etwa 50 bis 60 Prozent, zwar wirksame aber unkomfortable Therapiemethoden zur Verfügung, die auch nicht ohne Risiken wie Fibrosen (etwa 5 Prozent bei SKAT), Priapismus (Risiko 0,001 Prozent pro Applikation bei SKAT) oder Kreislaufkollaps (3 bis 4 Prozent bei MUSE) sind (3, 8, 10).

Ursprünglich wurde der Vasodilatator Sildenafil als Angina-pectoris-Mittel entwickelt. Die in den klinischen Prüfungen der Phase I aufgefallene Nebenwirkung - Zunahme von Erektionen - wurde zur Indikation (1, 3, 5, 8).

Wirkung und Wirkungsmechanismus

Infolge sexueller Stimulation freigesetztes NO (Stickstoffmonoxid) aktiviert cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP). Der Mechanismus dieser Aktivierung ist derzeit nicht bekannt. cGMP erweitert die Schwellkörpergefäße des Penis (Corpus cavernosum). Sildenafil ist ein relativ selektiver Hemmstoff der cGMP-spezifischen Phosphodiesterase (PDE) Typ 5 und verhindert dadurch den Abbau des Botenstoffs cGMP. Daraus folgt eine verstärkte und verlängerte Vasodilatation und Erektion. Ohne sexuelle Stimulation bleibt, im Gegensatz zur SKAT-Therapie, ein Effekt aus. Die PDE Typ 5 ist das dominierende Isoenzym im menschlichen Corpus cavernosum. Mit etwa 10fach niedrigerer Potenz hemmt Sildenafil auch die PDE 6, die zum Beispiel in der Retina vorkommt (1, 3-6.)

Klinische Prüfung

In verschiedenen klinischen Prüfungen an mehr als 4000 Männern zwischen 19 und 87 Jahren mit erektiler Dysfunktion verschiedener Ursachen (Diabetes, Hypertonie, Rückenmarksverletzungen, Zustand nach radikaler Prostatektomie, ohne definierte organische Ursachen, Depression) wurden (10), 25, 50 und 100 mg Sildenafi - in der Regel eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr - untersucht. Die Erfolgsquoten lagen dosisabhängig zwischen 60 und 80 Prozent, zum Teil sogar bis 90 Prozent. Die Ansprechrate auf Placebo betrug zwischen 20 und 30 Prozent. Bei Patienten mit Diabetes oder Zustand nach radikaler Prostatektomie beträgt die Erfolgsquote wahrscheinlich nur etwa 50 Prozent (1-3, 5).

Wirkungen und unerwünschte Wirkungen dieses Arzneimittels bei Männern ohne Erektionsstörungen sind bisher nicht untersucht. Der Arzneistoff könnte bei diesen Gesunden ohne objektivierbare Wirkung sein, unerwünschte Wirkungen sind hingegen zu erwarten (2). Zu einer notwendigen doppelblinden, randomisierten, placebo-kontrollierten Studie dürfte wohl auch keine Ethik-Kommission ihre Zustimmung erteilen. Erste klinische Studien mit Frauen, etwa. bei Durchblutungsstörungen von Klitoris und Scheidenwand, sind bereits angelaufen.

Dosierung und Anwendung

Männer mit Erektionsstörungen können, nach ärztlicher (urologischer) Untersuchung, in der Regel 50 mg Sildenafil eine Stunde (0,5 bis 4 Stunden) vor der sexuellen Aktivität einnehmen, maximal einmal pro Tag. Der Effekt tritt etwa 10 Minuten nach visueller sexueller Stimulation ein. Die Einzeldosis kann nach Wirksamkeit und Verträglichkeit auf 25 mg erniedrigt oder auf 100 mg erhöht werden. Bei Patienten über 65 Jahre, mit Leberfunktionsstörungen (zum Beispiel alkoholische Zirrhose), schweren Nierenfunktionsstörungen (CLCR < 30 ml/min) oder gleichzeitiger Einnahme von Hemmstoffen des Cytochrom P450-Isoenzyms 3A4 wie Erythromycin, Ketoconazol oder Itraconazol beträgt die anfängliche Einzeldosis 25 mg. Das Maximum der erektionsfördernden Wirkung wie auch der Sildenafil-Plasmakonzentration wird nach etwa einer Stunde erreicht. Nach 4 bis 6 Stunden ist die Wirkung abgeklungen (2, 5, 6, 8).

Viagra™ (Sildenafil citrat) ist in den USA als blaue, rautenförmige Filmtablette mit gerundeten Ecken im Handel (Fl. mit 30 Stück) und wie folgt gekennzeichnet (1); es ist nicht auszuschließen, daß Fälschungen "in den Handel" kommen:

 

Dosis25 mg50 mg100 mg VorderseiteVGR 25VGR 50VGR 100 RückseitePFIZERPFIZERPFIZER Fl. mit 30 St. NDC-0069-4200-30 NDC-0069-4210-30 NDC-0069-4220-30

Kontraindikationen

Wie immer ist bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Arzneistoff oder einen Bestandteil der Zubereitung (zum Beispiel Magnesiumstearat, Titandioxid, Triacetin, Lactose) die Anwendung kontraindiziert. Da Sildenafil den hypotensiven Effekt von Nitraten potenziert, ist die Anwendung bei Patienten, die Nitrate einnehmen kontraindiziert. Männer mit Erkrankungen der Retina wie Makuladegeneration oder Retinitis pigmentosa sollten Sildenafil vorsichtshalber nicht verwenden. Vorsicht ist bei Patienten mit Ulcera oder Blutgerinnungsstörungen geboten. Vor allem ältere Patienten sollten bezüglich ihrer Herz-Kreislauf-Funktion zunächst untersucht werden, da der Geschlechtsverkehr eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System darstellen kann (1, 3, 6).

