Pharmazeutische Zeitung online

Gut betreuen heißt gut beraten

07.11.2005  00:00 Uhr
Wochenendworkshop

Gut betreuen heißt gut beraten

von Christina Hohmann und Elke Wolf, Frankfurt am Main

Zum vierten Mal in Folge fast schon Tradition: der Wochenendworkshop »Patient und Pharmazeutische Betreuung«. Tagungsort war diesmal das Biozentrum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt-Niederursel, wo auf rund 300 Pharmazeuten spannende Vorträge und Seminare warteten.

»Unser wichtigster und entscheidender Partner ist und bleibt der Patient. Ist er mit uns zufrieden, war also unsere Pharmazeutische Betreuung überzeugend, fühlt sich der Patient bei uns gut aufgehoben. Das bedeutet einen wichtigen Mosaikstein in Richtung Zukunftssicherung«, so eröffnete Dr. Dieter Steinbach, Vizepräsident der LAK Hessen, die Veranstaltung. Eine gute Pharmazeutische Betreuung müsse flächendeckend umgesetzt werden, damit die öffentliche Apotheke auch in Zukunft Bestand hat. Denn die Rahmenbedingungen hätten sich in den letzten zwei Jahren mit Verträgen zur Integrierten Versorgung wie dem Hausapothekenvertrag tiefgreifend geändert.

Um die Kolleginnen und Kollegen, egal ob Einsteiger oder Profi, bei der Umsetzung der Pharmazeutischen Betreuung zu unterstützen, biete die Kammer diese Veranstaltung an. Sie sei bewusst nicht als Kongress konzipiert, sondern beinhalte viele Workshops mit praxisbezogenen Themen, um Studenten, Praktikanten und Apothekern die Gelegenheit zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch zu geben. Der Tagungsort solle den Arbeitscharakter der Veranstaltung unterstreichen. Neben der Landesapothekerkammer Hessen waren das Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) und die Pharmazeutische Zeitung als Veranstalter mit im Boot.

Apotheke zukunftsfähig machen

Keinen Fachvortrag, sondern einen Anstoß zur innerberuflichen Debatte lieferte Friedemann Schmidt, Vizepräsident der ABDA ­ Bundesverband Deutscher Apothekerverbände. Er ging der Frage nach »Was macht die Apotheke überlebensfähig?«

Die Gesellschaft sei im Umbruch, sie wandle sich immer mehr zu einer an den Interessen der Verbraucher orientierten Gesellschaft. »Das bedeutet für uns als Apotheker, dass das, was wir bisher als Inhalt unserer beruflichen Politik verstanden haben, nämlich tradiertes Verhalten und tradierte Institutionen, immer weniger Bindungskraft entfaltet«, erklärte Schmidt, Inhaber einer öffentlichen Apotheke in Leipzig. Politiker hinterfragen immer stärker, worin der konkrete Nutzen der Apotheke für den Patienten besteht. Wenn es nicht gelänge, die Vorteile der Apotheke deutlicher darzustellen, prophezeite Schmidt »extreme« Probleme. »Wir müssen aus der Ecke traditionsbelasteter Argumentationen hin zu neuen kommen, die sich am Nutzen der Verbraucher orientieren. Auch Patienten sind Verbraucher und wollen Wahlfreiheiten und Optionen verwirklichen.«

»Entscheidend für die Zukunft wird sein, ob es gelingt, das professionelle Selbstbild, das wir haben, mit der Außenwahrnehmung bei den Verbrauchern deckungsgleich zu machen«, so der ABDA-Vize. Hier liege aber noch einiges im Argen. So müsse der Mangel an kommunikativen Fähigkeiten ausgeglichen, das Personal mit besseren Schwerpunkten fortgebildet und die Approbationsordnung langfristig geändert werden. Umfragen ergeben zwar regelmäßig, dass sich der Kunde gut bedient fühlt. Er könne allerdings die fachliche Qualität der Arbeit kaum bewerten. Und die Dinge, die dem Apotheker wichtig seien wie Unabhängigkeit, Qualifizierung oder Eigentumsverhältnisse der Apotheke tangieren den Verbraucher nicht.

