Pharmazeutische Zeitung online

Frauen mit Androgenüberschuss

16.05.2005  00:00 Uhr
Polyzystisches Ovarialsyndrom

Frauen mit Androgenüberschuss

von Marion Hofmann-Aßmus, München

Etwa eine Million Frauen leidet in Deutschland am so genannten polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS), das heißt, ihr Körper produziert zu viel männliche Hormone. Dies ist nicht nur mit Zyklusstörungen oder vermehrter Behaarung verbunden, sondern zuweilen auch mit Spätfolgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.

Das Krankheitsbild der PCOS beschrieben Mediziner erstmals im Jahr 1935 in einer amerikanischen Fachzeitschrift. Sie hatten sieben Frauen mit Anovulation (fehlender Follikelsprung), Amenorrhoe (ausbleibende Menstruationsblutung), Hirsutismus (vermehrte Behaarung nach männlichem Verteilungsmuster) und multiplen Zysten an den Eierstöcken (viele funktionstüchtige Follikel) untersucht und das Gesamtbild als Syndrom bezeichnet.

Heute geht man von einer Prävalenz von etwa 5 bis 10 Prozent in der weiblichen Bevölkerung aus. Da PCOS familiär gehäuft auftritt, liegt höchstwahrscheinlich eine genetische Komponente zu Grunde, berichtete Professor Dr. Christian J. Thaler, München, auf einem Symposium für niedergelassene Gynäkologen in der Frauenklinik Großhadern. Dabei wenden sich die meisten Patientinnen auf Grund von kosmetischen Stigmata wie Haarausfall, Hirsutismus oder Akne an einen Arzt. Weitere Anlässe sind Zyklusstörungen, unerfüllter Kinderwunsch oder wiederholte Spontanaborte.

 

Typische Anzeichen beim PCOS Die hormonellen Störungen beim PCOS äußern sich in charakteristischen Symptomen und Beschwerden. Für eine Anamnese sind folgende Parameter bedeutend:

Kosmetische Aspekte:

  • Hirsutismus
  • Alopezie (Haarausfall)
  • Akne
  • Hauterkrankungen wie Acanthosis nigricans (vor allem bei Insulinresistenz; stachelartige schwärzliche Wucherung der Haut)

Zyklusunregelmäßigkeiten:

  • Amenorrhoe (keine Zyklusblutung für mehr als drei Monate)
  • Oligomenorrhoe (weniger als neun Zyklusblutungen pro Jahr)
  • unerfüllter Kinderwunsch

Metabolisches Syndrom:

  • Adipositas (betrifft etwa die Hälfte der Frauen)
  • Diabetes mellitus
  • Atherosklerose
  • Bluthochdruck
  • Fettstoffwechselstörung

 

Androgene nehmen überhand

Beim PCOS kommen mehrere endokrinologische Störungen zusammen, die sich gegenseitig in einem circulus vitiosus verstärken: Ausgelöst durch eine ovarielle und adrenale Hyperandrogenämie kommt es zu einem Androgenexzess. Im Fettgewebe erfolgt die Umwandlung der Androgene in Estrogene mit der Folge einer Hyperestrogenämie. Der erhöhte Estrogenspiegel bewirkt an der Hypophyse einen Anstieg des luteinisierenden Hormons (LH), das wiederum am Ovar beziehungsweise den Thekazellen (Follikelhüllzellen) eine Hyperandrogenämie auslöst. Die Hypophyse ist auch Entstehungsort des follikelstimulierenden Hormons (FSH), welches bei der gesunden Frau eine Umwandlung der Androgene in Estrogene bewirkt. Da sich das LH/FSH-Verhältnis bei PCOS erhöht, verstärkt sich die Hyperandrogenämie noch. Diese führt zu einer Verdickung der äußeren Eierstockwand, welche die Wirkung des FSH zusätzlich blockiert. Zyklusunregelmäßigkeiten und Anovulation sind die Folge.

Für den Eintritt in diesen Teufelskreis gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Primär intraovarielle Störungen, wie autosomal dominante Gendefekte, können eine erhöhte Androgenausschüttung bewirken.
  • Chronischer Stress kann über eine vermehrte Endorphin- und Zytokinausschüttung im Zentralnervensystem eine Dysregulation der LH-Sekretion auslösen.
  • Adipositas kann über mehrere Zwischenschritte ebenfalls zu vermehrter LH-Ausschüttung führen.

