Wenn die Abwehr Amok läuft |
13.04.2007 11:22 Uhr |
Wenn die Abwehr Amok läuft
Von Annette Immel-Sehr
Im Frühjahr treibt es wieder viele Heuschnupfen-Geplagte in die Apotheke. Doch Allergien sind kein Saison-Thema. Lebensmittel- und Kontaktallergien zum Beispiel machen das ganze Jahr über zu schaffen. Neben der Empfehlung geeigneter Präparate freuen sich Allergiker auch über zusätzliche Tipps, um die Allergie in den Griff zu bekommen.
Die zunehmende Vielfalt an Lebensmitteln und chemischen Stoffen führt zu einem steigenden Risiko, mit Allergenen in Kontakt zu kommen. Dadurch steigt die Gefahr der Sensibilisierung. Nach Schätzungen sind 16 Prozent der Deutschen von Heuschnupfen betroffen. Lebensmittelallergien kommen etwa bei 2 bis 3 Prozent der Erwachsenen und 4 bis 6 Prozent der Kinder in Deutschland vor. Auf Kontaktallergene reagieren circa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung.
Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Immunsystems. Es reagiert plötzlich auf Fremdstoffe, die anders als Krankheitskeime eigentlich keine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Dabei wird ein Entzündungsprozess in Gang gesetzt, der sich in charakteristischen Symptomen zeigt, beim Heuschnupfen zum Beispiel durch Juckreiz in Nase und Gaumen, »laufende Nase« (wässriger Ausfluss), Niesreiz und behinderte Nasenatmung. Typische Beschwerden einer allergischen Konjunktivitis sind heftiges Jucken, stark vermehrte Tränenproduktion, Brennen, Rötung und häufig auch eine Lidschwellung. Kontakt-allergien auf der Haut sind vor allem durch Juckreiz, Rötung und Quaddeln gekennzeichnet. Die häufigsten Verursacher allergischer Beschwerden sind Pollen (zum Beispiel Birke, Erle, Hasel, Roggen, Gräser und Kräuter), Hausstaubmilben, Schimmelpilzsporen, Tierhaare, Fasern und Federn. Zudem können unter anderem bestimmte Kosmetika, Latex, Nickel und Chrom Allergien auslösen.
Nahrungsmittelallergene sind häufig gar nicht oder nur bedingt hitzestabil. Je nach Sensibilisierungsgrad der Betroffenen kann es sich daher lohnen, auszutesten, in welcher Zubereitung und Menge ein Lebensmittel trotz Allergie genießbar ist. So werden bei einer Apfelallergie zum Beispiel häufig Kompott und Apfelkuchen vertragen oder bei Kuhmilcheiweißallergie H-Milch-Produkte.
Lebensmittelallergien sind seltener als vielfach angenommen. Allerdings kommt es bei vielen Pollenallergikern zu sogenannten Pollen-assozierten Nahrungsmittelallergien. Bei Gras- oder Getreidepollenallergie ist häufig zusätzlich mit Getreide- sowie Gewürzallergien zu rechnen. Menschen mit Sensibilisierung gegen Baumpollen reagieren oft auch allergisch auf Früchte (vor allem Äpfel), Nüsse und Sellerie.
Genau nachfragen
Im Beratungsgespräch sollte man fragen, wann die Allergiebeschwerden typischerweise auftreten. Vor allem bei länger bestehenden oder wiederkehrenden Beschwerden ist die exakte Diagnose des Allergens durch den Arzt sinnvoll. Nur so können Betroffene gezielt versuchen, den Allergen-Kontakt zu vermeiden. Kunden, die zum ersten Mal von einer Allergie berichten oder bei denen neue Symptome auftreten, sollten zudem nach eingenommenen Arzneimitteln befragt werden. Nicht nur wegen des Interaktions-Checks, sondern auch, weil bestimmte Arzneistoffe, zum Beispiel Penicilline und Cephalosporine, sofort oder verzögert allergische Reaktionen auslösen können. Auch eine phototoxische Reaktion unter Einnahme eines Johanniskraut-Präparates kann für den Laien wie eine Allergie wirken.