Unerwünschte Wirkungen

Häufige (über 10 Prozent) unerwünschte Wirkungen nach Einnahme von Sildenafil sind Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen/dyspeptische Beschwerden, Diarrhoe und Flush. Gelegentlich (1 bis 10 Prozent) traten Rhinitis, Muskelschmerzen und Sehstörungen wie Störung des Farbsehens, verschwommenes Sehen, blaue Schleier für einige Stunden, Lichtempfindlichkeit auf. Diese unerwünschten Wirkungen sind in der Regel dosisabhängig, so traten bei Einzeldosen von 100 mg bei 17 Prozent dyspeptische Beschwerden und bei 11 Prozent Sehstörungen und damit häufiger als nach Einnahme von 50 mg auf. Bis zu 5 Prozent der Patienten schieden aus den klinischen Studien aufgrund von unerwünschten Wirkungen aus. Bei weniger als 2 Prozent der Patienten wurden weitere unerwünschte Wirkungen wie Photosensibilisierung, allergische Reaktionen, Erbrechen, Anämie, Leukopenie, Hyper- und Hypoglykämie, Tremor, Vertigo, Kontaktdermatitis, Tinnitus beschrieben. Priapismus wurde bisher nicht beobachtet (1-3, 5, 8).

Wechselwirkungen

Sildenafil wird hauptsächlich durch Cytochrome P450 (CYP), 3A4 und weniger durch 2C9, metabolisiert. Cimetidin (800 mg) erhöht die Sildenafilplasmakonzentration um 56 Prozent. Der spezifische CYP 3A4-Inhibitor Erythromycin, zweimal täglich 500 mg über 5 Tage, erhöhte die Sildenafil-AUC um 182 Prozent. Noch stärkere Effekte sind durch die gleichzeitige Gabe der CYP 3A4-Hemmer Ketoconazol, Itraconazol oder Mibefradil bezüglich der Verminderung der Sildenafil-Clearance zu erwarten (1). Diese Kombinationen sollten vermieden werden.

Zusammenfassung

Der Medienrummel im Zusammenhang mit der Zulassung und Markteinführung von Viagra™ hat bereits in kurzer Zeit die Aufmerksamkeit von Bevölkerung, Internet, Versandfirmen geweckt. Apotheker- und Ärzteschaft sind aufgerufen, Interessenten umfassend zu beraten. Der Fehlgebrauch einer so potenten Substanz erscheint vorprogrammiert. Die weltweit bereits erfolgte breite Anwendung des Arzneimittels außerhalb von Studien wird bald detailliertere Aussagen über das Risikopotential erlauben. Unerlaubter Handel, beobachteter Fehlgebrauch und unerwünschte Wirkungen sollten der Arzneimittelkommission mitgeteilt werden.

Literatur

(1) Pfizer Labs, VIAGRA™. http://www.viagra.com. Issued March 1998.
(2) N.N.: First approval for Viagra - in US. Scrip No. 2322 (1998) 17.
(3) N.N.: „Potenzpille" Sildenafil" (USA: Viagra). arznei-telegramm 5 (1998) 50.
(4) Moreland, R.B., et al., Sildenafil, a novel inhibitor of phosphodiesterase type 5 in human corpus cavernosum smooth muscle cells. Life Sci. 62 (1998) PL-309-318.
(5) Goldstein, I., et al., Oral sildenafil in the treatment of erectile dysfunction. N. Engl. J. Med. 338, 20 (1998) 1397-1404.
(6) Neuse-Schwarz, B.: Sildenafil: neue Hoffnung bei Potenzproblemen. Pharm. Ztg. 143, 15 (1998) 1202-1203.
(7) Sildenafil, Drug Evaluation Monographs. Drugdex®, Vol. 96, Exp. 30.06.1998. Micromedex INC., Denver, CO.
(8) Oo, W.C., Baumgärtner, M., Impotenz: etablierte und neue Therapieansätze. Pharm. Ztg. 143, 10 (1998) 761.
(9) Boolell, M., et al., Sildenafil, a novel effective oral therapy for male erectile dysfunction. Br. J. Urol. 78 (1996) 257-261.
(10) Utiger, R.U., A pill for impotence (editorial). N. Engl. J. Med. 338, 20 (1998) 1458-1459.

Anschrift des Verfasser:

Dr. Martin Schulz
Arzneimittelinformationsstelle der ABDA
Carl-Mannich-Strasse 26
65760 Eschborn

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