Insulin in einer Hauptrolle

Eine große Bedeutung beim PCOS kommt dem Insulin zu: Es wirkt als Stimulator der Thekazellen und löst zusammen mit dem LH einen Androgen-produzierenden Effekt aus. Zusätzlich hemmt Insulin die Bildung des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) in der Leber, das normalerweise einen Teil der aktiven männlichen Hormone abfängt.

»Die Hyperinsulinämie ist ein Promotor der Hyperandrogenämie«, betonte Thaler, da Insulin chronisch auf die Thekazellen einwirke. Dies sei nicht nur bei adipösen Frauen der Fall, sondern auch bei schlanken Frauen mit PCOS. Daher bestehe für diese Patientinnen ebenfalls ein Risiko, später an Krankheiten wie dem metabolischen Syndrom, Gestations- und Typ-2-Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen oder Hypertonie zu erkranken.

Ein deutlicher Hinweis darauf ist laut Thaler die Tatsache, dass auch schlanke Frauen mit PCOS auf eine Glucosebelastung mit deutlich überschießender Insulinsekretion reagieren. Dabei seien die Glucosewerte in der Regel (noch) im Normalbereich. Bei adipösen Frauen mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30 kg/m2 sei dagegen auch die Glucosetoleranz gestört.

Kontrovers diskutiert die Fachwelt ein möglicherweise erhöhtes Karzinomrisiko bei Frauen mit PCOS. Eine große prospektive Studie zum gesteigerten Risiko für das Mammakarzinom zeigte jedoch keine Korrelation zu dem Syndrom. Auch für ein erhöhtes Risiko des Endometriumkarzinoms existieren nur wenige Hinweise, zum Risiko eines Ovarialkarzinoms liegen widersprüchliche Studien vor. Dennoch steht diese Hypothese nach den Worten Thalers »nach wie vor im Raum«.

Metformin senkt Androgene

Die Kenntnis, dass Insulin eine wichtige Rolle im Krankheitsprozess spielt, führte zum Einsatz des Antidiabetikums Metformin beim PCOS. Wie internationale Studien zeigten, kann eine Therapie mit Metformin die Androgenkonzentration signifikant senken und den SHBG-Spiegel erhöhen. In der Folge normalisiert sich der Menstruationszyklus und die Fertilität steigt an. Als Antidiabetikum verbessert es auch die Parameter des metabolischen Syndroms, vor allem die Insulinresistenz. Bei vielen Patientinnen geht die Therapie zudem mit einer Gewichtsabnahme einher. Darüber hinaus senkt sie die Triglyceride und den systolischen Blutdruck und erhöht das HDL-Cholesterol. Positive Effekte zeigt die Behandlung auch bei Frauen mit starker Akne, bei Hirsutismus hingegen helfe sie kaum, sagte der Referent.

 

Klinische Diagnoseparameter Frauen mit PCOS weisen üblicherweise einen erhöhten LH-Wert bei normwertigem FSH-Spiegel auf. Allerdings definiert die Literatur eine LH-Hypersekretion nicht einheitlich: Einige Arbeitsgruppen sprechen von einem erhöhten Wert, wenn an den Zyklustagen drei bis sieben der LH-Wert mehr als 10 IE/ml beträgt; andere bestimmen am Zyklustag sieben den LH/FSH-Quotienten und gehen von einer LH-Hypersekretion aus, wenn dieser Quotient über 1,5 liegt.

Die Androgene wie Testosteron, Androstendion oder DHEAS (Dehydroepiandrosteronsulfat) sind mäßig erhöht. Das SHBG ist in der Regel niedrig, wodurch das freie Testosteron und der Androgen-Index häufig deutlich erhöht sind. Der Estradiol-Spiegel liegt typischerweise im oberen Normalbereich. Auf Grund der fehlenden Follikelreifung ist der Progesteronwert erniedrigt.