Dennoch stünde die Apothekerschaft heute besser da als noch vor zwei Jahren. »Es ist uns gelungen, aus der Schmuddelecke rauszukommen«, sagte Schmidt. Im Wesentlichen habe dazu das Hausapothekenmodell beigetragen. »Eine geniale wie einfache Wortschöpfung, die nichts weiter macht als unsere alten Botschaften wie Nähe, Sicherheit, Vertrauen und Unabhängigkeit zusammenzufassen und mit einer gängigen Bezeichnung zu versehen.« Auch die Einführung der preisunabhängigen Honorierung durch das Kombimodell bezeichnete der Referent als wegweisend.

Allerdings füge die derzeitige Debatte über Naturalrabatte dem Ansehen des Apothekers Schaden zu. »Wir sind in der Pflicht, darauf eine adäquate Antwort zu geben. Diese wird vielen Mitgliedern nicht gefallen.« Diese Probleme sieht Schmidt aus der Welt geschafft, wenn dem Apotheker generelles Recht auf Aut idem zugesprochen würde. Nach Schmidts Ausführungen gebe es mittlerweile auch innerhalb der Ärztekreise starke Befürworter einer solchen Regelung, wenn die Apothekerschaft bereit ist, auch die damit verbundene finanzielle Verantwortung zu übernehmen. »Wenn das gelingt, könnten wir damit den Apothekerberuf auf lange Zeit stabilisieren. Allerdings ist generelles Aut idem nur möglich, wenn die Hausapotheke flächendeckend gelebt wird.« Der Einfluss auf die Entscheidungskompetenz sei wesentlich für die Sicherung des akademischen Status und damit der ökonomischen Basis.

Abschließend malte der ABDA-Vizepräsident aus, wie die pharmazeutische Landschaft in etwa zehn bis zwanzig Jahren aussehen könnte. Seine Stichpunkte: Patienten sind in etwa 25 Krankenkassen versichert und werden von 15.000 Haus- und 2000 hoch spezialisierten Fachapotheken versorgt. Diese Apotheken sind zu 60 Prozent Einzelunternehmen und zu 30 Prozent überörtliche Sozietäten von Heilberuflern. Der Rest der Apotheken liegt bei medizinischen Versorgungszentren, an denen auch Apotheker Anteilseigentümer sein können. Die meisten Apotheken sieht Schmidt an Labor- und Herstellungsgemeinschaften beteiligt. Eventuell unterhalten sie gemeinsam Versandabteilungen. Das Gros der Patienten wird von PTA und den seit 2015 etablierten Bachelors der Pharmazie betreut. Ein Drittel der Patienten wird persönlich von einem der mindestens zwei pro Apotheke arbeitenden Apotheker versorgt. Ab 2010 sind Folgeverschreibungen in der Apotheke möglich. Etwa ab 2010 werden gentechnische Untersuchungen auf individuelle Arzneimittelrisiken angeboten.

Blick auf antidepressive Therapie

»Jeder von uns kann zu jedem Zeitpunkt depressiv werden«, sagte Professor Dr. Walter E. Müller vom Pharmakologischen Institut des Biozentrums der Universität Frankfurt in dem wissenschaftlichen Plenarvortrag. Die Entstehung der Depression sei ein multifaktorieller Prozess, bei dessen genauem Ablauf die Forscher noch im Dunkeln stochern. Akute Lebensumstände wie Tod des Partners sowie die Persönlichkeitsstruktur sind nach den Ausführungen Müllers eher als Auslöser zu sehen, die eigentlichen Ursachen seien auf hirnorganischer und biologischer Ebene zu suchen. »So ist ein Typ-2-Diabetiker auf Grund seines Lebenswandels mehr an seinem Diabetes ›schuld‹ als ein Depressiver an seiner Erkrankung«, erklärte der Pharmakologe.

Die Depression ist sowohl in Deutschland als auch in anderen Industrieländern extrem untertherapiert, monierte Müller. Gerade mal ein Viertel der Patienten würden adäquat behandelt. »Allerdings«, gab er zu bedenken, »ist jede Therapie immer noch besser als gar keine«. Alte Substanzen wie Trizyklika würden zu häufig verordnet. »Das ist fahrlässig.« Um ihre relativ hohe Nebenwirkungsrate niedrig zu halten, dosiere man sie oft unter. Die ablehnende Haltung von Patienten gegenüber Antidepressiva sieht Müller in irrationalen Ängsten wie der Gefahr einer Abhängigkeit oder der Veränderung der Psyche begründet. Auch relativ viele Nebenwirkungen halten von einer konsequenten Therapie ab. Hier appellierte Müller an die Apotheker, den Patienten die Ängste zu nehmen und sie von der Notwendigkeit der medikamentösen Therapie zu überzeugen.

Grundsätzlich wirken Antidepressiva immer gegen das depressive Gesamtsyndrom. »Leidet ein Depressiver unter Rücken- oder Nackenschmerzen, werden auch diese durch die Therapie gebessert. Auch Schlafprobleme werden sich nach einigen Wochen der Therapie geben«, so Müller. Der Zustand des Patienten verbessere sich immer langsam über etwa drei Wochen.

Doch nicht alle Patienten sprechen auf die Ersttherapie an; bei etwa einem Drittel schlägt der erste Therapieversuch fehl. Dann ist eine Kombination mit einem anderen Arzneistoff oder eine Substanz einer anderen Wirkstoffklasse angezeigt. »Der beste Prädiktor, ob die antidepressive Substanz anschlägt, ist das partielle Ansprechen in den ersten zehn Behandlungstagen.« Gängige Praxis sei es, die Medikation zu wechseln, wenn sich nach drei bis vier Wochen der Zustand nicht deutlich gebessert hat. Prinzipiell beginnt man mit einer niedrigen Dosierung und titriert dann möglichst rasch zu einer mittleren Dosis auf. Nach Müllers Erfahrung wirken alle Antidepressiva eher gleich stark und gleich rasch.

Die Therapie umfasst mehrere Abschnitte. In der ersten Phase wird die akute Episode behandelt, bis die Symptome nach etwa acht Wochen abgeklungen sind. Dann gilt es, das Medikament nicht ad hoc abzusetzen, sondern etwa sechs Monate lang weiter zu therapieren. Sonst besteht die Gefahr, dass die depressive Episode erneut aufflammt. Müller: »Letztendlich ist das so wie bei Antibiotika. Nur wer über die Beschwerden hinaus seine Arznei nimmt, kann mit einer Heilung seiner Erkrankung rechnen.«

Den Patienten zur weiteren Einnahme seines Antidepressivums zu motivieren, sei wichtige Aufgabe des Apothekers, sagte Müller. Dies sei nicht einfach, denn ein Kranker, der durch sein Antidepressivum gerade eine Besserung seiner Symptome erfahren hat, spürt eher die Nebenwirkungen seiner Arznei als in einer depressiven Episode. So führen etwa selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) relativ häufig zu Libidoverlust. Ein Faktor, der in depressiven Phasen keine Rolle spielt, wird dann oft in Phasen der Besserung relevant. Nach Müllers Worten können prinzipiell alle Depressionen mit allen Antidepressiva behandelt werden. Dennoch sei es sinnvoll, Begleitsymptome zu berücksichtigen und antidepressive Substanzen nach zusätzlichen Wirkeigenschaften einzusetzen. So sei es angezeigt, bei einer Depression mit ausgeprägter Angstsymptomatik einen SSRI wie Citalopram oder Fluoxetin zu verordnen. Begleiten Schmerzen die Depression, empfehlen sich Arzneistoffe mit zusätzlicher Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung wie Venlafaxin oder Duloxetin. Sorgt die Depression für Schlafprobleme, dann sollte das Antidepressivum über eine sedierende Komponente verfügen. Infrage kommen Amitriptylin, Clomipramin oder Imipramin. Citalopram, Fluoxetin oder Sertralin wirken dagegen nur schwach sedierend.

 

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