Endocannabinoide können mehr |
07.02.2005 00:00 Uhr |
Das Endocannabinoid-System besteht aus Cannabinoid-Rezeptoren, ihren endogenen Liganden sowie Enzymen für die Synthese und den Abbau von Endocannabinoiden. Es ist an der Regulation vielfältiger Funktionen im Zentralnervensystem beteiligt, aber auch an der Zell-Zell-Kommunikation im Immunsystem und der Regulation von Proliferation und Zelltod. Medikamente zum Eingriff in dieses System sind derzeit kaum verfügbar, könnten aber in Zukunft eine sehr wirksame Option zur Immunmodulation und Tumortherapie darstellen.
Der Gebrauch von Marihuana (Cannabis) aus medizinischer Indikation reicht geschichtlich sehr weit zurück. Erste Aufzeichnungen stammen aus dem antiken China, wo es zur Therapie von Fieber und bei Konzentrationsstörungen eingesetzt wurde. Nach Europa durch die Truppen Napoleon Bonapartes aus Ägypten eingeführt, wurde es von europäischen Medizinern aufgegriffen und im 19. Jahrhundert häufig verschrieben. Heute wird die Wirksamkeit in klinischen Studien untersucht; die Wirksubstanz Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC; Dronabinol) ist bereits als Medikament in den USA und Kanada zugelassen (Marinol™) (1). Die medizinische Anwendung von Cannabis und seinen Inhaltsstoffen stand noch bis vor kurzem auf einer hauptsächlich empirischen Basis, teilweise fundiert durch entsprechende klinische Beobachtungen und Studien.
Die Entdeckung, Klonierung und Lokalisation von Cannabinoid-Rezeptoren und die Identifikation ihrer endogenen Liganden haben in den letzten Jahren das Tor zur systematischen, biomedizinischen Erforschung von Cannabis weit aufgestoßen und neue Perspektiven der medizinischen Nutzung eröffnet. Dabei wurde deutlich, dass das Endocannabinoid-System wahrscheinlich ein fundamentales Regulationssystem im Nerven- und Immunsystem darstellt, dessen Funktion eng mit physiologischen und pathologischen Prozessen verknüpft ist. Somit könnte es künftig ein lohnendes Ziel für therapeutische Eingriffe sein.
Auf einen Blick Das Endocannabinoid-System repräsentiert ein körpereigenes, physiologisches Regulationssystem, das neben seiner Funktion im ZNS auch an der Steuerung des Immunsystems und des apoptotischen Zelltods beteiligt ist. Die Endocannabinoide Anandamid und 2-Arachidonylglycerol sind volle Agonisten an den Rezeptoren CB1 und CB2, während der Cannabis-Inhaltsstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol ein partieller Agonist an beiden Rezeptortypen ist. CB1-Rezeptoren sind hauptsächlich auf Nervenzellen, CB2-Rezeptoren auf Zellen des Immunsystems lokalisiert. Tierexperimentelle Studien haben viel versprechende Ergebnisse bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen des ZNS und des Magen-Darm-Trakts sowie in der Antitumortherapie von Gliomen geliefert. Daher besteht die berechtigte Hoffnung, dass spezifische CB1- oder CB2-Rezeptoragonisten oder -antagonisten oder gezielte Eingriffe in den körpereigenen Endocannabinoid-Stoffwechsel ganz neue therapeutische Perspektiven eröffnen könnten. Die umfassende Erforschung des Systems, seiner Signalwege und seiner Bedeutung für Gesundheit und Krankheit bedeutet eine große Herausforderung für die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Immunologen, Neurowissenschaftlern und Pharmakologen.
Die wissenschaftliche Erforschung wurde durch die Identifikation von THC als psychoaktive und Cannabidiol (CBD) als nicht-psychoaktive Subtanz in Marihuana (2) eingeleitet. Die Entdeckung und Klonierung der körpereigenen Cannabinoid-Rezeptoren CB1 (3) und CB2 (4) in den 90er-Jahren ermöglichte dann die Identifikation der endogenen Liganden (5, 6).
Zwei Rezeptortypen identifiziert
Bisher wurden zwei Cannabinoid-Rezeptortypen identifiziert: der hauptsächlich auf Neuronen lokalisierte CB1-Rezeptor (3) und der hauptsächlich auf Zellen des Immunsystems zu findende CB2-Rezeptor (4). Darüber hinaus gibt es deutliche Hinweise auf die Existenz weiterer, noch nicht identifizierter Rezeptoren (7).
