Gentherapie bei erbbedingter Taubheit |
Theo Dingermann |
25.01.2024 15:00 Uhr |
Ein Hörtest gehört zum Neugeborenen-Screening und wird in der Regel direkt im Krankenhaus durchgeführt. / Foto: Getty Images/isayildiz
Gentherapeutika bilden zusammen mit einer Reihe anderer Medikamente als »Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicines, ATMP)« eine eigenständige Arzneimittelklasse. Chinesische Forschende um Jun Lv vom ENT Institute and Otorhinolaryngology Department am Eye & ENT Hospital der Fudan University in Shanghai, China, beschreiben jetzt im Wissenschaftsjournal »The Lancet« einen gentherapeutischen Ansatz bei der autosomal rezessiven DFNB9-Erkrankung. Sie wird durch eine Mutation in dem OTOF-Gen verursacht, das das Protein Otoferlin kodiert. Aus diesem Grund wird die Krankheit auch als Otoferlin-Taubheit bezeichnet.
Das Protein Otoferlin ist maßgeblich für die vollständige und unveränderte Übertragung des Hörimpulses von Sinneszelle an Nervenzelle verantwortlich, sodass die Unversehrtheit dieses Proteins für das Hören unabdingbar ist.
In einer einarmigen Studie mit Kindern im Alter von 1 bis 18 Jahren testeten Lv und Kollegen die Sicherheit und Wirksamkeit einer Gentherapie, bei der mit Hilfe eines Adeno-assoziierten Virus (AAV) Serotyp 1-Vektors ein humanes OTOF-Transgen (AAV1-hOTOF) übertragen wird. Um das Sicherheitsprofil von AAV1 für diese Studie weiter zu verbessern, wurde ein spezifischer Promotor für die Sinneshaarzellen im Ohr verwendet, um sicherzustellen, dass das eingeführte OTOF-Gen nur in diesen abgelesen wird.
Von 425 gescreenten Kindern wurden sechs in die Studie aufgenommen. Den Kindern wurde eine einzelne Injektion von AAV1-hOTOF in die Cochlea verabreicht. Eines der Kinder erhielt eine Dosis von 9×1011 Vektor-Genomen und fünf Kinder erhielten 1,5×1012 Vektor-Genome. Alle Teilnehmer schlossen die Nachbeobachtung bis Woche 26 ab. Der primäre Endpunkt war die dosislimitierende Toxizität nach sechs Wochen nach der Injektion. Während der Nachbeobachtungszeit traten keine dosislimitierende Toxizität oder schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf. Insgesamt wurden 48 unerwünschte Ereignisse beobachtet.
Fünf Kinder zeigten eine Hörverbesserung, die sich in einer Reduktion der durchschnittlichen auditorischen Hirnstammantwort (ABR) Schwellenwerte um 40 bis 57 dB bei 0,5 bis 4,0 kHz äußerte. Bei dem Kind, das eine Dosis von 9×1011 Vektor-Genomen erhielt, verbesserte sich die durchschnittliche ABR-Schwelle von mehr als 95 dB bei Studienbeginn auf 68 dB nach 4 Wochen, 53 dB nach 13 Wochen und 45 dB nach 26 Wochen.
Bei den Kindern, die mit 1,5×1012 Vektor-Genomen therapiert worden waren, veränderte sich bei vier Kindern die durchschnittliche ABR-Schwelle von mehr als 95 dB zu Beginn der Behandlung auf 48 dB, 38 dB, 40 dB und 55 dB nach 26 Wochen.
Die auditive Funktion und die Sprachwahrnehmung wurden mit geeigneten auditiven Wahrnehmungsevaluationstools bewertet. Die Sprachwahrnehmung wurde bei allen Teilnehmern verbessert, die ihr Gehör durch die Therapie wiedererlangt hatten.
Ein wichtiges Ergebnis dieser Studie ist die zeitabhängige Erholung des Hörvermögens. Zudem zeigte sich, dass die Wirksamkeit der Behandlung nicht von der verabreichten Vektordosis abhing, wobei die Forschenden selbst einschränken, dass die Zahl der in diese Analyse einbezogenen Teilnehmer für eine aussagekräftige Interpretation einer Dosis-Wirkungs-Beziehung zu klein war.
Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass die AAV1-hOTOF-Gentherapie eine sichere und wirksame neuartige Behandlung für Kinder mit autosomal rezessiver DFNB9-Erkrankung ist.