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SARS-CoV-2

In der Eindämmungsphase

Bislang gibt es in Deutschland nur Einzelfälle von Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2. Das Robert-Koch-Institut (RKI) arbeitet dafür, dass das möglichst lange so bleibt. Derweil sammeln Virologen immer mehr wichtige Informationen über den neuen Erreger.
Annette Mende
14.02.2020  09:58 Uhr

Angesichts der aus China gemeldeten stark steigenden Zahlen von Erkrankten und Todesfällen durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 wächst im Ausland die Sorge, der Ausbruch könnte sich zu einer weltweiten Pandemie entwickeln. Vor diesem Hintergrund gab die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gestern in Berlin ein Pressebriefing, bei dem führende Wissenschaftler zum aktuellen Stand des Wissens über den Erreger informierten.

»Wir sind momentan nicht in der Lage, die Dynamik des Ausbruchs zu prognostizieren«, sagte Professor Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). Alle Prognosen beruhten auf Zahlen, die mit Unschärfe verbunden seien, weil in China, dem bei Weitem am stärksten betroffenen Land, die Behörden extrem gefordert seien. »Da sind sie momentan nicht in der Lage, alle möglichen Zahlen zu liefern«, so Wieler.

Um das Pandemiepotenzial, also die Ausbreitungstendenz des Erregers zu bewerten, sei allerdings die Lage außerhalb Chinas entscheidend. Bislang seien außerhalb Chinas in 24 Ländern 503 Fälle aufgetreten. Ein Patient auf den Philippinen sei gestorben. Er habe an Vorerkrankungen gelitten.

»In China sehen wir seit mehreren Wochen eine Sterberate von 2,0 bis 2,2 Prozent. Außerhalb Chinas liegt die Sterberate mit 0,2 Prozent deutlich darunter«, sagte Wieler. Deutschland befinde sich derzeit in der sogenannten Eindämmungsphase, in der man zu verhindern suche, dass es zu lang anhaltenden Infektionsketten kommt. »Das gelingt bislang auch.« Es gebe Anlass zum Optimismus, dass das Virus in Schach gehalten werden könne, so der RKI-Präsident.

SARS-Virus doch kein geeignetes Denkmodell?

»Vieles, was wir über den Erreger wissen müssen, wissen wir noch nicht«, sagte auch Professor Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin. So sei etwa die wichtige epidemiologische Kennzahl der sogenannten attack rate noch unbekannt. Sie gibt an, wie viele Personen, die durch einen Kontakt hätten infiziert werden können, tatsächlich infiziert wurden.

Andere Eigenschaften von SARS-CoV-2 sind mittlerweile aufgeklärt. »Für mich ist die allerwichtigste Information, dass dieses Virus offenbar doch aktiv im Rachenbereich repliziert. Das ist ein großer Unterschied zu SARS«, erklärte der Experte. Das SARS-Virus sei bislang aufgrund seiner großen Ähnlichkeit mit dem neuen Erreger als Denkmodell verwendet worden. Das SARS-Virus nutze einen Rezeptor, der vor allem in den tiefen Atemwegen vorkomme. Es müsse also in die Lunge eingeatmet werden. »Dort startet es im Prinzip sofort eine Erkrankung. Dann dauert es aber eine ganze Zeit, bis das Virus in der Lunge eine infektiöse Konzentration erreicht hat und wieder ausgeschieden wird.«

SARS-CoV-2 repliziere dagegen auch »mit signifikanter Intensität« im Rachen, so wie etwa das Grippevirus. »Das begründet die gute Übertragbarkeit der Influenza: Es ist ein Virus, das von Rachen zu Rachen übertragen wird«, sagte Drosten. Bei Patienten, die mit dem neuen Erreger infiziert seien, könne man bereits in der Frühphase der Infektion, wenn sie erst leichte Erkältungssymptome haben, infektiöses, wachsendes Virus aus dem Rachen isolieren. Das sei bei SARS nie gelungen. »Das heißt: Dieses Virus muss anders bewertet werden als SARS«, so Drosten.

Der Virologe fasste weitere inzwischen bekannte Eigenschaften des neuen Erregers zusammen. Covid-19, die durch SARS-CoV-2 verursachte Lungenerkrankung, trete bei den meisten Infizierten lediglich als Erkältung in Erscheinung. Kinder seien praktisch nicht betroffen. Schwangere seien wahrscheinlich nicht speziell betroffen – ein wichtiger Unterschied zur Influenza. Die besondere Risikogruppe seien ältere Patienten mit einer »Betonung auf das männliche Geschlecht«.

Drosten geht davon aus, dass die Lage in China derzeit ein verzerrtes Bild von der Gefährlichkeit des Erregers liefert. »Ich glaube, dass es momentan eine vollkommen falsche Einschätzung der Zahlen gibt wegen einer Überlastung des Meldesystems in China. Das sieht man schon daran, dass wir in den letzten zwei Wochen lange Zeiträume hatten, in denen an jedem Tag praktisch gleich viele Fälle dazukamen. Die Fälle beziehungsweise die Sterberate außerhalb von China sind sicherlich die realistischere Zahl.«

Coronavirus- und Grippewelle entkoppeln

Die Sterblichkeit von 0,2 Prozent außerhalb Chinas entspreche in etwa dem, was bei einer Grippepandemie zu erwarten sei. Sollte sich das Virus ausbreiten, sei daher mit einer Auslastung der Arztpraxen und Krankenhäuser wie während einer schweren Grippewelle zu rechnen. Damit in Deutschland nicht beides gleichzeitig passiert – immerhin ist gerade Grippesaison und es gibt diesen Winter bereits 60 Grippetote – ist ein großes Ziel des RKI, die beiden Wellen zu entkoppeln, ergänzte Wieler. Das Stichwort lautet: Eindämmungsphase. Es sei wichtig, dass sich nicht nur das medizinische Personal, sondern jeder in Deutschland auf eine mögliche Verbreitung des Erregers hierzulande vorbereite, betonten beide Experten.

Hierzu gehört auch, festzulegen, wann ein Patient nach einer überstandenen Infektion wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Dies ist in Deutschland erst einmal geschehen, nämlich in München, von wo Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der München Klinik Schwabing der Konferenz zugeschaltet war. Der Patient sei entlassen worden, nachdem er »in nasopharyngealen Abstrichen und sogar im Sputum wiederholt negativ getestet worden war«.

Eine solche intensive Testung wäre bei einer deutlich höheren Patientenzahl wahrscheinlich nicht mehr durchzuhalten. »Wir müssen auch vordenken für eine Situation, in der es mehr Patienten gibt und Krankenhausbetten wieder frei gemacht werden müssen«, konkretisierte Drosten. Die PCR, die derzeit zum Nachweis des Erregers eingesetzt wird, sei »eine überempfindliche Nachweismethode in dem Sinne, dass sie das Virus auch dann noch anzeigt, wenn der Patient eigentlich nicht mehr infektiös ist«. Zellkulturtests fielen dagegen schon deutlich früher negativ aus – »der Unterschied liegt im Bereich von einer Woche und mehr«.

Ursprung weiter unklar

Zum wahrscheinlichen Ursprung des neuen Erregers befragt, sagte Drosten: »Es gibt nichts Gesichertes.« Das ökologische Reservoir der Coronaviren seien bestimmte Fledermausarten, nämlich Hufeisennasen-Fledermäuse. »Dieses Virus wird wahrscheinlich, wie andere solche Viren auch, Zwischenreservoire haben.« Bei SARS seien das Carnivore gewesen, nämlich Schleichkatzen oder Marderhunde. »Es geistert momentan eine Meldung von Schuppentieren durch die Medien. Ich halte das für biologisch nicht sehr sinnvoll: Schuppentiere essen keine Fledermäuse«, bemerkte der Virologe.

Wo genau das SARS-CoV-2-Virus herkomme, müsse in China vor Ort erforscht werden und könne Monate dauern. Vielleicht werde man es nie herausfinden, weil der Markt, der als Ausgangspunkt des Ausbruchs vermutet wird, mittlerweile geschlossen ist. »Ich denke, dass es sehr gut sein kann, dass es nicht in China auf diesem Markt wirklich losgegangen ist, sondern dass es sich vielleicht dort erstmalig verbreitet hat, weil sich dort viele Menschen getroffen haben. Vielleicht ist es auf diesem Markt eingeschleppt worden und der eigentliche Ursprung liegt ganz woanders. Es kann gut sein, dass sich das Virus in einem anderen Winkel dieses Riesenlandes das erste Mal an den Menschen angenähert hat und auch anfangs angepasst hat.« Darauf deute die schnelle Geschwindigkeit hin, mit der sich das Virus schon gleich zu Anfang des Ausbruchs verbreitete. Die Verschwörungstheorien, die dazu im Internet kursierten, seien »alle Unsinn«, so Drosten. »Ich denke, es ist einfach so, dass dieses Virus schon ein bisschen mehr Anlauf hatte, als wir denken.«

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