CB1-Rezeptoren werden im ZNS hauptsächlich von Nervenzellen exprimiert (8). Auch Zellen des Immunsystems haben CB1-Rezeptoren, allerdings etwa 10- bis 100fach häufiger den CB2-Typ. Innerhalb des Immunsystems wurden CB2-Rezeptoren (in absteigender Reihung der Expressionsstärke) auf B-Zellen, NK-Zellen, Monozyten, neutrophilen Granulozyten und T-Zellen gefunden (9). Daneben exprimieren auch antigenpräsentierende dendritische Zellen CB1- und CB2-Rezeptoren (10), deren Funktion noch unbekannt ist.
Die Expression von Cannabinoid-Rezeptoren hängt stark vom Funktionszustand der Immunzellen ab. So wird beispielsweise die CB2-Expression in Makrophagen durch deren Aktivierungszustand reguliert und durch proinflammatorisch wirksames IFN-g verstärkt (11). Auf der anderen Seite reduziert die Differenzierung von B-Zellen (12) und der Einfluss des antiinflammatorischen Zytokins TGF-b in Lymphozyten (13) die CB2-Expression.
Cannabinoid-Rezeptoren finden sich im ZNS nicht nur auf Nervenzellen, sondern auch auf Gliazellen. Mikrogliazellen als Monozyten-ähnliche, parenchymatöse Immunoeffektorzellen des ZNS exprimieren funktionell aktive CB1- und CB2-Rezeptoren (14, 15). Analog zu den Makrophagen der Peripherie wird die CB2-Expression auf Mikrogliazellen stark vom lokalen Zytokinmilieu beeinflusst. Auch hier verstärken entzündliche Veränderungen, zum Beispiel das proinflammatorische Zytokin IFN-g, die CB2-Expression (11).
Beide Rezeptortypen kommen auch auf Oligodendrozyten vor (16), allerdings mit noch unbekannter Funktion. Ob CB2-Rezeptoren auf Astrozyten gebildet werden, ist fraglich (7).
Cannabinoid-Rezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die MAP-Kinasen (Mitogen-activated protein kinases) aktivieren und durch Gi/o-Proteine die Adenylatcyclase-Aktivität inhibieren (17). Nach Klonierung dieser Rezeptoren gelang die Identifikation von Arachidonoylethanolamid (Anandamid, AEA) (5) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) (6) als endogene Liganden. Damit war ein neues biologisches Regulationssystem entdeckt.
Endocannabinoide entdeckt
Das Endocannabinoid-System besteht aus Cannabinoid-Rezeptoren, ihren endogenen Liganden sowie Enzymen für die Synthese von Endocannabinoiden und deren Abbau. Es wurde vermutlich bereits in der Frühzeit der Artenentwicklung angelegt und ist evolutionär hochgradig konserviert (18). Unter physiologischen Bedingungen ist es je nach Spezies und Alter unterschiedlich aktiviert (19).
Endocannabinoide werden vom Körper durch Hydrolyse von Lipid-Precursoren in der Zellmembran synthetisiert (20). Dabei entsteht durch Spaltung von N-Arachidonoyl-phosphatidylethanolamin durch Phospholipase D das Anandamid und durch Spaltung von Diacylglycerol durch Diacylglycerollipase das 2-Arachidonoylglycerol. 2-AG ist im Hirngewebe in deutlich höheren Konzentrationen als AEA vorhanden und wird an wichtigen Kreuzungsstellen des Lipidstoffwechsels produziert, während der zur Bildung von AEA führende Stoffwechselweg sehr spezifisch ist. Daher wird AEA wahrscheinlich nur „bei Bedarf“ hergestellt, während 2-AG ständig im Gewebe präsent ist. Beide Endocannabinoide sind Agonisten an CB1- und CB2-Rezeptoren.
Viele Zelltypen, aber vor allem die Zellen des Immunsystems, können Endocannabinoide bilden (21). So kurbeln durch ATP stimulierte, purinerge Rezeptoren auf Mikrogliazellen bei entzündlichen Prozessen Calcium-gesteuert die Endocannabinoid-Produktion rapide an (15), wodurch es zu erhöhten Konzentrationen von 2-AG und AEA im Hirn und Rückenmark kommt (22). Auch stimulierte Makrophagen setzen Endocannabinoide frei (7).
