Pharmazie

"Wenn es die Dosis ist, die ein Gift ausmacht, sollte nach Gabe der
gleichen Dosis auch die gleiche Giftigkeit erreicht werden - das ist aber
mitnichten so." Privatdozent Dr. Heyo K. Kroemer vom
Dr.-Margarethe-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie in
Stuttgart machte in Davos deutlich, daß die Plasmakonzentration eines
Arzneistoffs nicht nur von der verabreichten Dosis, sondern auch von der
Bioverfügbarkeit und der Elimination abhängt. Die Wirkstoffkonzentration
und damit die Wirksamkeit und die Toxizität einer Substanz ist proportional
dem Produkt aus Dosis und Bioverfügbarkeit sowie umgekehrt proportional
der Clearance.
Vor allem bei Substanzen mit engem therapeutischen Bereich, bei denen schon
geringe individuelle Schwankungen bei einem der genannten Parameter zu Unter-
oder Überdosierungen führen können, ist daher laut Kroemer ein Therapeutisches
Drug Monitoring (TDM) oft sinnvoll. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? TDM
steht für die Messung von Arzneimittelkonzentrationen in Körperflüssigkeiten mit
dem Ziel, die gewonnenen Informationen therapeutisch umzusetzen, das heißt
adäquate Therapieschemata beizubehalten, beziehungsweise suboptimale
anzupassen.
Kroemer sieht in einem korrekt durchgeführtem TDM eine wertvolle Hilfe, um die
individuelle Behandlung eines Patienten sicherer, effektiver und kostengünstiger zu
gestalten. Der therapeutische wie auch ökonomische Nutzen sei mittlerweile in
mehreren Untersuchungen gezeigt worden. So konnten in einer prospektiven
Untersuchung mit 145 Patienten unter Aminoglykosidtherapie (75 mit TDM, 70
ohne TDM) Hospitalisierungsdauer, Fiebertage und Therapiekosten in der
TDM-Gruppe deutlich gesenkt werden.
Als notwendige Voraussetzungen für ein sorgfältiges Monitoring nannte Kromer
zuverlässige, schnelle und kostengünstige Meßverfahren zur Bestimmung der
Wirkstoffkonzentration; häufig eingesetzt würden fluoreszens- und enzymverstärkte
Immunoassays. Darüber hinaus müssen sich die für die Analyse verantwortlichen
Laborangestellten oder Apotheker mit den pharmakokinetischen und - dynamischen
Grundlagen auskennen sowie detaillierte Informationen zum Patienten, zur
Medikation (Dosierung, Applikationsweg) und zur Probe (Zeitpunkt, Methode)
haben.
Indikationen für TDM zahlreich
Sinnvoll ist ein TDM bei der langfristigen Anwendung bestimmter Arzneimittel.
Beispiel: Carbamzepin, das durch Autoinduktion seiner eigenen Verstoffwechselung
im Laufe der Therapie bei gleichbleibender Dosierung zu einem Absinken seiner
Plasmakonzentrationen und damit zu subtherapeutischen Plasmaspiegeln führt. TDM
ermöglicht eine Dosisanpassung.
Als weitere Indikation für TDM nannte Kroemer die hohe Toxizität bei gleichzeitig
schlecht definiertem therapeutischen Endpunkt einer Substanz. Beispiel: der
kompetitive Dihydrofolat-Reduktase-Hemmer Methotrexat, der in der
Tumortherapie eingesetzt wird. Der Grad zwischen therpeutisch notwendiger
möglichst hoher Dosierung und toxischen Nebeneffekten sei hier sehr schmal, so
Kroemer. TDM könne die Entscheidungsbasis bilden, wann aufgrund exzessiver
Toxizität eine Rescue-Therapie mit reduzierter Folsäure eingeleitet werden muß.
Auch die Dosisanpassung bei vorhandener Funktionseinschränkung eliminierender
Organe (Niere, Leber) ist nach Aussage des Referenten eine wichtige Indikation für
TDM, ebenso individuell unterschiedliche Clearance-Raten durch Defekte in
bestimmten Erbanlagen. So ist bei rund 10 Prozent der Bevölkerung das Gen für ein
spezielles Enzym des Cytochromsystems defekt, wodurch bei den Betroffenen
bestimmte Antiarrhythmika, Betablocker, Antidepressiva und Opioide nicht
verstoffwechselt werden können.
Grenzen des TDM sind laut Kroemer unter anderem in der Tumortherapie zu
beobachten. So komme es beispielsweise unter Cyclophosphamid zur individuell
sehr unterschiedlichen Bioaktivierung, so daß der Wirkeffekt nicht meßbar,
geschweige denn kalkulierbar sei. Außerdem sei nach wie vor unbekannt, so
Kroemer, wieviel von der peripher gemessenen Plasmakonzentration eines
Zytostatikums tatsächlich am Wirkort, also im soliden Tumor, ankomme.
Was hat der Apotheker überhaupt damit zu tun?
Nach Kroemers Überzeugung ist die Einbindung öffentlicher Apotheken in TDM
durchaus diskutabel, zumal mit der Entwicklung der molekularen Medizin in Zukunft
neue Strategien des TDM erforderlich würden. Analytische, pharmakokinetische
und -dynamische Voraussetzungen sieht Kroemer in der Apotheke durchaus
gegeben, ebenso die Möglichkeit zur Probengewinnung, Analysendurchführung oder
Teilnahme an Ringversuchen. Offen sei jedoch die Frage der Wirtschaftlichkeit für
die einzelne Apotheke.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Davos



© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de