In Pandemie mehr OTC-Abgaben als Verordnungen |
Daniela Hüttemann |
23.02.2022 16:30 Uhr |
Die TK erinnerte bei der Vorstellung der Zahlen am heutigen Mittwoch daran, auch rezeptfreie Arzneimittel mit großer Umsicht bei Kindern einzusetzen – nur gemäß der zugelassenen Indikation und vor allem auch unter Berücksichtigung der korrekten Dosierung. »Bei Ibuprofen oder Paracetamol werden oft nicht die Dosierintervalle, also die Zeit zwischen zwei Arzneimittelgaben, sowie die Tageshöchstdosis beachtet«, berichtete Professor Dr. Antje Neubert, Apothekerin und Leiterin der Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) an der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen. »Die richtige Dosis ist genauso wichtig wie das richtige Medikament.« Sie warnte vor Nebenwirkungen. Ebenfalls nicht selten seien Überdosierungen von Nasentropfen, was bei Säuglingen sogar lebensbedrohliche Zustände hervorrufen könne.
Während es bei Erkältungsmitteln für Kinder in der Regel konkrete Dosierempfehlungen und geeignete Darreichungsformen gebe, sei dies in vielen anderen Bereichen der Pharmakotherapie eher die Ausnahme als die Regel, erinnerte Neubert. »Es gibt mittlerweile mehr Studien mit Kindern, allerdings stehen hier vor allem neue, innovative Medikamente im Fokus. Wir bräuchten mehr Analysen für Arzneimittel, die schon lange auf dem Markt sind, damals aber keine entsprechenden Studien nach den heutigen Standards vorweisen mussten.«
Sie verwies auf das vom Innovationsfonds geförderte Projekt KidSafe, zu dem die Datenbank Kinderformularium gehört. Hier lassen sich für mittlerweile mehr als 450 Arzneistoffe evidenzbasierte Daten zur Dosierung, Indikation und zu verfügbaren Präparaten finden.
Ein weiteres Ergebnis des Verordnungsreports: Der Anteil der Jugendlichen, die Psychopharmaka erhielten, ist zwischen 2017 und 2020 deutlich angestiegen: von 3,5 Prozent aller 12- bis 17-Jährigen TK-Versicherten im Jahr 2017 auf 4,1 Prozent 2019 auf 4,3 Prozent im ersten Pandemiejahr. Bei den Sechs- bis Elfjährigen war der Anteil dagegen 2019/2020 mit 2,6 Prozent konstant geblieben (Vorjahre: 2,3 und 2,4 Prozent). Jüngere Kinder erhalten kaum Psychopharmaka (0,5 bis 0,6 Prozent).
Bei den Schulkindern machen die ADHS-Mittel mit 83 Prozent den Löwenanteil der Psychopharmaka-Verordnungen aus. Es folgen Hypnotika und Sedativa (8 Prozent) und Antipsychotika (6 Prozent). Antidepressiva machen nur 1 Prozent der Psychopharmaka in dieser Altersgruppe aus. Ihr Anteil steigt bei den Jugendlichen allerdings stark an: auf 15 Prozent, während die ADHS-Mittel in der Relation auf 70 Prozent zurückgehen (angesichts der jedoch deutlich höheren Verordnungszahlen insgesamt immer noch hoch sind). Antipsychotika machen 10 Prozent aus, Hypnotika und Sedativa 5 Prozent. Dabei erhalten Jungen dreimal so häufig ADHS-Medikamente wie Mädchen; während Mädchen doppelt so häufig Antidepressiva bekommen.
»Dass die Verordnungen im Bereich der Psychopharmaka ansteigen, ist eine Entwicklung, die uns alle aufmerksam machen sollte«, so TK-Chef Jens Baas. »Es geht nicht darum, Medikamente zu verteufeln. Wichtig sind ein sorgsamer Einsatz und eine umfassende Behandlung, in enger Verbindung mit pädagogischen, sozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen.«