Ebenso können viele Zellen Endocannabinoide metabolisieren (21). AEA wird durch eine Fettsäureamidhydrolase (FAAH) und 2-AG durch eine Monoglyceridlipase (MGL) abgebaut. Die Existenz von spezifischen Transportern wird noch kontrovers diskutiert (23). Die FAAH ist im ZNS hauptsächlich in den Nervenzellen vorhanden, wahrscheinlich auch in Astrozyten (24). Sie ist ebenfalls in Zellen des Immunsystems weit verbreitet, so in T-Zellen (25), Makrophagen (21) und dendritischen Zellen (26). Makrophagen sind eine der wesentlichen Quellen für Endocannabinoide, inaktivieren diese aber auch sehr schnell.
Endocannabinoide werden zu anderen biologisch aktiven Substanzen metabolisiert. So entsteht beim Abbau von 2-AG Arachidonsäure und bei der Verstoffwechselung von AEA über die Cyclooxygenase Prostaglandin E2, die beide proinflammatorische Mediatoren darstellen (27). Auch Thrombozyten und Leukozyten nehmen AEA auf und verstoffwechseln es zu 12(S)-Hydroxy-arachidonylethanolamid (12(S)-HAEA) und in geringerem Ausmaß zu 15(S)-Hydroxy-arachidonylethanolamid (15(S)-HAEA). Hierbei bindet 12(S)-HAEA mit einer ähnlichen Affinität wie AEA an Cannabinoid-Rezeptoren, ist aber kein Substrat der FAAH. Es wird daher vermutet, dass die Konversion von AEA zu seinem sekundären Metaboliten 12(S)-HAEA die Wirkdauer an Cannabinoid-Rezeptoren verlängert (28). Daher dürfen bei der funktionellen Betrachtung des Endocannabinoid-Systems diese sehr aktiven sekundären Metaboliten nicht unberücksichtigt bleiben.
Vielfältige Funktionen im ZNS
Im ZNS sind Endocannabinoide an vielen physiologischen Prozessen wie Schmerzverarbeitung, Motorik, Emotion, Appetitregulation und Nahrungsaufnahme beteiligt. Die Bedeutung des neuronalen Endocannabinoid-Systems ist mit der regional stark unterschiedlichen Expression von CB1-Rezeptoren assoziiert, die besonders in der Substantia nigra, im Globus pallidus, Hippocampus und Cerebellum lokalisiert sind (8).
Im Hippocampus und Cerebellum sind Endocannabinoide wahrscheinlich am retrograden Signalling beteiligt. Das heißt, sie werden nach Depolarisation ausgeschüttet, diffundieren rückwärts durch den synaptischen Spalt und supprimieren präsynaptisch die Signalübertragung von inhibitorischen GABA-ergen Nervenzellen. Dieser Mechanismus scheint eine wichtige Rolle bei der Langzeitpotenzierung bei Lernprozessen zu spielen (20). Weiterhin sind Endocannabinoide an der Modulation von Emotionen in der Amygdala, der Regulation motorischer Aktivität in den Basalganglien und der zentralen Schmerzverarbeitung beteiligt.
Schutzfaktor im ZNS
Neben ihrer Beteiligung an diesen physiologischen Prozessen schützt das Endocannabinoidsystem wahrscheinlich bei Schadensereignissen im ZNS. Darunter kann sowohl ein direkter Schutz verstanden werden, indem Endocannabinoide über CB1-Rezeptoren kortikale Hauptneurone vor exzitotoxischer Schädigung bewahren (19), als auch ein indirekter Schutz über das Immunsystem des ZNS. Hier bewirken Endocannabinoide die Migration von Mikrogliazellen (15), hemmen aber die Produktion des proinflammatorischen Zytokins TNF-a (14) und des zytotoxischen Stickstoffmonoxids (NO) (29). Man vermutet daher, dass die unter Entzündungsbedingungen produzierten Endocannabinoide Mikrogliazellen rekrutieren (15, 30), dann aber lokal eine gewebeschädliche Überaktivierung unterdrücken, also eine Überaktivierung des Immunsystems im ZNS verhindern.