 

Bei Kinderwunsch sollten adipöse Patientinnen zuerst das Fettgewebe reduzieren, da allein dadurch häufig eine Spontanovulation erreicht werden könne. Kommt diese Möglichkeit nicht in Betracht, bezeichnete Dr. Helen Budiman, München, die Gabe von Clomifen als Mittel der ersten Wahl, da es kostengünstig und einfach anzuwenden sei. Allerdings müsse man dabei auf eine mögliche Poliovulation beziehungsweise Mehrlingsschwangerschaft achten, das heißt, ein enges Monitoring ist notwendig. Problematisch sei jedoch, dass ein großer Teil der Frauen eine Resistenz gegen den Estrogen-Rezeptorantagonisten aufweise. Dann rate man zur Low-dose-FSH-Stimulation. Eine höhere Ovulations- und Schwangerschaftsrate werde laut Budiman mit der Kombination Clomifen plus Metformin erzielt: Die Gynäkologin verwies auf eine Studie, in der 89 Prozent der Patientinnen unter der Kombination eine Spontanovulation erreichten, im Gegensatz zu 12 Prozent in der Placebogruppe.

Allerdings gelten orale Antidiabetika als potenziell teratogen; für Metformin besteht in der Schwangerschaft eine strenge Indikationsstellung. Erste Studien zur Gabe von Metformin bei schwangeren Frauen mit PCOS belegten jedoch keine erhöhte Rate an Missbildungen oder Entwicklungsverzögerungen der Feten. Dafür verringerte sich die Anzahl der Frauen mit Gestationsdiabetes; die Frühabortrate war ebenfalls signifikant niedriger.

Auf Grund dieser Daten wird die Fortführung der Metformingabe in der Schwangerschaft derzeit kontrovers diskutiert. Für Thaler stellt es jedenfalls kein Problem dar, Metformin bis zur Feststellung der Schwangerschaft zu geben und es anschließend abzusetzen. Er empfahl, die Behandlung mit einer »einschleichenden« Dosierung zu beginnen und anschließend bei Frauen unter 60 kg mit 500 mg Metformin zweimal täglich fortzufahren, bei Frauen über 60 kg mit zweimal täglich 850 mg Metformin. Da Metformin in Deutschland für die Indikation PCOS nicht zugelassen ist, kann die Verschreibung von Metformin nur im Rahmen von Studien oder off-label im Sinne eines Heilversuchs erfolgen. Die Kosten für die Therapie werden von den Krankenkassen daher nicht übernommen.

 

Rotterdam-Kriterien Die Europäische Gesellschaft für Human-Reproduktion und Embryologie (ESHRE) und die Amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) haben auf einem Kongress in Rotterdam im Jahr 2003 die so genannten Rotterdam-Kriterien für PCOS erneut definiert. Demnach müssen zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt sein:
  • klinische und/oder biochemische Hinweise auf Hyperandrogenämie
  • chronische Anovulation
  • mehr als zwölf randnahe Zysten, 6 bis 9 mm pro Ovar (14 bis 33 Prozent)
  • Zur Ausschlussdiagnostik gehören:
  • Androgenitales Syndrom
  • Morbus Cushing
  • Androgen-bildende Tumoren: ovariell, adrenal

 

Frauen mit PCOS leiden auf Grund der erhöhten Androgene häufig unter kosmetischen Problemen wie Hirsutismus oder Haarausfall. Während Androgene im Gesicht zu einer Verdickung des Vellushaares führen, erzeugen sie am Haupthaar einen gegenteiligen Effekt. Dr. Robert Ochsenkühn, München, empfahl zur Behandlung dieser Symptome Antiandrogene wie Cyproteronacetat.

Gestagene erhöhen das Sexualhormon-bindende Globulin und bewirken somit eine Senkung der frei verfügbaren Androgene. Ein zusätzlicher Effekt könne durch die Kombination mit Ethinylestradiol (EE) erreicht werden. Mit der Verschreibung eines oralen Kontrazeptivums wie Diane®35 kann daher laut Ochsenkühn ein bis zu 90-prozentiger Therapieerfolg erzielt werden. Auch Kontrazeptiva, die andere Gestagene enthalten, etwa Dienogest in Valette® oder Drospirenon in Yasmin® und Petibelle®, können verwendet werden. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva muss jedoch über mehrere Monate erfolgen, denn nur in der Wachstumsphase der Haare können die Antiandrogene wirken. Top

© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa