Impfstoffe auf Basis inaktivierter Viren bereiten Sorgen |
Theo Dingermann |
17.01.2022 09:32 Uhr |
In China wurden große Teile der Bevölkerung mit inaktivierten Ganzvirusimpfstoffen gegen Covid-19 geimpft. Diese bieten offenbar kam Schutz vor der Omikron-Variante. / Foto: Getty Images/Chalffy (Symbolbild)
Es ist der Impfstofftyp, der bisher weltweit am häufigsten verimpft wurde. Und es ist der Impfstofftyp, auf den angeblich viele warten, da sie genbasierten Impfstoffen mit Skepsis begegnen: Impfstoffe auf Basis inaktivierter Viren. Allerdings wird immer deutlicher, dass dieser Impfstofftyp hinsichtlich seiner Wirksamkeit und hinsichtlich der Stabilität einer initialen Immunantwort weit hinter anderen Impfstofftypen zurückfällt.
Impfstoffe auf Basis inaktivierter Viren werden vor allem in China und Indien in großem Maßstab produziert. Die beiden chinesischen Unternehmen Sinovac und Sinopharm stellten beispielsweise zusammen fast 5 Milliarden Dosen inaktivierter Ganzvirusimpfstoffe her. Zudem wurden mehr als 200 Millionen Dosen anderer Hersteller, wie Covaxin aus Indien, Coviran Barekat aus dem Iran und Qazvac aus Kasachstan, ausgeliefert. Insgesamt ist das ein gewaltiger Anteil der etwa 11 Milliarden Covid-19-Impfdosen, die bisher weltweit verimpft wurden.
Man hatte große Hoffnungen auf diesen Impfstofftyp gesetzt. Er ist nicht nur relativ einfach herzustellen und fertig konfektioniert auch sehr stabil, sondern er bietet auch ein breites Antigenspektrum, da ja komplette, wenn auch inaktivierte Viren, als Antigene vorhanden sind. In einem Beitrag auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature« werden nun diese inaktivierten Ganzvirusimpfstoffe kritisch beleuchtet. Das Resultat dieser Analyse ist besorgniserregend.
Danach produzieren viele Menschen, die zweimal mit einem solchen Impfstoff geimpft wurden, keine neutralisierenden Antikörper (nAB) mehr, die vor einer Infektion mit Omikron mindestens teilweise schützen könnten. Und selbst nach einer dritten Dosis bleibt die nAB-Konzentration in der Regel niedrig. Eine dritte Impfung mit einem anderen Impfstofftyp scheint hingegen einen besseren Schutz gegen Omikron zu bieten.
Diese Ergebnisse veranlassen nun mehr und mehr Wissenschaftler und Forscher des öffentlichen Gesundheitswesens, die Rolle dieser klassischen Totimpfstoffe im weltweiten Kampf gegen Covid-19 neu zu bewerten. »Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir verstärkt darüber nachdenken, wie wir unsere Impfstrategien anpassen«, sagt etwa Professor Dr. Qiang Pan-Hammarström, eine klinische Immunologin am Karolinska-Institut in Stockholm.
Deutliche Anzeichen, dass inaktivierte Impfstoffe keinen Schutz vor einer Infektion mit Omikron bieten, zeigten sich im Dezember, als Forscher in Hongkong das Blut von 25 Empfängern des Zweidosen-Impfstoffs Coronavac des Pekinger Unternehmens Sinovac analysierten. Bei keiner einzigen Person waren neutralisierende Antikörper gegen die neue Variante nachweisbar, was darauf schließen lässt, dass alle Teilnehmer sehr anfällig für eine Infektion mit Omikron waren.
Sinovac wehrte sich gegen diese Ergebnisse mit dem Verweis auf eigene Daten, nach denen von 20 Personen 7 positiv auf Antikörper getestet worden seien. Auch andere Hersteller von Ganzvirus-Impfstoffen argumentierten in Richtung einer Wirksamkeit. Allerdings räumten auch Forscher des Translational Health Science and Technology Institutes in Faridabad, Indien, ein, dass die Immunreaktionen »suboptimal« bleibe.
Eine dritte Dosis des inaktivierten Impfstoffs scheint bei vielen Personen die Bildung von nAB zu induzieren. So zeigte eine auf dem Preprint-Server »MedRxiv« veröffentlichte Studie mit 292 Probanden, die an der Shanghai Jiao Tong University School of Medicine in China durchgeführt wurde, dass acht bis neun Monate nach einer Grundimmunisierung mit zwei Dosen des Impfstoffs BBIBP-Corv bei nur acht Probanden nAB gegen Omikron nachweisbar waren. Nach einer weiteren Impfung mit demselben Impfstoff stieg diese Zahl auf 228.
Allerdings blieb der Gehalt an nAB im Blut der einzelnen Personen gering. Den Molekularvirologen Professor Dr. Rafael Medina von der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago beunruhigt dies noch nicht. Er weist darauf hin: »Es gibt andere Teile der Immunantwort, die ebenfalls eine Rolle spielen. T-Zellen zerstören infizierte Zellen; B-Zellen erinnern sich an vergangene Infektionen und stärken die Immunantwort für die Zukunft; und bindende Antikörper tragen zur Viruskontrolle bei.« In einer im Dezember veröffentlichten Vorabveröffentlichung zeigten Medina und seine Mitautoren, dass Personen, die mit Coronavac geimpft wurden, nicht neutralisierende Antikörper beibehalten, die sowohl Omikron binden als auch Immunzellen bei der Vernichtung infizierter Zellen unterstützen.
Man gehe davon aus, dass geimpfte Personen mindestens vor schweren Covid-19-Verläufen geschützt sind, betont Professor Dr. Murat Akova, ein Spezialist für Infektionskrankheiten an der Hacettepe University School of Medicine in Ankara.
Um ausreichend geschützt zu sein, empfiehlt sich eine heterologe Boosterung. Dies unterstreicht auch Professor Dr. Akiko Iwasaki, eine Virusimmunologin an der Yale School of Medicine in New Haven, Connecticut. Ihre ebenfalls auf »MedRxiv« publizierten Daten zeigen, dass eine einzige Auffrischungsimpfung mit einer anderen Art von Impfstoff möglicherweise nicht einmal ausreicht.
Iwasakis Gruppe hatte Blutproben von 101 Personen untersucht, die zwei Dosen Coronavac und anschließend einen mRNA-Booster erhalten hatten. Vor der Auffrischung waren in den Proben keine Omikron-spezifischen nAB nachweisbar. Danach zeigten 80 Prozent der untersuchten Proben eine gewisse Omikron-blockierende Aktivität. Die Menge der Antikörper mit Omikron-neutralisierendem Potenzial war jedoch nicht viel größer die als die einer Kontrollgruppe, in der die Probanden zwei Dosen mRNA-Impfstoff und keine Auffrischung erhalten hatten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.