Auch in Astrozyten hemmen Endocannabinoide die Produktion von TNF-a (31) und von NO (16), während die Freisetzung des Th2-Zytokins IL-6 verstärkt wird (32). In Oligodendrozyten schützt eine Stimulierung von Cannabinoid-Rezeptoren (16). Wahrscheinlich wirken Endocannabinoide im ZNS nicht allein über CB1- und CB2-Rezeptoren, sondern auch über bisher nicht identifizierte Rezeptoren oder andere Mechanismen (14).
Regulation der Immunzellen
Im Immunsystem wirkt eine CB2-Rezeptorstimulation grundsätzlich inhibitorisch (7). Molekulare Grundlage ist dabei die Hemmung der Adenylatcyclase-Aktivität (17), der Proteinkinase A und der Transkriptionsfaktoren NF-AT und AP-1.
In Monozyten und Makrophagen hemmen Endocannabinoide CB2-vermittelt die Freisetzung der Zytokine TNF-a, IL-1b (33), IL-6 und IL-8 (34, 35). Endocannabinoide wie AEA und 2-AG scheinen die NO-Freisetzung zu stimulieren (36), während exogenes THC diese hemmt (37). Darüber hinaus war THC in der Lage, in Makrophagen den apoptotischen Zelltod zu induzieren (38).
In T-Zellen induziert THC einen Th1/Th2-Shift (Suppression von IFN-g und IL-12, Induktion von IL-4), der über CB1- und CB2-Rezeptoren vermittelt wird (39). Untersuchungen zur Proliferation von B- und T-Lymphozyten sind noch widersprüchlich (7) und lassen biphasische Effekte vermuten, nämlich eine Proliferationsförderung durch nanomolare Konzentrationen und eine Hemmung durch mikromolare und höhere Konzentrationen (40). Mehrere Studien bestätigten außerdem eine Suppression der NK-Zell-Funktion durch THC (41).
► Insgesamt lassen die zellbiologischen Untersuchungen eine immunmodulatorische Wirkung von Endocannabinoiden klar erkennen. Zusammengefasst kann vermutet werden, dass Endocannabinoide durch Chemotaxis (15, 42) Immunzellen zum Ort einer Schädigung locken und aktivieren, dabei aber gleichzeitig deren gewebeschädliche Überaktivierung verhindern. Zusätzlich regulieren Immunzellen ihrerseits die lokalen Gewebekonzentrationen von Endocannabinoiden durch Synthese und Abbau.
Antiproliferative Effekte
In-vitro-Studien in Mammakarzinomzellen haben gezeigt, dass bereits eine Behandlung mit geringen Konzentrationen von Endocannabinoiden die Zellproliferation vollständig unterbrechen kann (43). Dieser Effekt wird durch den CB1-Rezeptor vermittelt, der in humanen Mamma- und Prostatatumorzellen im Vergleich zum gesunden Gewebe deutlich überexprimiert vorliegt (44). Dabei kommt es sowohl zu einer Aktivierung der Raf-1/ERK-Signalkaskade als auch zu einer Hemmung der Adenylatcyclase (45).
Neben der antiproliferativen Wirkung von Endocannabinoiden gilt auch ihre Beteiligung am apoptotischen Zelltod als erwiesen. In Zellkultursystemen können Cannabinoide den apoptotischen Tumorzelltod von Gliom- (46, 47), Astrozytom- (46), Neuroblastom- (46, 48) und Phäochromozytomzellen (49) auslösen. In Zellen des Immunsystems, die in erster Linie den CB2-Rezeptor exprimieren, konnte eine THC-Behandlung ebenfalls Apoptose auslösen (50), vermutlich über eine Herunterregulation des antiapoptotischen Proteins Bcl2 (38).
Wie töten Endocannabinoide?
Die durch Cannabinoide ausgelöste Apoptose wird über die vermehrte Bildung von Ceramid, einem Second-messenger-Lipidmolekül, eingeleitet (51). Erhöhte Ceramidkonzentrationen aktivieren dann die Raf-1/ERK-Signalkaskade (52), wobei die endgültige Entscheidung über das Schicksal der Zelle von der Dauer des jeweiligen Stimulus abhängt. Zur Apoptose kommt es nur, wenn Ceramid über einen längeren Zeitraum einwirkt (52).