Zeigt sich die allergische Reaktion am ganzen Körper oder deuten die Symptome auf Asthma hin (pfeifendes Atemgeräusch, Husten, Atemnot), sollte in jedem Fall an den Arzt verwiesen werden. Auch bei Verdacht auf eine Superinfektion oder Mykose ist eine Selbstmedikation abzulehnen. Selbes gilt, wenn die Reizungen am Auge mit Schmerzen einhergehen oder zu einer ausgeprägten Bindehautentzündung führen. Die Selbstmedikation mit systemisch wirkenden Antiallergika ist sowohl bei Schwangeren und Stillenden als auch bei Säuglingen und Kleinkindern kontraindiziert.
Mit Ausnahme der Hyposensibilisierung handelt es sich bei einer antiallergischen Therapie um eine symptomatische beziehungsweise präventive Therapie. Die wichtigste Präventivmaßnahme ist die Meidung des auslösenden Allergens.
Cromoglicinsäure (DNCG) und Nedocromil blockieren Chloridkanäle in aktivierten Mastzellen und mindern dadurch die Freisetzung von Histamin. Daher werden die beiden Arzneistoffe zur Prophylaxe und Therapie bei saisonaler allergischer Rhinitis oder Konjunktivitis eingesetzt. Tipp für die Beratung: Die Prophylaxe sollte möglichst eine Woche vor erwartetem Beginn der Symptomatik begonnen werden. Wichtig ist, Nasenspray und/oder Augentropfen konsequent viermal täglich anzuwenden.
Im Gegensatz zu den Mastzellstabilisatoren verdrängen Antihistaminika Histamin kompetitiv von dessen Rezeptoren und unterdrücken dadurch die histaminerge Wirkung. Als Antiallergika werden H1-Antihistaminika eingesetzt. Aufgrund ihres Wirkprofils unterscheidet man zwischen Antihistaminika der ersten und zweiten Generation. Während Antihistaminika der ersten Generation auch zentrale Histamin- und vielfach auch Muskarinrezeptoren blockieren, greifen die Antihistaminika der zweiten Generation nahezu selektiv an peripheren H1-Rezeptoren an.
Bedingt durch die zentrale Wirkung zeigen Antihistaminika der ersten Generation charakteristische Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit und Magen-Darm-Beschwerden. Vertreter dieser Gruppe sind zum Beispiel Bamipin, Clemastin sowie Dimetinden. Bei der Behandlung allergischer Hautreaktionen haben sie sich gut bewährt. Sofern eine einmal tägliche Gabe ausreicht, sollte die Anwendung wegen der sedierenden Nebenwirkung abends erfolgen.
Corticoide in der Selbstmedikation
Antihistaminika der zweiten Generation, zum Beispiel Cetirizin, Azelastin, Mizolastin und Loratadin, können die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und machen daher praktisch nicht müde. Sie gelten bei allergischer Rhinitis als Mittel der ersten Wahl für eine systemische Therapie. Für die Lokaltherapie werden vor allem Azelastin und Levocabastin eingesetzt.
Die orale Einnahme von H1-Antihistaminika kann die Wirkung zentral wirksamer Arzneistoffe verstärken, vor allem anticholinerg wirkender Substanzen wie trizyklische Antidepressiva und Neuroleptika sowie von Hypnotika. Zudem verstärkt Alkohol den sedierenden Effekt der Antihistaminika.
Loratadin, Mizolastin und Terfenadin werden über das Enzym CYP3A4 abgebaut. Daher sollten sie nur vorsichtig mit Mitteln kombiniert werden, die die CYP3A4-Aktivität beeinflussen. Eine hemmende Wirkung auf CYP3A4 besitzen zum Beispiel Ketoconazol, Erythromycin, Makrolid-Antibiotika, HIV-Proteaseinhibitoren und Propafenon.
