Früh erkennen, Erblindung vermeiden |
Vorsorgeuntersuchungen sind das A und O, um ein Glaukom rechtzeitig zu erkennen und zu intervenieren. / © Getty Images/Inside Creative House
Das Glaukom, im Volksmund »Grüner Star« genannt, ist eine Erkrankung des Sehnervs, die unbehandelt zur Erblindung führen kann. Im Krankheitsverlauf gehen Nervenzellen der Netzhaut mitsamt den Nervenfasern zugrunde. Diese Neuropathie des Sehnervs beeinträchtigt das Sehen zunehmend und das Blickfeld nimmt ab, man spricht von Gesichtsfelddefekten.
Die chronische Erkrankung bleibt lange Zeit asymptomatisch und deshalb häufig unerkannt. Die Betroffenen haben keine Schmerzen und bevor es zu Ausfällen im Gesichtsfeld kommt, ist bereits etwa ein Drittel aller Nervenzellen und -fortsätze abgestorben. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist das Glaukom die häufigste irreversible Erblindungsursache weltweit.
Die Inzidenz liegt in Deutschland bei 1 bis 2 Prozent, insgesamt gibt es circa 900.000 Glaukompatienten. Etwa 10 Prozent von ihnen haben bereits schwerste Sehstörungen. Zu etwa 16.500 Blindengeldempfängern wegen eines Glaukoms kommen jedes Jahr rund 1300 Neuerblindungen. Das Glaukomrisiko ist ab dem 40. Lebensjahr erhöht und steigt mit zunehmendem Alter. Deshalb ist die Früherkennung von großer Bedeutung.
Schätzungsweise die Hälfte aller Glaukompatienten hat einen erhöhten Augeninnendruck (Intraokulardruck, IOD). Der IOD ist der wichtigste beeinflussbare Risikofaktor für das Glaukom. Dementsprechend ist die Therapie darauf ausgerichtet, den Augeninnendruck auf ein Niveau zu senken, bei dem die Erkrankung nicht weiter voranschreitet.
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Der »Grüne Star« (Glaukom) ist nicht mit dem »Grauen Star« (Katarakt) zu verwechseln. Beim Grauen Star handelt es sich um eine meist altersbedingte Trübung der Augenlinse. Die trübe Linse wird in einer Operation entfernt und durch eine künstliche Linse (Intraokularlinse) ersetzt, wodurch der vorübergehende Sehverlust beseitigt wird. Beim Glaukom handelt es sich dagegen um eine Sehnerverkrankung.
Der Augeninnendruck wird durch das Kammerwasser aufgebaut, das im Ziliarkörper produziert wird und durch die Pupille in die Vorderkammer des Auges gelangt. Circa 70 Prozent des Kammerwassers fließen über ein schwammartiges Geflecht (Trabekelmaschenwerk) im Bereich des Kammerwinkels und den Schlemm’schen Kanal in das Blutsystem ab. Man spricht vom trabekulären Abfluss. Ein kleinerer Teil des Kammerwassers gelangt über Zwischenräume der Regenbogenhaut (Iris) und des Zilkiarkörpers unter die Lederhaut (Sklera) in die ableitenden Blutgefäße. Diesen Weg bezeichnet man als uveoskleralen Abfluss.
Bei den meisten gesunden Menschen liegt der IOD bei 9 bis 21 mmHg, im Mittel bei etwa 15 mmHg. Wie der Blutdruck unterliegt auch der IOD tageszeitlichen Schwankungen, die bis zu 5 mmHg betragen können.
Ein erhöhter Augeninnendruck kommt in der Regel dadurch zustande, dass zu viel Kammerwasser produziert wird oder dessen Abfluss behindert ist. Aber: Nicht jede Person mit einem erhöhten Augeninnendruck hat ein Glaukom, umgekehrt gibt es Patienten mit einem IOD im Normbereich, die an einem Glaukom erkrankt sind. Man spricht dann von einem Normaldruckglaukom.
Bei einem IOD über 21 mmHg ohne Schädigung des Sehnervs und ohne Gesichtsfeldausfälle spricht man von okulärer Hypertension. Betroffene haben ein erhöhtes Glaukomrisiko.
Neben dem Alter und einem erhöhten Intraokulardruck, sind eine hohe Kurzsichtigkeit und eine positive Familienanamnese Risikofaktoren für ein Glaukom. Männer erkranken häufiger als Frauen und bei Personen afrikanischer Abstammung zeigte sich eine höhere Prävalenz als bei Europäern (2).
Ein erhöhter Augeninnendruck kann die Nervenfasern am Sehnervenkopf (Papille), direkt am Austritt aus dem Augenhintergrund, mechanisch beschädigen. Dadurch werden Transportprozesse in den Nervenzellen unterbrochen und regulatorische Proteine entzogen, außerdem werden Apoptosevorgänge eingeleitet.
Daneben spielen Durchblutungsstörungen im Bereich des Sehnervenkopfes eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Glaukoms. Sie führen zu einer Minderversorgung der Papille mit Degeneration von Nervenfasern und Stützgewebe.
Zuletzt können Synthesestörungen von Kollagenen im Bereich der Lamina cribrosa Nervenfasern schädigen. Die Lamina cribrosa ist eine siebartige Struktur, durch die der Sehnerv das Auge verlässt. Wenn diese Struktur durch den erhöhten Augeninnendruck deformiert wird, können Axone geschädigt werden.
Da es verschiedene Formen gibt, spricht man beim Glaukom auch von einer Gruppe von Erkrankungen. Glaukome können nach der Konfiguration des Kammerwinkels in Offen- und Engwinkelglaukome eingeteilt werden. Beim primären Offenwinkelglaukom (POWG) ist der Kammerwinkel makroskopisch offen (Grafik). Ablagerungen im Bereich des Trabekelmaschenwerks erhöhen den Abflusswiderstand und damit den Augeninnendruck.
Das POWG ist die häufigste Form des Glaukoms in der westlichen Welt. Mit zunehmendem Alter steigen seine Prävalenz und Inzidenz. Circa 2 Prozent aller Menschen ab 40 Jahren haben ein Offenwinkelglaukom, bei den Über-75-jährigen sind es bereits 7 bis 8 Prozent.
Die Konfiguration des Kammerwinkels unterscheidet sich je nach Glaukomform. / © PZ/Stephan Spitzer
Eine Sonderform des POWG ist das Normaldruckglaukom. Dabei entwickelt sich trotz Druckwerten im Normbereich ein Schaden des Sehnervs. Bei der Entstehung spielen Unregelmäßigkeiten der Augendurchblutung eine Rolle, insbesondere Fehlregulationen der Blutgefäße (vaskuläre Dysfunktion). Die Pathogenese ist jedoch nicht vollständig geklärt.
Bei einem Engwinkelglaukom verengen periphere Anteile der Iris den Kammerwinkel, wodurch der Abfluss des Kammerwassers behindert wird und der IOD steigt.
Bei Sekundärglaukomen sind andere Augenerkrankungen, -verletzungen und -entzündungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten, beispielsweise von Glucocorticoiden, die Ursache für den IOD-Anstieg. Die häufigsten sekundären Offenwinkelglaukome sind das Pseudoexfoliations- und das Pigmentdispersionsglaukom. Hier erhöhen Protein- oder Pigmentablagerungen den Abflusswiderstand.
Ein Glaukom entwickelt sich meist beidseitig. Warum nur ein Auge oder beide betroffen sind, ist nicht abschließend geklärt. Vermutlich spielt die genetische Disposition dabei eine Rolle.
Bei einem akuten Glaukomanfall steigt der Intraokulardruck drastisch an, auf bis zu 70 mmHg. Die Ursache kann eine Pupillenerweiterung sein, entweder in emotionalen Stresssituationen oder durch Medikamente wie Psychopharmaka. Die Iris verlagert sich nach vorne vor das Trabekelmaschenwerk und blockiert den Abfluss des Kammerwassers (»Winkelblock«). Man spricht auch von einem Winkelblockglaukom (Grafik oben rechts).
Ein Glaukomanfall geht meist mit heftigen Schmerzen, plötzlich auftretenden Sehstörungen und Übelkeit einher. Das Auge ist stark gerötet. Es handelt sich um einen Notfall, der sofort augenärztlich behandelt werden muss.
Initial erfolgt die Therapie medikamentös. Zum Einsatz kommen dabei unter anderem lokale Parasympathomimetika wie Pilocarpin sowie intravenös verabreichte hyperosmolare Lösungen – beispielsweise Mannitol –, um das Glaskörpervolumen osmotisch zu reduzieren. Es können auch Carboanhydrasehemmer wie Azetazolamid oral oder intravenös gegeben werden. Ebenso ist die intravenöse Verabreichung von Betablockern möglich.
Je nach Befund wird zur Wiederherstellung des Kammerwasserflusses auch mit einem Laser eine kleine Öffnung in die Iris gemacht (Laser-Iridotomie) oder ein kleiner Teil der Iris chirurgisch entfernt (Iridektomie).
Die Früherkennung ist die einzige Möglichkeit, einen Sehverlust durch ein Glaukom zu vermeiden. Mithilfe moderner Diagnostik lässt sich die Erkrankung erkennen, bevor Symptome auftreten. Der Berufsverband Deutscher Augenärzte (BVA) empfiehlt eine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung für Menschen ab 40 Jahren. Dabei werden der Augeninnendruck und der Sehnerv überprüft.
Liegt ein Glaukomverdacht vor, folgen weitergehende Untersuchungen. Die Screening-Untersuchungen sind nicht Teil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die GKV übernimmt die Kosten nur, wenn ein Glaukom bereits diagnostiziert wurde oder ein begründeter Verdacht darauf vorliegt.
Die Frühdiagnostik des Glaukoms beinhaltet die Augeninnendruckmessung (Tonometrie), die Beurteilung des Kammerwinkels (Gonioskopie) und die Untersuchung des Sehnervenkopfes (Funduskopie). Bei der Funduskopie lassen sich typische Glaukomschäden wie die Aushöhlung des Sehnervenkopfes (Papillenexkavation) beurteilen.
Aussagekräftig ist der Augeninnendruck erst in Verbindung mit der Messung der Hornhautdicke (Pachymetrie), da diese den Druck beeinflusst. Ein IOD oberhalb des Normbereichs kann auf ein Glaukom hinweisen. Bei Verdacht gibt ein Tagesdruckprofil oder ein stationäres Augendruckprofil Aufschluss über IOD-Schwankungen. Dabei wird der IOD in der Regel zwischen 16 und 17 Uhr, zwischen 20 und 21 Uhr sowie zwischen 23 und 24 Uhr gemessen, ebenso morgens im Liegen zwischen 6 und 7 Uhr sowie zwischen 8 und 9 Uhr.
Die Technik der optischen Kohärenztomografie (OCT) war ein Meilenstein in der Glaukomdiagnostik. Das bildgebende Verfahren arbeitet mit einem schwachen Laserstrahl und ist berührungs- und schmerzfrei. Es stellt empfindliche Strukturen wie die retinale Nervenfaserschicht und den Sehnervenkopf in hoher Auflösung dar und vermisst sie. So können feinste Veränderungen über die Zeit bestimmt werden, um Aussagen über die individuelle Progressionsrate zu treffen (Abbildung).
Bei nachgewiesener Glaukomerkrankung zahlt die GKV für diese Untersuchung, als Vorsorgeleistung nicht.
Die quantitative Erfassung des Gesichtsfeldes bezeichnet man als Perimetrie. Unter dem Gesichtsfeld versteht man den Sehbereich, den man wahrnimmt, ohne den Kopf zu drehen und die Augen zu bewegen. Die Defekte des Sehnervs können unterschiedlich ausgeprägt sein und führen im Verlauf der Erkrankung zu einer Abnahme des Blickfeldes.
Gesichtsfelddefekte nimmt der Patient selbst häufig sehr spät oder überhaupt nicht wahr. Das liegt einerseits daran, dass – anders als bei einer Makuladegeneration – die Gesichtsfeldeinschränkungen von außen nach innen verlaufen, andererseits daran, dass das gesunde Auge die fehlenden Bereiche des erkrankten Auges kompensieren kann. Das Maß für den Gesichtsfeldschaden ist die mittlere Defekttiefe (MD). Sie wird in Dezibel (dB) angegeben und sollte idealerweise bei 0 liegen.
Die Progression des Gesichtsfeldschadens zeigt eine große Variabilität. Die MD kann bis zu 11 dB pro Jahr abnehmen, wobei eine mittlere Defekttiefe von –15 dB bereits eine schwerwiegende funktionelle Einschränkung darstellt.
Das Glaukom ist bisher unheilbar. Bereits vorliegende Schäden sind irreversibel. Die Therapie zielt darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung und damit einhergehende Gesichtsfeldverluste so gering wie möglich zu halten. Dazu ist die Augeninnendrucksenkung der derzeit einzig effektive Therapieansatz – indem der Abfluss des Kammerwassers verbessert wird oder dessen Sekretion vermindert wird. Je stärker der Druck im Auge im Vergleich zum ursprünglichen Druck gesenkt wird, desto geringer ist der zu erwartende Gesichtsfeldverlust.
Zukünftig könnten als neue Ansätze die Verbesserung der Durchblutung des Auges und die Neuroprotektion der Nervenzellen und -fasern, die bei einer Glaukomerkrankung irreversibel geschädigt werden, zur Verfügung stehen. Besonders beim Normaldruckglaukom spielt die Durchblutung des Augenhintergrunds eine entscheidende Rolle und neue Therapiemöglichkeiten zielen darauf ab, diese zu verbessern. Aber auch bei dieser Glaukomform kann eine Senkung des IOD die Progression verlangsamen.
Große randomisierte, kontrollierte Glaukomstudien haben die Therapielogik der IOD-Senkung bei unterschiedlichen Glaukomstadien, dem Normaldruckglaukom und bei okulärer Hypertension belegt. In der Studie »Early Manifest Glaucoma« verringerte sich das Progressionsrisiko um 10 bis 13 Prozent pro Drucksenkung um 1 mmHg (3). Bei Patienten mit okulärer Hypertension zeigte die Studie »Ocular Hypertension Treatment«, dass das Progressionsrisiko pro Druckerhöhung um 1 mmHg um 10 Prozent stieg (4).
Der anzustrebende IOD entspricht dem höchsten tolerierbaren Druck, bei dem die Progression deutlich verlangsamt oder gestoppt wird. Er wird mit dem dynamischen Zieldruckkonzept festgelegt. Bei der Bestimmung werden folgende Faktoren berücksichtigt: das Alter, die Lebenserwartung, der Ausgangsdruck des unbehandelten Glaukoms, das Ausmaß des Glaukomschadens, die Höhe und Schwankung des IOD im Tagesverlauf sowie weitere Risikofaktoren und die genetische Disposition.
Grundsätzlich gilt: Je weiter fortgeschritten die Erkrankung ist, desto »aggressiver« soll die IOD-Senkung sein. Bei einem weit fortgeschrittenen Glaukom wird ein Zieldruck von 10 bis 12 mmHg empfohlen (1).
Für eine langfristig erfolgreiche Therapie sollten der Augeninnendruck und die Progression regelmäßig überprüft und der Zieldruck sowie die Therapie rechtzeitig angepasst werden.
Nach den Richtlinien der Europäischen Glaukomgesellschaft (EGS) soll das Glaukom initial mit einer medikamentösen Monotherapie behandelt werden. Wenn der Patient unter Monotherapie trotz eines Wechsels der Substanzklasse nicht den Zieldruck erreicht, sind fixe Kombinationstherapien angezeigt.
Wird dadurch das gewünschte Druckniveau immer noch nicht erreicht, sollten operative Methoden in Betracht gezogen werden – zumal durch eine höhere Anzahl von Antiglaukomatosa die Compliance der Patienten deutlich sinkt (1).
Der derzeitige Standard in der Behandlung des Offenwinkelglaukoms ist die medikamentöse Senkung des Augeninnendrucks. Es stehen verschiedene Substanzklassen zur Verfügung.
Cholinergika wie Pilocarpin sind die älteste eingesetzte Substanzklasse. Pilocarpin lähmt den Ziliarmuskel, wodurch sich das Trabekelmaschenwerk aufweitet und sich der Abfluss des Kammerwassers verbessert. Da Cholinergika relativ starke opthalmologische und systemische Nebenwirkungen verursachen können, haben sie heute keine große Bedeutung mehr. Beispielsweise kann Pilocarpin bei einigen Patienten eine Zunahme der Kurzsichtigkeit (Myopisierung) bewirken, da es die Pupillen verengt und somit die Fähigkeit des Auges, weiter entfernte Objekte scharf zu sehen, einschränkt.
Lokal angewendete Betablocker, zu denen Timolol gehört, reduzieren die Sekretion des Kammerwassers im Ziliarepithel. Sie begünstigen allerdings ein trockenes Auge, da sie die Tränenproduktion herabsetzen. Dies kann auch zu vorübergehenden Sehstörungen führen. Das drucksenkende Potenzial liegt bei circa 20 bis 25 Prozent. Kontraindikationen sind unter anderem Bronchialasthma und chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen.
Lokale Carboanhydrasehemmer, mit Dorzolamid als wichtigstem Vertreter, senken die Kammerwassersekretion, indem sie das Enzym Carboanhydrase im Ziliarkörper hemmen. Carboanhydrasen wandeln Kohlendioxid und Wasser in Bicarbonat und Protonen um – und Bicarbonat ist ein wichtiger Bestandteil des Kammerwassers. Bereits seit 1955 wird Acetazolamid systemisch bei extrem hohen Druckwerten angewendet.
Alpha-2-Agonisten wie Clonidin und Brimonidin reduzieren die Kammerwassersekretion im Ziliarkörper und verbessern gleichzeitig den trabekulären und uveoskleralen Abfluss. Brimonidin wird außerdem eine neuroprotektive Wirkung am Auge zugeschrieben. Die Substanzen müssen mehrmals täglich appliziert werden. Da sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden, sind sie bei Kindern kontraindiziert.
Prostaglandin-Analoga können den IOD um bis zu 35 Prozent senken und zählen damit zu den effektivsten – und zu den am häufigsten verordneten – Antiglaukomatosa. Sie sind das Mittel der Wahl zur Behandlung des Glaukoms. Zu den wichtigsten Vertretern gehören Latanoprost, Travoprost und Bimatoprost. Sie müssen nur einmal täglich appliziert werden und verbessern den uveoskleralen und trabekulären Abfluss des Kammerwassers. Lokale Nebenwirkungen sind eine vermehrte Durchblutung (Hyperämie) und Entzündungsreaktionen des Auges. Häufig kommt es zu einer Braunfärbung der Iris und zu einem vermehrten Wimpernwachstum.
Rho-Kinase-Hemmer wie Netarsudil sind die neuste Klasse von IOD-senkenden Wirkstoffen. Die Wirksamkeit liegt im Bereich der Prostaglandin-Analoga. Das Enzym Rho-Kinase ist an der Regulation verschiedener Zellfunktionen, unter anderem der Kontraktion der glatten Muskelzellen, beteiligt. Netarsudil senkt den Druck auf drei Arten: Es reduziert die Produktion des Kammerwassers und erhöht dessen trabekulären Abfluss, außerdem senkt es den episkleralen Venendruck. Die häufigste okuläre Nebenwirkung ist eine verstärkte Durchblutung der Bindehaut (konjunktivale Hyperämie), was zu einer Rötung führt. In Deutschland ist Netarsudil in Augentropfen nur in einer fixen Kombination mit Latanoprost erhältlich.
Um Wechselwirkungen mit anderen – auch nicht verschreibungspflichtigen – Augentropfen zu vermeiden, sind zeitliche Abstände zwischen den Anwendungen einzuhalten. Diese liegen meist im Minutenbereich, sind im Beipackzettel zu finden und sollten auch mit dem Arzt besprochen werden.
Die Nebenwirkungen von Antiglaukomatosa sind je nach Wirkstoffklasse sehr unterschiedlich. Sie reichen von vorübergehenden, leichten Symptomen wie Rötung oder Reizung des Auges, über Erscheinungen kosmetischer Natur, wie verstärktes Wimpernwachstum oder Irispigmentierung durch Prostaglandin-Analoga, bis hin zu schweren okulären Symptomen wie einem trockenen Auge. Je nach Wirkstoffklasse setzen ungefähr 50 Prozent der Patienten ihre Medikamente innerhalb von sechs Monaten absichtlich ab.
Mit steigendem Alter nehmen zudem Probleme mit der Augenoberfläche zu. Bei Glaukompatienten ist die Prävalenz von Erkrankungen der Augenoberfläche (OSD) fünf bis zehnmal höher als bei Menschen ohne diese Erkrankung. Die Veränderungen zeigen sich in einer Instabilität des Tränenfilms mit Symptomen eines trockenen Auges. Subklinisch nehmen Entzündungsmarker und Apoptosevorgänge zu. Die subchronische Entzündung bereitet Probleme bei der Wundheilung nach bestimmten Glaukomoperationen und macht dann den Einsatz von antifibrotischen Medikamenten wie Mitomycin C notwendig.
