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Diabetiker

Frauen oft schlechter versorgt

Der berühmte kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern kann bei Diabetikern sehr groß sein: Frauen mit Diabetes werden im Schnitt später diagnostiziert sowie seltener und weniger erfolgreich medikamentös behandelt als Männer mit der Stoffwechselkrankheit. Das hat deutliche Folgen für die Mortalität.
Annette Mende
23.05.2019  17:20 Uhr

In der Versorgung, aber auch in der Prävention und Früherkennung von Diabetes sollten Frauen deutlich stärker als bislang in den Fokus genommen werden. »Die Diagnose eines Diabetes wirkt sich bei Frauen drastischer auf die Lebenserwartung aus als bei Männern«, sagte Privatdozentin Dr. Julia Szenrödi vom Deutschen Diabetes Zentrum (DDZ) in Düsseldorf heute bei einer Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Berlin.

Eine Studie aus dem Vorjahr von Forschern um Thaddäus Tönnies vom DDZ habe das Ausmaß der Ungleichheit deutlich gezeigt (»Nutrition, Metabolism & Cardiovascular Diseases«, DOI: 10.1016/j.numecd.2018.05.008). Demnach ist das Sterberisiko von Menschen mit Typ-2-Diabetes im Alter von 65 bis 90 Jahren verglichen mit gesunden Personen stark erhöht, bei Männern um den Faktor 2,8 und bei Frauen um den Faktor 4,2. »In allen Altersgruppen ist die Steigerung der Sterblichkeit durch Diabetes bei Frauen höher als bei Männern«, sagte Szenrödi. 

Woran liegt das? Die Gründe sind vielfältig und teilweise noch unbekannt. Szenrödi zufolge ist schon länger bekannt, dass sich die Begleiterkrankungen des Diabetes geschlechtsabhängig unterscheiden. So sei die Sterblichkeit aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen – die Haupttodesursache von Diabetikern – bei Frauen deutlich höher als bei Männern. Weibliche Diabetiker hätten ein um 27 Prozent höheres relatives Risiko für einen Schlaganfall und ein um 44 Prozent höheres relatives Risiko für eine koronare Herzkrankheit als männliche, sagte die Ärztin mit Verweis auf eine 2015 im Fachjournal »Current Hypertension Reports« erschienene Übersichtsarbeit (DOI: 10.1007/s11906-015-0554-0). Sowohl ein Prädiabetes als auch ein manifester Diabetes scheinen sich bei Frauen schlechter auf die Gefäßfunktion auszuwirken als bei Männern.

Am DDZ forscht Szenrödi im Rahmen der Deutschen Diabetes-Studie zurzeit nach den Ursachen hierfür. Dabei wurde bereits deutlich, dass Frauen trotz optimaler Bedingungen die Zielwerte für Glucose und Blutdruck oft nicht erreichen. »Männer mit Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen werden früher diagnostiziert, häufiger und erfolgreicher medikamentös behandelt als Frauen«, so die Expertin.

Das hänge unter anderem mit soziopsychologischen Faktoren zusammen. »Frauen haben oft eine schlechtere Selbstfürsorge als Männer. Sie kümmern sich um ihre Partner und die Familie, vernachlässigen darüber aber oft sich selbst«, sagte Szenrödi. Eine bessere Prävention und Früherkennung seien daher gerade bei ihnen wichtig: »Nicht erst auf die Symptome warten«, lautet ihr Appell. Prädiabetes bleibe oft unentdeckt, weil der Nüchtern-Blutzucker noch normal sei. Eine frühere Diagnose ermögliche ein oraler Glucosetoleranztest (OGT). Dieser sei bei Frauen mit positiver Familienanamnese oder einem Gestationsdiabetes in der Vorgeschichte indiziert. Auch Übergewicht sollte bei Frauen generell einen OGT veranlassen, denn Szenrödi zufolge ist die progrediente Ansammlung von viszeralem Fett – mit anderen Worten der dicke Bauch – für Frauen ein stärkerer Diabetes-Risikofaktor als für Männer.

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