Glucocorticoide werden ebenfalls zur Behandlung von Allergien eingesetzt. In der Selbstmedikation finden vor allem Hydrocortison-haltige Cremes bei Kontaktallergien sowie Beclometason als Nasenspray zur Kurzzeitbehandlung von Heuschnupfen Verwendung. Beclometason verbessert die Symptome etwa nach fünf bis sieben Tagen, das Wirkoptimum wird nach etwa zwei Wochen erreicht. Daher sollten Betroffene, soweit möglich, etwa zwei Wochen vor der erwarteten Allergenexposition mit der Therapie beginnen. Rezeptfrei stehen 0,5-prozentige Hydrocortisoncremes zur Verfügung.
α-Sympathomimetika wirken symptomlindernd, indem sie die Gefäße der Nasenschleimhaut und Bindehaut abschwellen lassen. Die Anwendung sollte auf zehn Tage beschränkt sein. Auch die Mineralstoffe Calcium und Zink werden häufig zur Prophylaxe und Therapie von Allergien eingesetzt. Allerdings führen Kritiker an, dass die Wirksamkeit nicht hinreichend belegt sei.
Selbes gilt für spezielle Nasengele beziehungsweise -cremes. Diese sollen Allergene auf physikalischem Wege aus der Atemluft abfangen und das Eindringen in die Nase verhindern. Dazu werden die Präparate mehrmals täglich dünn rund um die Nasenlöcher aufgetragen.
Cremen oder Schlucken
Abhängig von Lokalisation und Schwere der allergischen Reaktion sollte die Lokaltherapie und/oder eine systemische Einnahme begonnen werden. Empfindliche, zu Juckreiz neigende Haut ist meist trocken und ihre Reizschwelle ist erniedrigt. Eine Hautpflege, die weiteres Austrocknen verhindert, ist eine wichtige Maßnahme, um Juckreiz zu lindern und allergische Reaktionen zu vermeiden. Nach Insektenstichen oder bei einer Jeansknopf-Allergie kann die topische Therapie mit Hydrocortison oder Antihistaminika bereits ausreichen. Die Anwendung sollte mehrmals täglich erfolgen: dünn auftragen, leicht einreiben, allerdings nicht auf offene, nässende oder infizierte Hautareale.
Auch bei milder Heuschnupfen-Symptomatik wird man zunächst versuchen, das Krankheitsgeschehen mit einer lokalen Therapie zu beherrschen. Werden die Beschwerden aber stärker, sollte man dem Kunden empfehlen, ohne Zögern mit einer systemischen Therapie zu beginnen.
Pollenallergie
über aktuellen Pollenflug informieren, zum Beispiel über telefonischen Polleninformationsdienst oder Internet
unter Umständen Einbau eines Pollenfilters in die Lüftungsanlage des Autos
nach Aufenthalt im Freien Kleidung wechseln und Brillengläser reinigen, vor dem Schlafen Haare waschen
tagsüber getragene Kleidung nicht im Schlafzimmer ablegen
bei starken Beschwerden während der individuellen Pollenflugzeit bei geschlossenen Fenstern und Türen im Haus aufhalten
bei einer Pollenallergie auf Wiesengräser Spaziergänge zur Blütezeit vermeiden und den Rasen rund um das Haus möglichst kurz halten
Hausstaubmilbenallergie
besser feucht wischen als staubsaugen (wirbelt den Staub zu stark auf)
Staubfänger in der Wohnungseinrichtung wie Vorhänge, Teppiche, offene Bücherregale oder Plüschtiere möglichst einschränken
milbenundurchlässige Matratzenüberzüge verwenden und auf Federdecken verzichten
Kunstfaserbetten regelmäßig waschen, um Hautschüppchen zu entfernen, die den Milben als Nahrung dienen können