Der CB1-Rezeptoragonist Arvanil induziert Apoptose unabhängig von der Zellzyklusphase über den FADD(Fas-associated death domain)-Signalweg und eine Aktivierung der Effektorcaspasen 8, 7 und 3 (53). In Phäochromozytomzellen induziert AEA eine Überproduktion von Superoxid-Radikalen, die neben bisher noch unbekannten Signalen letztendlich zu einer Caspase-3-Akkumulation führen (49). Dieser Effekt wird durch das Antioxidans N-Acetylcystein blockiert.
In neuronalen PC12-Zellen löst AEA den apoptotischen Zelltod Mitochondrien-assoziiert über eine Aktivierung des p38/MAPK-Signalwegs bei gleichzeitiger Freisetzung von Cytochrom c aus (54)
Therapeutische Eingriffe
Die neu erkannte Rolle des Endocannabinoid-Systems im Immunsystem und bei der Regulation von Proliferation und Apoptose eröffnet prinzipiell die Möglichkeit einer therapeutischen Intervention. Neben Cannabis, einem Gemisch von etwa 60 verschiedenen natürlichen Cannabinoiden, stehen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol) und das synthetische THC-Analogon Nabilon (Cesamet®, Nabilone®), ein Dibenzopyran, zur Verfügung. Beide Stoffe sind in den USA, Kanada und Großbritannien zur Behandlung von Erbrechen und Kachexie bei Tumor- und HIV-Patienten zugelassen.
Da Dronabinol und Nabilon sowohl an CB1- als auch an CB2-Rezeptoren angreifen, sind sie grundsätzlich nicht sehr spezifisch. Als partielle Agonisten können sie zudem mit dem endogenen Cannabinoid-System wechselwirken. Einen Ansatz zur Lösung dieser Problematik könnte die Entwicklung von Hemmstoffen der Endocannabinoid abbauenden Enzyme eröffnen. Derartige Hemmstoffe würden die Wirkung endogener Cannabinoide verstärken, und zwar spezifisch am Ort ihrer Entstehung.
Aus der Gruppe der Cannabinoid-Rezeptorantagonisten wird derzeit SR141716 (Rimonabant) in mehreren klinischen Studien zur Behandlung des Übergewichts und in der Raucherentwöhnung getestet. Eine Übersicht über pharmakologische Agonisten und Antagonisten an Cannabinoid-Rezeptoren zeigt die Tabelle 1 [aus technischen Gründen nur in der Druckausgabe]. Diese Substanzen sind allerdings bis auf THC und Dibenzopyran noch nicht zugelassen.
Immunsuppression möglich
Erste empirische Hinweise auf eine klinische Immunsuppression durch Cannabinoide ergaben sich aus dem gehäuften Auftreten von Herpes simplex bei Marihuana-Rauchern (55). Bisherige Studien über die Wirkung von exogen zugeführten Cannabinoiden auf das menschliche Immunsystem zeichneten ein eher widersprüchliches Bild. Bei Marihuana-Rauchern wurde in einer Studie eine verminderte Lymphozytenproliferation gefunden (56), in einer anderen nicht (57). T-Lymphozyten waren in einer Studie reduziert (58), in einer anderen nicht (59). Eine umfassende immunologische Funktionsdiagnostik bei HIV-Patienten erbrachte keine Hinweise auf eine klinisch relevante Immunsuppression unter einer 21-tägigen Dronabinol-Therapie (60).
Bei der Interpretation dieser Studien müssen bei chronischen Marihuana-Rauchern zusätzliche Faktoren wie Lebensgewohnheiten, Ernährung, Konsum anderer Drogen oder Pharmaka ausreichend kontrolliert und berücksichtigt werden. Zudem wurde in allen, auch den in Tabelle 2 [aus technischen Gründen nur in der Druckausgabe] zitierten Studien ein Cannabinoid systemisch und nicht lokal verabreicht. Cannabinoide sind jedoch lipophile Substanzen mit einer starken Eiweißbindung; daher werden bei oraler Aufnahme Serumkonzentrationen im nanomolaren Bereich erreicht und der Wirkstoff dann schnell ins Gewebe umverteilt. Die durch perorale Zufuhr erreichbaren Plasmaspiegel liegen deutlich unterhalb der in Zell- und Gewebekultursystemen gemessenen oder verwendeten Konzentrationen.
Das Endocannabinoid-System ist ein lokal wirksames Regulationssystem im Nerven- und Immunsystem. Daher ist es zweifelhaft, ob bei exogener Cannabinoidgabe überhaupt lokal wirksame Konzentrationen erreicht werden. So werden beispielsweise nur bei inhalativer Aufnahme Spitzenkonzentrationen von etwa 0,3 µmol/l in den Alveolen erreicht, die dann tatsächlich die Phagozytosefähigkeit von Alveolarmakrophagen deutlich verringern (61).
► Es besteht die grundsätzliche Gefahr, dass das Endocannabinoid-System durch systemische Cannabinoidgaben möglicherweise gar nicht oder sogar im unerwünschten Sinn moduliert wird. So können natürliche Cannabinoide nach peroraler Gabe als inverse Agonisten oder sogar als Antagonisten wirken (62).
Die meisten Daten zur klinischen Wirksamkeit von THC wurden am Modell der experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE) gewonnen, einem Tiermodell der Multiplen Sklerose. Hier kann THC die volle Entwicklung des klinischen Krankheitsbildes verhindern (63, 64) und die entzündliche Infiltration des Rückenmarks supprimieren (63). Weitere Hinweise auf eine antiinflammatorische Wirkung ergaben sich aus der Wirksamkeit von CB2-Rezeptoragonisten und -antagonisten im EAE-Modell (64). CB1-Knockout-Mäuse erholen sich nach Induktion einer EAE nur verzögert und erleiden eine stärkere neuronale Schädigung (65)
Bei der Theiler´s murine encephalomyelitis virus (TMEV)-Erkrankung, einer vom Immunsystem des ZNS getragenen demyelinisierenden Erkrankung, verbesserten die Cannabinoid-Rezeptoragonisten WIN55121-2, ACEA und JWH-015 die motorische Funktion, reduzierten die Zahl aktivierter Mikroglia und von CD4+-T-Zellen, dämpften die MHC-II-Expression und verstärkten die Remyelinisierung im Rückenmark (66). Unter WIN55121-2 besserte sich die klinische Symptomatik, die Expression proinflammatorischer Zytokine ging zurück (67).
Klinisch-kontrollierte Studien zur Wirksamkeit exogener Cannabinoide (THC, Cannabis, Nabilon) bei der Multiplen Sklerose erbrachten in der Mehrzahl günstige Effekte, vor allem auf das motorische System und die Schmerzverarbeitung. Direkte Effekte auf die zu Grunde liegenden immunologischen Prozesse konnten nicht nachgewiesen werden. Auch bei anderen pathologischen Schmerzzuständen gibt es eine günstige Wirkung auf die Schmerzverarbeitung.
In Schmerzmodellen beim Tier reduzieren Cannabinoide die Allodynie und Hyperalgesie, darunter bei neuropathischem und inflammatorischem Schmerz sowie Tumorschmerz. Diese analgetischen Effekte sind vermutlich sowohl zentral als auch peripher bedingt; man postuliert eine Hemmung der Freisetzung von Transmittern primär-afferenter Neurone (68) oder eine Aktivierung deszendierender modulatorischer Projektionen (69).
Einen interessanten neuen Aspekt eröffneten aktuelle Befunde, wonach die purinerge Stimulation der spinalen Mikroglia entscheidend an der Entstehung des pathologischen Schmerzes beteiligt ist (70). So ist bei der pathologischen Schmerzverarbeitung funktionell keine klare Trennung von Nerven- und Immunsystem mehr möglich.
► Insgesamt sind die tierexperimentellen Studien zur therapeutischen Wirksamkeit eines Eingriffs in das Immunsystem über das Endocannabinoid-System sehr viel versprechend. Leider liegen bisher, mit Ausnahme eines Mausmodells zur Colitis ulcerosa (71), praktisch keine Erkenntnisse zur Wirksamkeit bei entzündlichen Erkrankungen außerhalb des ZNS vor. Bei der Interpretation der Daten muss man berücksichtigen, dass Cannabinoide auf das Immunsystem bei Nagern vermutlich weitaus stärker einwirken als beim Menschen, da Nagetiere eine viel stärkere CB2-Expression aufweisen (72). Klinisch-kontrollierte Studien zur Effektivität von exogenen Cannabinoiden bei immunologischen Erkrankungen am Menschen fehlen bisher.
Tumortherapie mit Cannabinoiden?
Die Antitumor-Wirkung von Endocannabinoiden wird auf eine Hemmung der Zellteilung und/oder die Auslösung des apoptotischen Zelltods zurückgeführt, wobei anscheinend gesunde und transformierte Zellen unterschiedlich beeinflusst werden (73).
Das Rauchen von Marihuana führte zu einem deutlichen Rückgang von Sarkomgeschwulsten (74). Neben den Effekten am CB1-Rezeptor stoppt die selektive Aktivierung des CB2-Rezeptors die Proliferation in Tumorzellen (44). Es gibt jedoch auch klinische Hinweise auf eine tumorfördernde Wirkung endogener Cannabinoide. So begünstigte beispielsweise die Behandlung mit THC das Wachstum von Lungentumoren, was als Folge der Schädigung des Bronchialepithels durch Marihuanarauch (75) oder über eine CB2-Rezeptor-vermittelte Immunsuppression erklärt werden kann.
Interessanterweise gelang es in vivo, eine Regression maligner Gliome zu erzielen (44, 52). Ratten mit malignen Gliomen, denen THC appliziert wurde, hatten eine deutlich bessere Prognose als unbehandelte Tiere; bei etwa 30 Prozent der Tiere waren die Tumoren sogar vollständig eradiziert. Ebenso gelang es mit einer wiederholten intratumoralen Gabe niedriger Dosen eines Anandamid-Analogons, das Tumorwachstum bei Mäusen, denen zuvor Ras-transformierte Tumorzellen appliziert worden waren, signifikant zu reduzieren (76). Der Antitumor-Effekt konnte mit selektiven CB1-Rezeptorantagonisten vollständig aufgehoben werden.
► Der Nachweis einer Beteiligung des Cannabinoid-Rezeptorsystems an der Induktion der Apoptose in Lymphomen und Gliomen könnte die Basis für neue Tumortherapien darstellen. Klinische Studien zu Cannabinoiden in der Tumortherapie liegen bislang jedoch nicht vor.
Literatur
Die Autoren
Oliver Ullrich studierte Medizin und Biochemie an der Freien Universität Berlin und wurde zum Dr. med. und Dr. rer. nat. promoviert. Von 1998 bis 2003 war er als Postdoc und dann als Arbeitsgruppenleiter am Institut für Zell- und Neurobiologie, Zentrum für Anatomie der Charité, tätig. 2002 habilitierte er sich für Anatomie und Zellbiologie und ist seit 2003 Professor für Molekulare Immunologie, Schwerpunkt Neuroimmunologie, und stellvertretender Direktor des Instituts für Immunologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. 2002 erhielt Professor Ullrich den Wolfgang-Bargmann-Preis der Anatomischen Gesellschaft und 2000, 2001 und 2003 den Karl-Asmund-Rudolphi-Preis der Charité als bester Lehrender. 2004 wurde er mit dem Landesforschungspreis Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Seine Forschungsschwerpunkte sind die molekularen Mechanismen inflammatorischer Zell- und Gewebeschädigungen im ZNS und die Untersuchung der antiinflammatorischen Wirkung von Substanzen aus Pflanzen. Gemeinsam mit Regine Schneider-Stock untersucht er die Funktion und Signaltransduktion von Endocannabinoiden in Zellen des Immunsystems bei inflammatorischen Schadensprozessen.
Regine Schneider-Stock studierte Biologie an der Martin-Luther-Universität, Halle. Sie wurde 1991 am Institut für Neurobiologie und Hirnforschung in Magdeburg promoviert und war danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Humangenetik, Magdeburg, und dann als wissenschaftliche Assistentin und Laborleiterin am Institut für Pathologie in Magdeburg tätig. 2001 habilitierte sie sich und erhielt die Venia legendi für das Fach Molekulare Pathologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seitdem ist sie Hochschuldozentin und Leiterin der Abteilung Molekulare Genetik am Institut für Pathologie an der Universität Magdeburg und Leiterin des Kompetenzzentrums Lasermikrodissektion. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Identifikation und Charakterisierung entzündungsassoziierter epigenetischer Veränderungen und ihre Bedeutung für die Karzinogenese von Tumoren des Gastrointestinaltrakts sowie die molekulare Untersuchung tumorsuppressiver und antiinflammatorischer Substanzen aus Pflanzen.
Anschriften der Verfasser:
Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Oliver Ullrich
Institut für Immunologie
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
oliver.ullrich@medizin.uni-magdeburg.de
Dr. rer. nat. Regine Schneider-Stock
'Institut für Pathologie
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
regine.schneider-stock@medizin.uni-magdeburg.de
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