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Neue Arzneimittel

Hohe Erwartungen an 2020

Im Jahr 2019 kamen deutlich weniger ­innovative Präparate auf den Markt als in den Vorjahren. Die 20er-Jahre des Jahrhunderts werden aber voraussichtlich wieder positiver starten. Das verrät ein Blick in eine Liste des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller.
Sven Siebenand
12.01.2020  08:00 Uhr

Etliche Medikamente mit neuen Wirkstoffen haben bereits die Zulassung ­erhalten, wurden aber noch nicht in den Handel eingeführt. Gut möglich, dass dieser Schritt bei einigen im Jahr 2020 erfolgen wird. Für viele weitere Medikamente mit innovativen neuen Arzneistoffen hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA bereits eine Zulassungsempfehlung ausgesprochen. In der Regel folgt die Europäische Kommission diesem Expertenrat und lässt die Präparate kurze Zeit später zu.

Für eine dritte Gruppe von Medikamenten ist die EU-Zulassung beantragt, aber das Expertengremium der EMA hat die sogenannte »Positive Opinion« noch nicht ausgesprochen. Ist diese Hürde genommen, kann es schnell gehen, und auch diese Medikamente könnten 2020 neu auf den deutschen Markt ­gelangen.

Neues Wirkprinzip bei Gicht und Glaukom

Unter den potenziellen Kandidaten für die neuen Arzneistoffe 2020 tummeln sich einige, die künftig in der öffentlichen Apotheke eine größere Rolle spielen könnten. Gicht-Medikamente werden beispielsweise häufig verordnet. Bereits zugelassen, aber noch nicht im Handel ist der oral bioverfügbare Wirkstoff Lesinurad (Zurampic®). Er kann zusammen mit einem Xanthin-Oxidase-Inhibitor wie Allopurinol zum Einsatz kommen und hat ein neues Wirkprinzip. Lesinurad hemmt in der Niere den Harnsäuretransporter URAT1 und den organischen Anionentransporter 4 (OAT4), wodurch der Harnsäurespiegel im Plasma gesenkt wird.

Mit einem neuen Wirkprinzip kann auch Netarsudil (Rhokiinsa®) zur Behandlung des erhöhten Augeninnendrucks aufwarten. Einsatzgebiete sind das primäre Offenwinkelglaukom und die okuläre Hypertension. Der neue Wirkstoff hemmt Rho-Kinasen. Diese sind an der Regulation verschiedener Zellfunktionen beteiligt, etwa bei der Kontraktion glatter Muskelzellen. Am Auge angewendet, steigert Netarsudil den Kammerwasserabfluss durch das Trabekelwerk. Zudem führt die Enzymhemmung dazu, dass der episklerale Venendruck, der zum Augeninnendruck beiträgt, sinkt.

Antikörper in den Bereichen HIV und Osteoporose

Wie Netarsudil hat auch Ibalizumab (Trogarzo®) im Herbst 2019 die EU-­Zulassung erhalten. Es handelt sich um den ersten Antikörper für die HIV-Behandlung. In Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln soll er bei Erwachsenen mit multiresistenter HIV-1-Infektion angewendet werden, wenn kein anderes supprimierendes, antivirales Regime zusammengestellt werden kann. Ibalizumab verhindert, dass das HI-1-Virus CD4+-T-Zellen infiziert, indem es an eine Domäne von CD4 bindet und die nach der Anhaftung folgenden Schritte stört, die für das Eindringen der Viruspartikel in die Wirtszellen erforderlich sind. Der Antikörper wird alle zwei Wochen intra­venös infundiert.

Der Sklerostin-Antikörper Romosozumab (Evenity®) hat Ende 2019 die Zulassung erhalten und bringt ein neues Wirkprinzip zur Osteoporose-Behandlung. Das Glykoprotein Sklerostin hemmt die Knochen-Neubildung und kurbelt den Abbau an. Romosozumab unterbindet diese Funktion und kann bei postmenopausalen Frauen mit schwerer Osteoporose zum Einsatz kommen. Im ersten Anlauf war der Zulassungsantrag wegen möglicher kardiovaskulärer Risiken zunächst gescheitert.

Für Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck oder Makuladegeneration, mit Schizophrenie oder Reizdarmsyndrom mit Durchfall könnte es bald neue Medikamente geben. / Foto: iStockphoto/Lucky Bussines
Für Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck oder Makuladegeneration, mit Schizophrenie oder Reizdarmsyndrom mit Durchfall könnte es bald neue Medikamente geben. / Foto: Shutterstock/vchal
Für Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck oder Makuladegeneration, mit Schizophrenie oder Reizdarmsyndrom mit Durchfall könnte es bald neue Medikamente geben. / Foto: Fotolia/Nobilior

Ebenfalls schon zugelassen sind Eluxadolin (Truberzi®), Peramivir (Alpivab®) und Brexpiprazol (Rxulti®). Eluxadolin ist ein orales Medikament gegen das Reizdarmsyndrom mit Durchfall. Es handelt sich um einen Opioidrezeptor-Modulator. An μ- und κ-Opioid­rezeptoren wirkt Eluxadolin als Agonist, an σ-Opioidrezeptoren als Ant­agonist. Peramivir ist nach Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) der dritte Vertreter aus der Klasse der Neuraminidase-Hemmer zur Influenza-Behandlung. Peramivir wird aber nicht peroral oder inhalativ, sondern als einmalige Injektion verabreicht.

Brexpiprazol hat eine Zulassung zur Schizophrenie-Behandlung bei Erwachsenen erhalten. Man geht davon aus, dass die Wirkung des Neulings auf einer Modulation im Serotonin- und Dopaminsystem beruht und über eine Kombination einer partiell agonistischen Aktivität am 5-HT1A-Serotoninrezeptor und D2-Dopaminrezeptor und einer antagonistischen Aktivität am 5-HT2A-Rezeptor vermittelt wird.

Levodopa zum Inhalieren und Ketamin durch die Nase

Ein neues Parkinson-Mittel könnte demnächst häufiger in der Apotheke auftauchen: Inbrija®. Nicht der enthaltene Wirkstoff Levodopa macht das vor wenigen Wochen zugelassene Medikament interessant, sondern die Darreichungsform. Es handelt sich um Kapseln, die ein Pulver zur Inhalation enthalten. Das Präparat wird zur Behandlung von Symptomen während der sogenannten Off-Perioden angewendet. Durch die Inhalation wird rasch zusätzliches Levodopa (und damit Dopamin) zur Verfügung gestellt, um die Off-Zeit abzukürzen.

Erwähnenswert ist auch das Ket­amin-Enantiomer Esketamin (Spravato®). Es ist das erste Antidepressivum, das in Form eines Nasensprays angewendet wird. Der große Vorteil von Esketamin ist, dass es vergleichsweise schnell wirkt. Der antidepressive Effekt kommt vermutlich über einen Antagonismus am NMDA-Rezeptor zustande. Spravato darf bei therapieresistenten depressiven Patienten zum Einsatz kommen und wird mit einem selek­tiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) kombiniert.

Auch Upadacitinib (Rinvoq®) hat eine Zulassung erhalten. Es ist nach ­Tofacitinib (Xeljanz®) und Baricitinib (Olumiant®) der dritte zugelassene Januskinase-Hemmer für Patienten mit rheumatoider Arthritis. Upadacitinib wird einmal täglich als Tablette eingenommen – als Monotherapie oder in Kombination mit Methotrexat.

Mit Delafloxacin (Quofenix®) befindet sich auch ein neues Antibiotikum unter den Präparaten mit einer Zulassung. Das Fluorchinolon hemmt die ­Topoisomerasen II sowie IV und soll bei bakteriellen Hautinfektionen zum Einsatz kommen.

Weiterentwicklungen bei AMD und MS-Peroralia

Das Einsatzgebiet derjenigen Präparate, die eine Zulassungsempfehlung erhalten haben und voraussichtlich bald auch eine EU-Zulassung vorweisen können, ist breit gefächert. Interessant ist zum Beispiel ein weiteres Präparat zur Behandlung der feuchten alters­bedingten Makuladegeneration (AMD): Brolucizumab (Beovu®). Das Medikament hat Ende 2019 die Zulassungsempfehlung für diese Indikation erhalten und könnte die Therapieoptionen demnächst erweitern. Wie Ranibizumab (Lucentis®) hemmt der Neuling den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor A (VEGF-A) und damit die Angiogenese. Brolucizumab muss wie die anderen Biologika zur Behandlung der feuchten AMD in den Glaskörper des Auges injiziert werden.

Siponimod (Mayzent®) ist eine Weiterentwicklung des Multiple-Sklerose-Wirkstoffs Fingolimod (Gilenya®). Der Wirkstoff ist für Erwachsene mit ­sekundär progressiver Multipler Skle­rose (SPMS) mit aktiver Erkrankung vorgesehen. Anders als Fingolimod ist der Neuling ein selektiver Sphingosin-1-­Phosphat-(S1P-)Rezeptormodulator, der spezifisch an die Rezeptorsubtypen 1 und 5 (S1P1 und S1P5) bindet.

Während Siponimod bereits eine ­Zulassungsempfehlung bekommen hat, wartet ein anderer S1P1- und S1P5-­Rezeptormodulator noch darauf: Ozanimod. Die Zulassung ist bereits bei der EMA beantragt.

Solriamfetol (Sunosi®) ist dagegen ein neues Stimulans, das als Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer wirkt. Es soll laut Zulassungsempfehlung bei übermäßiger Tagesschläfrigkeit bei Patienten mit Narkolepsie oder obstruktiver Schlafapnoe eingesetzt werden.

Die bisher vorgestellten neuen Wirkstoffe kommen allesamt nicht bei Krebs zum Einsatz. Das heißt aber nicht, dass sich im Bereich der Onkologie 2020 nichts tun wird. Zulassungsanträge bei der EMA wurden zum Beispiel für den selektiven Androgen-Rezeptormodulator Darolutamid (Nubeqa®), den Brutonkinase-Hemmer Acalabrutinib (Calquence®) und Selinexor (XPovio®), einen Hemmer des Exportin-1-Proteins, gestellt. Darolutamid soll beim nicht ­metastasierten kastrationsresistenten Prostatakrebs eingesetzt werden, Acala­brutinib beim Mantelzell-Lymphom und Selinexor beim Multiplen Myelom.

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