In der Eindämmungsphase |
Die Sterblichkeit von 0,2 Prozent außerhalb Chinas entspreche in etwa dem, was bei einer Grippepandemie zu erwarten sei. Sollte sich das Virus ausbreiten, sei daher mit einer Auslastung der Arztpraxen und Krankenhäuser wie während einer schweren Grippewelle zu rechnen. Damit in Deutschland nicht beides gleichzeitig passiert – immerhin ist gerade Grippesaison und es gibt diesen Winter bereits 60 Grippetote – ist ein großes Ziel des RKI, die beiden Wellen zu entkoppeln, ergänzte Wieler. Das Stichwort lautet: Eindämmungsphase. Es sei wichtig, dass sich nicht nur das medizinische Personal, sondern jeder in Deutschland auf eine mögliche Verbreitung des Erregers hierzulande vorbereite, betonten beide Experten.
Hierzu gehört auch, festzulegen, wann ein Patient nach einer überstandenen Infektion wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Dies ist in Deutschland erst einmal geschehen, nämlich in München, von wo Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der München Klinik Schwabing der Konferenz zugeschaltet war. Der Patient sei entlassen worden, nachdem er »in nasopharyngealen Abstrichen und sogar im Sputum wiederholt negativ getestet worden war«.
Eine solche intensive Testung wäre bei einer deutlich höheren Patientenzahl wahrscheinlich nicht mehr durchzuhalten. »Wir müssen auch vordenken für eine Situation, in der es mehr Patienten gibt und Krankenhausbetten wieder frei gemacht werden müssen«, konkretisierte Drosten. Die PCR, die derzeit zum Nachweis des Erregers eingesetzt wird, sei »eine überempfindliche Nachweismethode in dem Sinne, dass sie das Virus auch dann noch anzeigt, wenn der Patient eigentlich nicht mehr infektiös ist«. Zellkulturtests fielen dagegen schon deutlich früher negativ aus – »der Unterschied liegt im Bereich von einer Woche und mehr«.
Zum wahrscheinlichen Ursprung des neuen Erregers befragt, sagte Drosten: »Es gibt nichts Gesichertes.« Das ökologische Reservoir der Coronaviren seien bestimmte Fledermausarten, nämlich Hufeisennasen-Fledermäuse. »Dieses Virus wird wahrscheinlich, wie andere solche Viren auch, Zwischenreservoire haben.« Bei SARS seien das Carnivore gewesen, nämlich Schleichkatzen oder Marderhunde. »Es geistert momentan eine Meldung von Schuppentieren durch die Medien. Ich halte das für biologisch nicht sehr sinnvoll: Schuppentiere essen keine Fledermäuse«, bemerkte der Virologe.
Wo genau das SARS-CoV-2-Virus herkomme, müsse in China vor Ort erforscht werden und könne Monate dauern. Vielleicht werde man es nie herausfinden, weil der Markt, der als Ausgangspunkt des Ausbruchs vermutet wird, mittlerweile geschlossen ist. »Ich denke, dass es sehr gut sein kann, dass es nicht in China auf diesem Markt wirklich losgegangen ist, sondern dass es sich vielleicht dort erstmalig verbreitet hat, weil sich dort viele Menschen getroffen haben. Vielleicht ist es auf diesem Markt eingeschleppt worden und der eigentliche Ursprung liegt ganz woanders. Es kann gut sein, dass sich das Virus in einem anderen Winkel dieses Riesenlandes das erste Mal an den Menschen angenähert hat und auch anfangs angepasst hat.« Darauf deute die schnelle Geschwindigkeit hin, mit der sich das Virus schon gleich zu Anfang des Ausbruchs verbreitete. Die Verschwörungstheorien, die dazu im Internet kursierten, seien »alle Unsinn«, so Drosten. »Ich denke, es ist einfach so, dass dieses Virus schon ein bisschen mehr Anlauf hatte, als wir denken.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.