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Wie sich der Organismus gegen aggressive Moleküle schützt

29.10.2001  00:00 Uhr

KÖRPEREIGENE ENZYME

Wie sich der Organismus gegen aggressive Moleküle schützt

von Peter Nuhn, Halle

Ständig müssen sich unsere Körperzellen mit lebensbedrohenden chemischen und physikalischen Noxen auseinandersetzen. Dies lässt die Frage aufkommen, weshalb wir diesen Kampf nicht schon längst verloren haben und gestorben sind. Der Grund: Aerob lebende Organismen haben im Verlauf der Evolution effektive Schutz- und Reparatursysteme aufgebaut, die Fremdstoffe schnell ausscheiden, Elektrophile und reaktive Sauerstoffspezies beseitigen und entstandene Schäden reparieren helfen. In diesem Artikel werden die enzymatischen Mechanismen vorgestellt.

Als aerob lebende Organismen bilden unsere Körperzellen im Verlauf ganz normaler biochemischer Prozesse ständig sehr reaktive Sauerstoffspezies, die zu schwerwiegenden Membran- und vor allem DNA-Schäden führen können. Schäden im genetischen Material entstehen ferner durch energiereiche Strahlung, denen wir durch die natürliche Radioaktivität sowie durch menschliches Zutun ausgesetzt sind. Mit Arzneimitteln und Nahrungsmitteln sowie durch unzählige Chemikalien in unserer Umwelt nehmen wir ständig Fremdstoffe (Xenobiotika) zu uns, die selbst oder nach Biotransformation zu elektrophilen Intermediaten im Organismus einen elektrophilen und oxidativen Stress auslösen können, der bis hin zu Zellschädigung, Mutationen und Krebsentstehung führen kann (1).

Säugetiere haben zelluläre und enzymatische Schutzmechanismen entwickelt. Zelluläre Mechanismen sind die Immunreaktionen gegen Zellen, Partikel und Makromoleküle. Zu den enzymatischen Schutz- und Reparaturmechanismen gehören vor allem:

  • Enzyme zum Abfangen von reaktiven Sauerstoffspezies,
  • DNA-Reparaturenzyme (DNA repair enzymes), die entstandene Schäden im genetischen Material wieder beseitigen,
  • Enzyme zur Biotransformation von niedermolekularen Xenobiotika (Einteilung in Phase-I- und Phase-II-Enzyme) und zum Entgiften von elektrophilen Intermediaten, zum Beispiel von Epoxiden und Chinonen, sowie
  • die Expression von Molekülpumpen (ATPasen) für einen schnellen Abtransport von Xenobiotika aus der Zelle.

Schutz vor reaktiven Sauerstoffspezies

Reaktive Sauerstoffspezies (Reactive Oxygen Species, ROS) werden durch normale zelluläre Reaktionen in aeroben Organismen gebildet und stellen durch ihre Zytotoxizität eine große Gefahr dar. Zu den ROS gehören als Reduktionsprodukte des Sauerstoffmoleküls das Superoxidanion-Radikal (O2. -) und dessen protonierte Form, das Hydroperoxyl-Radikal (HO2. -), Wasserstoffperoxid (H2O2) und das Hydroxyl-Radikal (OH.). Oxidationsprozesse durch diese ROS schädigen Lipide (Membranen, Low-Density-Lipoprotein/LDL), Proteine und DNA. Zu den "Free Radical Diseases" gehören die Atherosklerose (Oxidation von LDL) und Entzündungsprozesse.

Besonders toxisch ist das Hydroxyl-Radikal, das durch Reduktion von Wasserstoffperoxid durch Semichinone in Anwesenheit von Fe2+ gebildet werden kann. Semichinone entstehen durch Ein-Elektronen-Reduktion aus Chinonen mittels Oxidoreduktasen. Die Bildung von Hydroxyl-Radikalen wird für die Toxizität einiger Zytostatika, zum Beispiel von Adriamycin und Bleomycin, verantwortlich gemacht. ROS können auch durch das Cytochrom P450-System gebildet werden (O2. -, H2O2 und sekundär daraus OH.). Weitere Auslöser für die Bildung von ROS sind zum Beispiel aromatische Nitroverbindungen und Hydroxylamine sowie energiereiche Strahlung.

Ein Schutz vor den ROS (1, 2) kann durch rechtzeitiges Abfangen der Sauerstoffspezies (enzymatisch oder nicht-enzymatisch durch Antioxidantien und Radikalfänger) oder durch Beseitigung der ausgelösten Schäden (Reparaturprozesse) erfolgen.

Nicht-enzymatisch schützen uns natürliche Antioxidantien, zu denen vor allem Vitamin C (Ascorbinsäure) in der wässrigen Phase und Vitamin E (Tocopherol) in der Lipidphase gehören. Beide Vitamine wirken bei der Reparatur peroxidierter Produkte zusammen und rekonstituieren sich gegenseitig. Daneben wirken auch zahlreiche weitere Verbindungen wie Carotinoide und andere Nahrungsbestandteile, Flavonoide und andere Phenole als Antoxidantien.

Zu den Enzymen, die ROS effektiv beseitigen können, gehören Superoxid-Dismutasen, Katalase und Peroxidasen. Die Superoxid-Dismutasen (SOD, EC 1.15.1.1) wandeln zwei Superoxidanionen in Wasserstoffperoxid um, das dann durch Katalase oder Peroxidasen abgebaut wird. Es sind vier Klassen von SOD bekannt, die sich durch ihr Schwermetall-Ion im aktiven Zentrum unterscheiden (Cu/Zn-, Fe-, Mn-, Ni-SOD). Die weit verbreitete Katalase (EC 1.11.1.6) ist ein Hämprotein, das den Abbau von Wasserstoffperoxid zu Wasser katalysiert. Auch die Peroxidasen sind Hämproteine, die Wasserstoffperoxid durch ein Reduktionsmittel (AH2) zu Wasser reduzieren. Glutathion-Peroxidase (GPX, EC 1.11.1.19) ist ein Selen-haltiges Enzym, das Wasserstoffperoxid und andere Hydroperoxide (ROOH) mit Glutathion (G-SH) als Reduktionsmittel reduziert nach der Gleichung:

ROOH + 2 G-SH g ROH + G-S-S-G + H2O.

Das oxidierte Glutathion (G-S-S-G) wird durch die Glutathion-Reduktase (EC 1.6.4.2) wieder zum Glutathion reduziert. In Säugetieren gibt es mindestens fünf Isoenzyme der GPX, die im Zytosol, in den Membranen und den Mitochondrien lokalisiert sind. GPX reduziert freie Fettsäurehydroperoxide, peroxidierte Phospholipide und Cholesterolperoxide als Bestandteile von Membranen und Lipoproteinen. Die GPX greifen nur an freien Fettsäurehydroperoxiden an. Zur "Reparatur" peroxidierter Membranen oder allgemeiner Phospholipide erfolgt daher zunächst eine hydrolytische Abspaltung der peroxidierten Fettsäuren mittels Phospholipase A2 (PLA2), wobei die PLA2 bevorzugt peroxidierte Fettsäuren abspaltet.

Reparatur geschädigter Nukleinsäuren

Von besonderer Bedeutung sind die Schäden, die an der DNA hervorgerufen werden, da sie zu Mutationen und zur Kanzerogenese führen können. Die wichtigsten DNA-Schäden entstehen durch Oxidation von Basen durch Bestrahlung oder oxidativen Stress (reaktive Sauerstoffspezies, NO) und durch Alkylierung.

Oxidation: Das wichtigste Produkt eines endogenen oxidativen Stresses (ausgelöst durch das Hydroxyl-Radikal) ist 7,8-Dihydro-8-oxoguanin (8-OxoG). Im weiteren Verlauf wird der Purinring unter Bildung von Formamidopyrimidin-Resten geöffnet. Die Oxidation der Pyrimidinbasen (Thymin) führt primär zum Thyminglykol. Durch energiereiche Strahlen werden vor allem Thymindimere gebildet.

Alkylierung: Die wichtigsten Alkylierungsprodukte der DNA in vivo sind O6-Alkylguanin-Reste. Die Folge ist eine falsche Kodierung. Während sich Guanin mit Cytosin paart, reagiert O6-Methylguanin wie Adenin mit Thymin. Daneben entstehen durch Alkylierung auch O4-Methylthymin und Methylphosphorsäure-Triester. Die Alkylierung der DNA in O6-Position von Guaninresten wird als einer der wesentlichen Prozesse bei der Entwicklung von Mutationen und Krebs angesehen.

Das Vorkommen spezifischer Reparaturenzyme zur Beseitigung oxidierter Basen zeigt, dass es sich hierbei um eine bedeutende DNA-Schädigung handeln muss (4, 5). Damit in Zusammenhang steht auch, dass die Struktur der Reparaturenzyme ausgesprochen konservativ ist. Solche Schutzmechanismen mussten im Verlauf der Evolution beim Übergang von einer anaeroben zur aeroben Lebensweise entwickelt werden.

Die Erkennung einer veränderten Base in einem Tochterstrang der DNA ist dadurch möglich, dass der Mutterstrang an einigen Adeninresten durch Methylierung mittels DNA-Methyltransferasen markiert ist. Die Reparatur läuft in mehreren Schritten ab:

  • Entfernen der veränderten Base durch DNA-Glykosidasen unter Bildung einer Apurin- oder Apyrimidin-Stelle (AP-Stelle, abasic site),
  • Spaltung der C-O-P-Bindung (DNA-Rückgrat) an der AP-Stelle unter b-Eliminierung durch eine DNA-(apurinic or apyrimidinic site)-lyase (AP-Lyase, AP-Endonuclease, EC 4.2.99.18), was zu einem 3´-terminalen Zuckerrest und einem Produkt mit terminalem 5´-Phosphatrest führt,
  • Austausch des 3´-Terminus durch das ursprüngliche Nukleotid (DNA-Polymerase) und
  • erneute Verknüpfung des Stranges durch eine DNA-Ligase.

An diesen sehr komplexen Prozessen sind mehr als siebzig humane Gene beteiligt. Eine Schlüsselstellung bei diesem Reparaturweg über die Basenentfernung (base-excision pathway) nehmen die DNA-Glykosidasen ein, von denen mindestens sieben bekannt sind. Ein "normaler" Austausch von zwei Basen ist immer wieder erforderlich, da Cytosin (C) in vivo zu einem bestimmten Prozentsatz zu Uracil (U) hydrolysiert wird. Dadurch verändert sich die Ablesung, da Cytosin mit Guanin paart, Uracil dagegen mit Adenin. Die Austausch des "falschen" Bausteins Uracil wird durch die Uracil-DNA-Glykosidase eingeleitet. Die DNA-3-methyladenin-glykosidasen I und II (Alkylpurin-DNA-N-Glykosidase; EC 3.2.2.20 und 3.2.2.21) spalten die N-glykosidische Bindung alkylierter DNA (3-Methyladenin-, 3-Methylguanin-, 7-Methylguanin-, 7-Methyladenin-Reste), die Formamidopyrimidin-DNA-N-Glykosidase (EC 3.2.2.23) die Bindung oxidativ veränderter Purinbasen.

Alkylierte Guaninreste werden durch die O6-Alkylguanin-DNA-Alkyltransferase wieder regeneriert. Die Alkyltransferase beseitigt auch die Methylgruppen von O4-Methylthymin und Methylphosphorsäure-Triestern. Das Reparaturenzym wird verantwortlich gemacht für die Resistenz mancher Krebszellen gegen alkylierende Agenzien wie Cyclophosphamid (10). Thymindimere können durch eine photochemische Reaktion mittels einer DNA-Photolyase entfernt werden, was aber bei Säugetieren keine Rolle spielt.

Biotoxifikation durch Bildung von Elektrophilen

Während Phase-II-Enzyme meist entgiftend und protektiv wirken, können Phase-I-Enzyme die Ursache von Biotoxifikationen sein. Neu gebildete Elektrophile (1) können mit nukleophilen Gruppen von Proteinen oder Nukleinsäuren reagieren. Viele Elektrophile sind daher zytotoxisch, einige auch genotoxisch und damit potenziell mutagen und kanzerogen.

Eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung von Elektrophilen in vivo spielen die Cytochrom P450-abhängigen Enzyme (EC 1.14.14.1). Die Superfamilie der CYP (Abkürzung für Cytochrom P450) umfasst über 300 verschiedene Proteine in 36 Familien und Unterfamilien, von denen aber nur ein Teil in Säugetieren vorkommen. Die Bezeichnung erfolgt alphanumerisch auf Grund ihrer Sequenzhomologie nach Familie, Unterfamilie und einer Zahl für das individuelle Protein.

Die Mitglieder der CYP-Superfamilie führen aliphatische und aromatische Hydroxylierungen, Oxidationen, einschließlich Epoxidationen, Reduktionen sowie Dehalogenierungen aus. Durch die Hydroxylierung von -X-CH3 (X = O, S, NR) sind die entsprechenden Desalkylierungen möglich. Die CYP-Enzyme sind bezüglich Substratspezifität sehr variabel. CYP1, 2 und 3 sind an der Synthese endogener Steroide beteiligt, Mitglieder anderer Familien haben spezifischere Aufgaben. So katalysiert CYP4 w-Hydroxylierungen von Fettsäuren, CYP7 die 7-Hydroxylierung von Cholesterol und CYP11B1 die 11b-Hydroxylierung von Progesteron.

Die CYP sind die wichtigsten Enzyme der Arzneistoff-Biotransformation in Phase I und haben damit einen entscheidenden Anteil an der schnellen Entfernung von Xenobiotika aus dem Körper durch Überführung in hydrophilere Metabolite. An der Metabolisierung von Xenobiotika im Menschen sind vor allem CYP1, 2 und 3 beteiligt: zu 44 Prozent CYP3A, zu 30 Prozent CYP2D, zu 15 Prozent CYP2C und zu 9 Prozent CYP1A (8). Der Metabolismus findet vor allem in der Leber, aber auch in Niere, Lunge, Gastrointestinaltrakt, Gehirn, Milz und anderen Organen statt. Die Induktion der CYP3A-Enzyme, die hauptverantwortlich für die Biotransformation lipophiler endogener und xenobiotischer Substanzen sind, ist Spezies-spezifisch (receptor-like xeno-sensors). Zahlreiche natürliche und synthetische Xenobiotika induzieren die Expression von CYP3A-Genprodukten (eukaryotic oxidation protection genes).

Im allgemeinen führt die Biotransformation von Arzneistoffen zu pharmakologisch inaktiven Metaboliten. Durch die Bildung elektrophiler Intermediate (Epoxide, Chinone, Nitreniumionen, Diazoniumion) können die CYP aber auch zur Toxizität zahlreicher Verbindungen beitragen (Tabelle). So ist CYP1 an der Kanzerogenität von Benzo[a]pyren, b-Naphthylamin, TCDD (2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin), Benzidin, Dimethylaminoazobenzol, Diethylstilbestrol oder Aflatoxin B1 beteiligt, CYP2E an der von Benzol, Halothan oder Dimethylnitrosamin.

 

Tabelle: Beispiele für Biotoxifikationen durch CYP-Isoenzyme

XenobiotikumCYP-IsoenzymEntstehendes Elektrophil Benzo[a]pyren 1 Epoxid Aflatoxin 3A Epoxid Benzol 2E Epoxid Brombenzol 2B Epoxid Cyclophosphamid 2B Acrolein Paracetamol 1, 2E Chinonimin Halothan 2E Trifluoracetylchlorid 2-Acetylaminofluoren 1A2 Nitreniumion über Hydroxylamin Aromatische Amine 1A2 Nitreniumion über Hydroxylamin Pyrrolizidin-Alkaloide 3A Carboniumion über Allylester

 

Epoxide: Toxikologisch von besonderer Bedeutung ist die Epoxidation. Epoxide werden aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch CYP1A1 und CYP1B1 gebildet. CYP1A1 wird auch als Arylhydrocarbon-hydroxylase bezeichnet. Auf Grund ihrer Elektrophilie können Epoxide, zum Beispiel aus Benzo[a]pyren oder Aflatoxin B1, Mutationen und Kanzerogenese auslösen. Während das aus Benzo[a]pyren zunächst gebildete Epoxid sehr schnell wieder von einer Epoxid-hydrolase (EH) entschärft wird, ist das im zweiten Oxidationsschritt gebildete Benzo[a]pyren-7,8-diol-9,10-epoxid nur ein schlechtes Substrat für die Hydrolase, so dass eine weitere Reaktion mit der DNA erfolgen kann. Allerdings sind nicht alle polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe kanzerogen. Deutliche Spezifitätsunterschiede treten bei den Aflatoxinen auf. Während Aflatoxin B1 in der Ratte als starkes Leberkanzerogen wirkt, wird das reaktive Epoxid in der Maus durch Glutathion-S-transferase entgiftet.

Aromatische Amine können über die Bildung von Hydroxylaminen stark elektrophile Nitreniumionen bilden, die mit DNA reagieren können. Arylamine und heterozyklische Amine werden durch CYP1A2 aktiviert. Aromatische Amine gehörten zu den ersten Verbindungen, für die eine Kanzerogenität festgestellt werden konnte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war bekannt, dass bestimmte Anilinfarbstoffe zu Blasenkrebs führen. Ein beim Tier viel untersuchtes Kanzerogen ist 2-Naphthylamin, das gemeinsam mit 4-Aminobiphenyl im Zigarettenrauch vorkommt. Beide werden für die Entstehung von Blasenkrebs bei Rauchern verantwortlich gemacht. 2-Acetylaminofluoren, das zunächst als Insektizid vorgesehen war, erzeugt Leber-, Brust- und Blasenkrebs. Es war die erste Verbindung, für die nachgewiesen wurde, dass die Kanzerogenität auf eine metabolische Aktivierung zurückzuführen ist. Die Aktivierung derartiger Amine erfolgt über N-Hydroxy-Verbindungen (Hydroxylamine), aus denen Nitreniumionen gebildet werden können. Noch reaktivere Intermediate (effektivere Abgangsgruppen) sind die Sulfate und Glucuronide der N-Hydroxy-Verbindungen.

Chinone: Durch Oxidation können elektrophile Chinone entstehen, die leicht mit Thiolen reagieren und so kovalent an Proteine binden können. So kann das aus Paracetamol gebildete Chinonimin bei nicht ausreichendem Glutathion-Spiegel mit nukleophilen Gruppen von Proteinen reagieren und dabei die Leber schädigen.

Rauchen induziert CYP1A1, CYP1A2 und CYP1B1, was das Krebsrisiko steigert. Eine erhöhte Aktivität von CYP1A2 erhöht beispielsweise das Risiko für Kolonkrebs. Das Problem bei Rückschlüssen aus Tierversuchen: Expression und Gewebespezifität der humanen CYP unterscheiden sich von denen der Tiere (zum Beispiel Nagetiere).

Beseitigung von Elektrophilen

Die rechtzeitige Beseitigung von Elektrophilen (6, 7) ist eine sehr wichtige prophylaktische Maßnahme der Organismen, die nicht-enzymatisch oder enzymatisch erfolgen kann.

Nicht-enzymatisch: Grundsätzlich sind stark nukleophile Gruppen zur schnellen Reaktion mit Elektrophilen geeignet. In vivo spielen besonders Thiole eine Rolle, vor allem das in allen Zellen in millimolarer Konzentration vorkommende Glutathion. Dieses Tripeptid mit der Struktur g-Glutamyl-cysteinyl-glycin wird im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt durch die g-Glutamylcystein-Synthetase (GCS) synthetisiert. Glutathion kann sowohl "weiche" Elektrophile als auch reaktive Sauerstoffspezies entschärfen.

Von außen zugeführte Thiole spielen eine gewisse Rolle als Zytoprotektiva. So ist Amifostin als Thiol-Prodrug zur Reduktion der Toxizität (Neutropenie, Nephrotoxizität) bei der Behandlung von Karzinompatienten mit Cyclophosphamid und Cisplatin zugelassen. Das Thiol wird aus dem Arzneistoff durch die alkalische Phosphatase freigesetzt und kann Radikale und Elektrophile abfangen. Ein anderes Beispiel: Als Nebenprodukt der In-vivo-Aktivierung von Cyclophosphamid bildet sich Acrolein, das stark nephrotoxisch ist. Gleichzeitig appliziertes Mesna (Natrium-Salz der 2-Mercaptoethansulfonsäure) kann das toxische Acrolein abfangen.

Enzymatisch werden Elektrophile vor allem durch Glutathion-S-transferase (GST), Epoxid-hydrolase (EH), NAD(P)H-Chinon-oxidoreduktase (NQO), N-Arylamin-acetyl-transferase (NAT) und UDP-Glucuronyl-transferase (UGT) beseitigt. GST verstärkt die Nukleophilie des Glutathions und reagiert mit einer Vielzahl auch harter Elektrophiler sowie mit reaktiven Sauerstoffspezies. NQO entgiftet Chinone, NAT aromatische Amine und UGT vor allem Phenole.

Die Glutathion-S-transferasen (GST, EC 2.5.1.18) katalysieren die Umsetzung zahlreicher Elektrophiler (E-X) mit der Thiolgruppe des Glutathions (G-SH) unter Bildung eines entsprechenden Konjugates (Sulfid):
E-X + G-SH g HX + R-S-G.

Von der GST sind zahlreiche Isoformen bekannt. Die humanen GST werden auf Grund ihrer genetischen Verwandtschaft in die fünf Familien GSTA, -M, -P, -T und -Z (auch Alpha, My, Pi, Theta, Sigma) eingeteilt. Vertreter von vier Familien kodieren für zytosolische GST; die fünfte Familie repräsentiert die mikrosomalen Formen. GSTA, GSTP1-1 und GSTT1-1 kommen in Zellen des humanen Gastrointestinaltraktes vor. Zu den Glutathion-S-transferasen gehört auch die Leukotrien C4-Synthase, die die Reaktion des Epoxids LTA4 mit Glutathion unter Bildung von Leukotrien C4 katalysiert. Die Transferasen zeigten einen protektiven Effekt gegen Xenobiotika wie Acetanilide oder die Herbizidei Alachlor, Metochlor und Propachlor. Etacrynsäure, ein Diuretikum und selbst ein starkes Elektrophil, und ihr Glutathion-Konjugat sind sehr wirksame Hemmstoffe der GST.

Die NAD(P)H-Chinon-oxidoreduktase (NQO, EC 1.6.99.2) katalysiert Zwei-Elektronen-Reduktionen:

NAD(P)H + Akzeptor g NAD(P) + reduzierter Akzeptor.

Das natürliche Substrat ist das Vitamin K. NQO spielt vor allem eine Rolle bei der Detoxifizierung von Chinonen. Aus Catecholaminen gebildete o-Chinone sind neurotoxisch. Man unterscheidet zwei Isoformen der NQO: NQO1 und NQO2.

Die Epoxid-hydrolase (EH, EC 3.3.2.3) entschärft Epoxide durch Hydrolyse:

Epoxid + H20 g Glycol.

Die mikrosomale EH ist durch zahlreiche Xenobiotika induzierbar.

Während die GST, NQO und EH gebildete Elektrophile beseitigen, wirken die nachfolgend genannten Enzyme prophylaktisch, indem sie die Bildung von Elektrophilen verhindern.

Die Arylamin-N-acetyltransferasen (NAT) schützen aromatische Aminogruppen durch Acetylierung und verhindern so die Bildung von Nitreniumionen. Man unterscheidet zwei Isoformen: NAT1 und NAT2. Eine genetisch bedingte verringerte Aktivität der NAT2 (NAT2-Polymorphismus) erhöht die Toxizität von Arzneistoffen wie Isoniazid bei langsamen Acetylierern, insbesondere bei Rauchern, da der Tabakrauch Arylamine enthält. 

Die Glucuronyltransferase (UDPglucuronat-b-D-glucuronosyltransferase, EC 2.4.1.17) katalysiert die Umsetzung:

UDPglucuronat + Akzeptor g UDP + Akzeptor-b-D-glucuronosid.

Damit wird die Oxidation von Phenolen oder Aminen verhindert. Eine ähnliche Funktion hat auch die Phenol-sulfotransferase (ST).

Molekülpumpen: Nutzen und Schaden

Während die Biotransformation durch die Phase-I- und -II-Reaktionen die Hydrophilie der eingedrungenen Xenobiotika erhöht und damit deren Ausscheidung aus dem Organismus erleichtert, sorgen Molekülpumpen für einen schnellen Transport von lipophilen Substanzen aus der Zelle, die durch Diffusion hinein gelangt sind. Da Molekülpumpen auch im Intestinaltrakt vorkommen, können sie unter Umständen auch ein gerade resorbiertes, noch unverändertes Xenobiotikum wieder aus der Zelle schleusen, was die Arzneistoffaufnahme praktisch verhindert.

Der Transport von unveränderten Xenobiotika ist am besten charakterisiert für das P-Glykoprotein (Gen: MDR1). Daneben gibt es noch Transporter für Phase-II-Metaboliten. Diese transportieren nicht nur Konjugate (mit Glucuronat, Sulfat, Glutathion), sondern auch unkonjugierte amphiphile Anionen. Zu diesen Transportern gehören die MRP (multidrug-resistance-related proteins). Die MRP2 bis 5 werden auch als multispezifische Organische Anion-Transporter bezeichnet (cMOAT, MOAT-D, MOAT-B, MOAT-C).

Molekular-epidemiologische Betrachtungen

Der menschliche Körper verfügt über ein sehr effektives Schutzsystem, das es ermöglicht, die Bildung eventuell schädigender Noxen zu unterbinden, solche abzufangen oder die entstandenen Schäden wieder zu beseitigen. Doch leider reicht dieses System nicht in jedem Fall aus. Das gilt vor allem für die Krebsentstehung. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, wird ganz wesentlich bestimmt durch Expression und Induktion von Enzymen, die Xenobiotika metabolisieren (9, 11). Eine Beeinflussung der Krebsentstehung durch Arzneistoffe oder Nahrungsbestandteile ist möglich über

  • die Modulation von Molekülpumpen oder
  • die Modulation von Enzymen der Biotransformation, die bei der Biotoxifikation oder prophylaktisch bei der Beseitigung von Elektrophilen oder reaktiven Sauerstoffspezies eine Rolle spielen und damit das karzinogene Potenzial beeinflussen.

Als mögliche Gene, die bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen können, müssten etwa 5000 bis 10.000 Gene molekular-epidemiologisch untersucht werden. Ein wesentliches Element der natürlichen Chemoprotektion ist die Induktion der Gene für die entgiftenden Enzyme; dies könnten Xenobiotika über ein electrophile response element (ARE) in der Promotorregion der Gene erreichen. Eine besonders ausgeprägte Induktion von Phase-II-Enzymen bewirkt das ursprünglich als Chemotherapeutikum gegen Schistosomen entwickelte Oltipraz (4-Methyl-5-pyrazinyl-3H-1,2-dithiol-3-thion). Derartige Induktoren könnten für eine Chemoprophylaxe bedeutsam werden.

Epidemiologisch relevant sind individuelle Unterschiede in der Biotransformationsleistung (Polymorphismus). Studien ergaben, dass eine genetisch bedingte Abweichung von Enzymaktivitäten ein erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen darstellen kann, zum Beispiel ein GSTM1-Mangel für Lungen-, Kehlkopf- und Nieren-Krebs, eine zu niedrige N-Acetylierungs-Aktivität (NAT2-Polymorphismus) für Blasenkrebs sowie eine erhöhte Aktivität der CYP1A1 (Aryl-hydrocarbon hydroxylase) für Lungenkrebs oder der CYP1A2 für Dickdarmkrebs.

Das individuelle Krebsrisiko wird offensichtlich ganz wesentlich bestimmt von der Balance zwischen den Phase-I-Enzymen, die zur Bildung kanzerogener Intermediate beitragen können, und entgiftenden Phase-II-Enzymen.

Auch für DNA-Reparaturenzyme und Molekülpumpen wurden genetische Polymorphismen beschrieben. Auf Defekte bei der DNA-Reparatur geht unter anderem das Werner-Syndrom zurück.

Solche molekular-epidemiologischen Untersuchungen eröffnen ein weites Feld für gezielte prophylaktische Maßnahmen bei Personen, die durch einen Polymorphismus potenziell gefährdet sind.

 

Literatur

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  11. Wilkinson, J., Clapper, M. L., Detoxification Enzymes and Chemoprevention. Proc. Soc. Exp. Biol. Med. 216 (1997) 192-200.

 

Der Autor

Peter Nuhn schloss sein Studium 1960 mit dem pharmazeutischen Staatsexamen und 1964 mit der Promotion in Leipzig ab. 1970 habilitierte er sich und erhielt 1975 die Dozentur für Naturstoffchemie an der Sektion Biowissenschaften an der Universität Leipzig. Seit 1980 hat er die Professur für Pharmazeutische Chemie an der Universität Halle inne. Seine Forschungsgebiete umfassen die Entwicklung von Hemmstoffen von Enzymen des Phospholipid- und des Arachidonsäuremetabolismus sowie die Synthese und biophysikalische Charakterisierung von Phospho- und Glykolipiden.

 

Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. habil. Peter Nuhn
Institut für Pharmazeutische Chemie,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
06099 Halle/Saale

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