In Deutschland ist Benzalkoniumchlorid (BAC) immer noch Bestandteil von circa 70 Prozent aller konservierten ophthalmischen Lösungen. Konservierungsmittel können Störungen der Augenoberfläche auslösen oder verstärken.
BAC hat toxisches und allergenes Potenzial. Es kann in der Bindehaut Entzündungsprozesse auslösen und wirkt in der Hornhaut zytotoxisch. Es erhöht die epitheliale Permeabilität und stört die Lipidschicht des Tränenfilms, was zu Oberflächenerkrankungen und trockenen Augen führen kann.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfiehlt deshalb bei Unverträglichkeiten gegenüber konservierten Antiglaukomatosa und bei erforderlicher Langzeittherapie konservierungsmittelfreie Präparate (7). Auch im Hinblick auf möglicherweise nötige fistulierende Eingriffe sind unkonservierte Formulierungen vorzuziehen. Die Industrie bietet eine breite Palette an unkonservierten Antiglaukomatosa in Einzeldosenbehältnissen an. Entsprechende Präparate gibt es etwa mit den Wirkstoffen Dorzolamid, Tafluprost, Bimatoprost und Latanoprost.
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Beim Glaukom als chronisch fortschreitende Erkrankung ist eine gute Adhärenz des Patienten entscheidend für den Therapieerfolg. Die Non-Adhärenz ist besonders hoch bei Krankheiten ohne direkten Leidensdruck, beispielsweise bei arterieller Hypertonie, Diabetes oder eben beim Glaukom. Publizierte Daten belegen für Glaukompatienten eine Non-Adhärenz-Rate von 30 bis 80 Prozent, die sich mit zunehmender Therapiedauer und Anzahl der Medikamente weiter erhöht.
Ein wichtiger Aspekt ist die subjektive Wahrnehmung von Gesichtsfelddefekten im Alltag. Eine Studie hat gezeigt, dass selbst fortgeschrittene Defekte wie schwarze Flecken oder ein schwarzer Tunnel subjektiv nicht wahrgenommen werden, da das Gehirn fehlende Informationen ergänzt (5). Deshalb sehen Glaukompatienten häufig keine Notwendigkeit einer Therapie.
In einer Kohortenstudie der AOK Nordost mit 250.000 Teilnehmern lösten 33,5 Prozent der Glaukompatienten ihre Rezepte nicht regelmäßig ein. Alter, Erkrankungsdauer, Pflegestufe und Multimorbidität wirken sich zusätzlich negativ auf die Adhärenz aus (6). Dasselbe gilt auch für kognitive Faktoren wie Vergesslichkeit oder Demenz oder physikalische Einschränkungen durch Arthritis und Tremor, die die Anwendung der Augentropfen zur Herausforderung werden lassen.
Neben der medikamentösen Therapie kommen verschiedene Laserverfahren zur Senkung des IOD zum Einsatz. Bei der selektiven Laser Trabekuloplastik (SLT) werden bestimmte Zellen des Trabekelmaschenwerkes selektiv bestrahlt. Dadurch werden körpereigene Heilungsmechanismen angestoßen, die den Abflusswiderstand verringern und dadurch den Druck signifikant senken.
Die »LiGHT«-Studie (Laser in Glaucoma and Ocular Hypertension) hat gezeigt: Eine initiale SLT bei unbehandelten Patienten mit Offenwinkelglaukom oder okulärer Hypertension war der medikamentösen Therapie hinsichtlich des Progressionsrisikos nach sechs Jahren überlegen – und kann damit die Arzneimitteltherapie in der Erstlinie ersetzen (8). Auch die Europäische Glaukomgesellschaft erkennt die SLT als Alternative zu topischen Antiglaukomatosa bei der Erstbehandlung des Glaukoms an (1).
Bei insuffizienter IOD-Senkung unter konservativer Therapie, bei einer Progression des Glaukomschadens und bei Allergien oder Unverträglichkeiten gegen Lokaltherapeutika ist eine Glaukomoperation angezeigt (1). Mögliche Interventionen reichen von Lasereingriffen über minimalinvasive Verfahren bis zu fistulierenden Operationen, bei der ein künstliches Überdruckventil durch die Lederhaut angelegt wird.
Seit einigen Jahren gehören minimalinvasive glaukomchirurgische Verfahren (MIGS) zur Routineversorgung. Sie definieren sich über kleinste Schnitte in die Hornhaut (Mikroinzision) mit einem minimalen Trauma für das Gewebe. MIGS-Eingriffe haben ein gutes Sicherheitsprofil und gewährleisten eine schnelle Rehabilitation. Sie erlauben bei milden und moderaten Verlaufsformen ein frühes Eingreifen und können dadurch das Progressionsrisiko verringern – und stärker invasive Eingriffe verzögern oder vermeiden. Darüber hinaus lassen sich die meisten MIGS-Eingriffe gut mit einer Kataraktoperation kombinieren.
Je nachdem, welche anatomischen Strukturen zur Verbesserung des Kammerwasserabflusses adressiert werden, unterscheidet man MIGS-Verfahren in trabekuläre (Abfluss durch das Trabekelmaschenwerk), suprachoroidale (Abfluss über die Aderhaut) und subkonjunktivale (Abfluss unter der Bindehaut) Methoden.
Weitverbreitet und hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit gut dokumentiert sind Stent-Systeme wie der Hydrus® Microstent und der trabekuläre Mikro-Bypass iStent inject®. Sie werden in einem Zieldruckbereich von 14 bis 18 mmHg eingesetzt. Für das iStent inject-System sind 7-Jahres-Daten publiziert (9). Diese zeigen, dass der Augeninnendruck nachhaltig um 40 Prozent gesenkt werden konnte und sich die Medikamentenbelastung um durchschnittlich 1,6 Präparate reduzierte.
Der XEN® Gel Stent und der PreserFlo®Microshunt sind subkonjunktivale Stent-Systeme, die den Druck stärker als trabekuläre Verfahren senken.
Wenn eine stärkere Drucksenkung notwendig ist, um die Progression aufzuhalten, kommen sogenannte fistulierende Operationen zum Einsatz. Der Goldstandard ist hierbei die Trabekulektomie (TE). Durch die Anlage eines Deckels und die Entfernung eines kleinen Stückes der Lederhaut wird eine offene Verbindung (»Fistel«) für das Kammerwasser aus der Vorderkammer unter die Bindehaut geschaffen. Nachteile der TE sind Blutungen, Vernarbungen im Bereich der Hornhaut, Bindehaut und Lederhaut, Endophthalmitis und persistierende Hypotonie.
Sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie des Glaukoms wurden in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Moderne bildgebende Verfahren können strukturelle Schädigungen erkennen, bevor funktionelle Beeinträchtigungen auftreten. Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird die Sensitivität der Diagnoseverfahren weiter verbessern.
Minimal invasive Therapien erlauben bei guter Sicherheit eine frühe chirurgische Intervention. Zukünftige Technologien reichen von weiterentwickelten Laseroptionen über neue MIGS-Implantate bis hin zu injizierbaren Medikamententrägern, die viele Probleme der medikamentösen Versorgung verringern oder beseitigen können. Bestehende oder zukünftige Optionen können immer besser auf den Patienten zugeschnitten werden, um langfristig das Sehvermögen zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern.
Sandor Blümle studierte Biologie an der Universität Karlsruhe und ist seit 1990 bei verschiedenen ophthalmologischen Unternehmen im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich tätig. Seine Schwerpunkte sind Kontaktlinsen, Katarakt- und refraktive Chirurgie, trockenes Auge, diabetisches Makulaödem und das Glaukom. Blümle ist zudem Autor zahlreicher ophthalmologischer Fachbeiträge.
Fritz Hengerer ist Chefarzt der Augenklinik am Bürgerhospital in Frankfurt am Main. Neben seiner klinischen Tätigkeit ist er in der Forschung tätig, insbesondere in Zusammenarbeit mit dem David J. Apple Laboratory an der Universität Heidelberg zur Ophthalmopathologie. Zusätzlich hat er einen Lehrauftrag an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und einen ehrenamtlichen vollen Lehrauftrag an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg.