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Biosynthesen zum Tüfteln

16.08.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

PHYTOLOGIE

Biosynthesen zum Tüfteln

von Stephanie Czajka, Amsterdam

"Kombinatorische Biosynthese" sollte man nicht mit kombinatorischer Chemie verwechseln. Das neue Schlagwort fiel auf dem Naturstoff-Kongress in Amsterdam, den die Europäische Phytochemische Gesellschaft zusammen mit der französischen und der amerikanischen pharmakognostischen Gesellschaft sowie der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) veranstaltete.

Bei der kombinatorischen Biosynthese werden Gene eines Biosyntheseweges durch die eines anderen ersetzt. Der Organismus produziert daraufhin neue Verbindungen. Das Verfahren steckt noch in den Kinderschuhen, von einer zielgerichteten praktischen Anwendung ist es weit entfernt. Professor Dr. A. Bechtold, Universität Tübingen, geht es zunächst darum, die Methoden zu etablieren. Langfristig möchte er Zuckerketten bestimmter Zytostatika gentechnisch nach Wunsch verändern können. Denn nicht nur die Grundstruktur des Moleküls, sondern auch Länge und Zusammensetzung der angehängten Ketten sind für die Wirkung wichtig.

Landomycin A und Urdamycin A sind Zytostatika aus Streptomyces-Arten. Bechtold baute einzelne oder mehrere Gene für Glycosyltransferasen der Landomycin-Biosynthese in den Gencluster für Urdamycin A ein. Dort hatte er vorher entsprechende Gene entfernt. Die Transferasen erkannten auch die neuen Substrate. Der Pilz produzierte daraufhin eine neue Verbindung. Ähnliche Versuche gelangen Pedro Rocha, John Innes Centre, Norwich, mit Pflanzen. Er versetzte cDNA für Enzyme der Tropan-Biosynthese aus Bilsenkraut in Tabak.

Blaue Nelken und blaue Rosen

Farbenfroher sind solche Versuche, wenn sie Zierpflanzenforschern starten. Auch hier wird ein Gen, das für einen bestimmten Biosyntheseschritt codiert, in eine andere Pflanze übertragen. In der Regel entfernt man hierbei allerdings nicht die Originalgene. "Die blaue Rose wird es bald geben", sagte Professor Dr. Joseph Mol von der Freien Universität Amsterdam. Erst kürzlich hätten die Gentechniker blaue Nelken gezüchtet.

Die Gene, die für die Bildung des blauen Farbstoffs Delphinidin codieren, versetzten die Forscher aus Petunien in Nelken. Die ganze Mühe hilft allerdings nichts, wenn der pH-Wert in der Zielpflanze nicht passt. Es sei daher wichtig, auch die pH-regulierenden Gene besser kennenzulernen, betonte Mol. Noch gibt es in Holland, dem Land der großen Blumensträuße, keine genetisch veränderten Schnittblumen zu kaufen. Es werde aber nicht mehr lange dauern, vermutete Mol.

Von Ameisen und Raupen

Interessante Beiträge zur Sekundärstoffforschung kommen aus den Studien zur pflanzlichen Infektabwehr. Wird eine Pflanze von einem Pathogen befallen, produziert sie Flavonoide, Alkaloide oder andere Sekundärstoffe, sowie spezifische Proteine um den Eindringling zu bekämpfen. Über eine Signalkaskade werden die entsprechenden Gene aktiviert. Salicylsäure und Stickoxid sind Bestandteile dieser Kaskaden. Manche der beteiligten Proteine ähneln denen der menschlichen Infektabwehr.

Manchmal reicht es nicht aus, nur die Pflanze und ihr Pathogen zu studieren. Auf der tropischen Pflanze Piper cenocladum, leben Ameisenkolonien. Sie halten die Pflanze frei von allerlei Ungeziefer, dafür bietet ihnen die Pflanze Nahrung und Schutz. Wie C. Dodson, Mesa State College, USA, beobachtete, sind Pflanzen ohne Ameisen deutlich schlechter dran. Sie produzieren weniger Blattmaterial und tragen keine Früchte. Ihr Gehalt an fungiziden Amiden wie Piplartin ist stattdessen um das drei- bis fünffache erhöht.

Viele Pflanzen produzieren ätherische Öle, sobald sie von Insekten angefressen werden. Die Öle vertreiben aber nicht etwa den Angreifer, sondern sind ein SOS-Ruf. Herbei eilen andere Tiere, die sich über die schädlichen Insekten hermachen.

Pyrrolizidin-Alkaloide (PAs) sind in Arzneipflanzen eher unerwünscht und auch für Insekten giftig. Einige Tiere haben sich jedoch angepasst, manche benutzen pflanzliche PAs sogar für die eigene Abwehr. Professor Dr. Thomas Hartmann vom Institut für Pharmazeutische Biologie in Braunschweig studierte nicht nur die Biosynthese von Pyrrolizidin-Alkaloiden in Pflanzen, er verfolgte auch das Schicksal der Alkaloide in Insekten. Es gibt zum Beispiel männliche Raupen, die aufgenomene PAs bei der Befruchtung auf die weiblichen Eier übertragen. Die Eier werden so vor Ameisen oder Käfern geschützt. In der Regel wird die giftige freie Base von den Insekten am Stickstoff oxidiert. Das Enzym für diese Reaktion ist spezifisch für toxische PAs. Auch einige Tiere wie zum Beispiel Meerschweinchen könnten PAs oxidieren und seien so vor der giftigen Wirkung sicher, meinte Hartmann.

Berberin und die Pille für den Mann

Die Resistenz mancher Bakterien gegen Antibiotika lässt sich durch Zugabe bestimmter Naturstoffe überwinden. Die US-amerikanischen Professoren Dr. Frank Stermitz, Colorado State University, und Dr. Kim Lewis, Tufts University, hemmten das Wachstum Berberin-resistenter Bakterien durch Zugabe von 5''-Methoxyhydnocarpin oder Pheophorbid A. Die beiden Verbindungen verhindern, dass eine Membranpumpe des Bakteriums Antibiotika wieder aus den Zellen herauspumpt. Da teilweise Inhibitoren und Antibiotika in derselben Pflanze vorkämen, erkläre dies, weshalb ein Extrakt manchmal besser wirke als ein Reinstoff, meinte Stermitz. Er ergänzte, dass sich auch die Resistenz gegen Norfloxacin nach Zugabe der Naturstoffe verringerte.

In Thailand wird an der Pille für den Mann gearbeitet. Tripterygium wilfordii, eine Kletterpflanze aus der Familie der Cerastraceae, produziert Triptolide, die Spermien immobilisieren, ohne die Hormonfunktionen zu beeinflussen. Wie Professor Dr. Vichai Reutrakul aus Bangkok berichtete, seien 20 Männer nach zwei Monaten unfruchtbar gewesen. Wurde die neue Pille abgesetzt, dauerte es einen Monat, bis sie wieder zeugungsfähig waren. Reutrakul über dieses Projekt: "Die Pille könnte schneller kommen als sie glauben."

Egon-Stahl-Preis in Gold und Bronze

Zum erstenmal verlieh die Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) in Amsterdam den von der Firma Bionorica neu gestifteten Egon-Stahl-Preis in Gold, um das Lebenswerk eines Wissenschaftlers zu ehren. Bisher wurden die Preise nur in Silber für Habilitationen und in Bronze für Doktorarbeiten vergeben. Den goldenen Preis erhielt Professor Dr. Robert Hegnauer.

GA-Präsident Professor Dr. Johannes Scheffer lobte insbesondere Hegnauers "unschätzbaren Beiträge zur Chemotaxonomie durch die Publikation des mehrbändigen Standardwerkes 'Die Chemotaxonomie der Pflanzen'". Der erste Band erschien 1962, mit dem letzten wird das Werk 9000 Druckseiten umfassen. Hegnauer, gebürtiger Schweizer, unterrichtete bis zu seiner Pensionierung an der Universität in Leiden/ Niederlande.

Den Egon-Stahl-Preis in Bronze erhielt Dr. Marion Resch für ihre Arbeit "Zur Inhaltsstoffführung und antiphlogistischen Wirkung der Rhizome von Atractylodes lancea und verwandter Arten." In der distelähnlichen chinesischen Heilpflanze ("Changzhu") entdeckte sie drei neue wirksame Verbindungen Atractylochinon, Atractylohydrochinon, und Atractylochromen. Atractylochinon hemmt in vitro selektiv 5-Lipoxygenase, die beiden anderen Verbindungen hemmen zusätzlich Cyclooxygenase-1. Strukturell verwandte Verbindungen wie Cannabichromen, Vitamin E oder Vitamin K waren deutlich weniger wirksam.

Masterprogramm in Leiden

Die Universität Leiden/ Niederlande bietet ein Masterprogramm mit den Schwerpunkten "Natural Products and Biodiversity", "Biodiversity and Systematics", "Pharmacognosy" oder "Plant Cell Biotechnology" an. Das Programm eignet sich für Studenten der Naturwissenschaften mit abgeschlossenem Grundstudium. Es dauert 18 Monate und kostet rund 30 000 Mark. Stipendien sind eventuell möglich. Das Programm setzt sich aus theoretischer und laborpraktischer Arbeit zusammen, Unterrichtssprache ist Englisch. Informationen gibt es bei: Secretary of the MSc programmes in Biodiversity and Natural Products, Division of Pharmacognosy LACDR, Leiden University PO Box 9502, NL-2300 RA Leiden.

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